Wissen

Sigrid Nolda

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-297

Die Selbstbestimmung und Profilierung von Erwachsenenbildung ist seit ihren Anfängen stark durch ihre Abhängigkeit von verschiedenen Wissensordnungen und ihren Bezug zu unterschiedlichen Wissensformen geprägt. Dies betrifft die Propagierung von aufklärerischem, moralisch sensibilisierendem W. und nützlichem Anwendungswissen in der Aufklärung, die Vermittlung von politischem W., verbunden mit dem Kampf um gerechte Wissensdistribution in der Arbeiterbildungsbewegung (Arbeiterbildung) und die vorwiegend an ein bürgerliches Publikum gerichtete Popularisierung von naturwissenschaftlichem W. im 19. Jh., die Abgrenzung vom Wissenschaft verbreitenden Vortragswesen durch die den wechselseitigen Austausch von W. und Meinungen fördernde „Neue Richtung“ in der Weimarer Republik, die Ersetzung des Ziels des Wissenserwerbs durch das der Willensbildung im Nationalsozialismus, die Betonung auf beruflich verwertbares Handlungswissen im Zuge der „realistischen Wende“ (Qualifikation) bis hin zum Gebot des lebenslangen Lernens (lifelong learning), das nicht nur die auf Dauer gestellte Bereitschaft zur Akkumulierung von neuem W., sondern auch die zur Aktualisierung und Revidierung von vorhandenem W. umfasst.

W. als das für Lernen zentrale Element ist keine pädagogische, sondern eine psychologische und, hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit, eine soziologische Kategorie. In der Psychologie wird (bei aller Unterschiedlichkeit zwischen den diversen Richtungen dieser Disziplin) unter W. ein vielgliedriger Prozess verstanden, der Strategien zur Speicherung (einprägen), zur Organisation (Beziehungen herstellen) und zur Wiedergabe (erinnern) von Kenntnissen umfasst. Von den unterschiedlichen Einteilungen von Formen des Wissens hat sich am ehesten die auf antike Vorbilder (episteme, techné) zurückgehende zwischen deklarativem und prozeduralem W. durchgesetzt, d. h. zwischen W. in Form von allgemeinen Kenntnissen, das prinzipiell sprachlich mitgeteilt werden kann, und W. in Form von Können, das beobachtbar, jedoch nur selten sprachlich mitteilbar ist. Diese Unterscheidung entspricht jener zwischen knowing that und knowing how.

Eine weitere wichtige Kategorie ist die der Planung und Steuerung von W., die als „Steuerungswissen“ oder auch als „Metawissen“ bezeichnet wird. Dass angesichts des zunehmenden Verschwindens von festem, kanonischem W. der Stellenwert von prozeduralem W. gestiegen ist, lässt sich u. a. an der Diskussion um die sog. Schlüsselqualifikationen zeigen, die fachübergreifende Qualifikationen, darunter Problemlösekompetenz und soziale Kompetenzen, umfassen. Das W. darüber, wie man sich (am besten) W. aneignet, ist dagegen die Voraussetzung für ein erfolgreiches Selbstlernen (Selbstorganisation – Selbststeuerung – Selbstlernen).

In der Kognitionspsychologie geht die „Wissenspsychologie“ (Mandl & Spada, 1988) speziell den Fragen des Erwerbs von W., seiner Repräsentation im Gedächtnis, seines Abrufs, seiner Anwendung und seiner Veränderung nach. In diesem Zusammenhang interessiert, wie sich der Einzelne neues W. aneignet, wie deklaratives, prozedurales und Metawissen im Gedächtnis organisiert und repräsentiert werden, wie W. aktiviert und abgerufen wird, wie es sich in der Wahrnehmung, im Denken, im Entscheiden auswirkt und nicht zuletzt wie neues W. altes verändert. Dabei wird auch zwischen trägem und intelligentem W. unterschieden, womit die Differenz gemeint ist zwischen einem W., das zwar erworben wurde, aber in Anwendungssituationen nicht genutzt werden kann, und einem W., das stark strukturiert und vernetzt und somit vielfältig anschließbar und anwendbar ist. Eine pädagogische Aufgabe besteht darin, träges W. zu identifizieren, den Erwerb eines solchen Wissens zu vermeiden bzw. träges in intelligentes W. umzuwandeln. Eine ähnliche Differenz betrifft die zwischen explizitem und implizitem W., von dem im Zusammenhang mit dem Konzept der lernenden Organisation die Rede ist. Das Wissensmanagement in Unternehmen hat demnach die Aufgabe, das vorhandene, implizite W. (Erfahrungswissen) einzelner Organisationsmitglieder in ein explizites W. (artikulierbares W.) für die gesamte Organisation zu überführen.

Der Wissens- bzw. Instruktionspsychologie geht es v. a. um die Bedingungen effektiver Wissensvermittlung und damit um Fragen wie die nach den Voraussetzungen des Wissenserwerbs und der optionalen Gestaltung von Lernumgebungen. Beide Richtungen beschäftigen sich u. a. mit der auch für die Erwachsenenbildung zunehmend wichtiger werdenden Diagnose und Überprüfung von W. – im Sinne ihrer Bedeutung für die Gestaltung des Lebenslaufs einerseits bzw. im Sinne einer Beseitigung von Defiziten und einer Ermöglichung von Karrieren andererseits. Auch in diesem Zusammenhang wird die Multifunktionalität von W. deutlich, auf die schon der Philosoph Max Scheler hinwies. Die Fruchtbarkeit der von Scheler getroffenen Unterscheidung zwischen Bildungs-, Erlösungs- und Herrschaftswissen zeigt sich in diversen Aktualisierungen und Adaptationen –
so z. B. in der aus der empirischen Untersuchung von Angeboten der Erwachsenenbildung gewonnenen Unterscheidung in Orientierungs-, Identitäts-, Interaktions- und Handlungswissen (Schrader, 2003).

Ausdrücklich setzt sich die Wissenssoziologie mit der gesellschaftlichen Bedingtheit von W. auseinander. W. wird hier, wie auch in der Wissenspsychologie, neutral als Kumulation von Kenntnissen, nicht repräsentational von wahren Aussagen über Wirklichkeit begriffen. Diese Position wird vom Konstruktivismus durch die Aussage verschärft, dass W. nicht objektiv, sondern eine subjektive Konstruktion von Wirklichkeit sei. Mit Karl Mannheims Lehre von der „Seinsverbundenheit des Wissens“ wird die Abhängigkeit des Wissens von den Realfaktoren hervorgehoben, ohne sich an die Ideologiekritik von Karl Marx anzuschließen. Nicht das „falsche Bewusstsein“ soll aufgedeckt, sondern die Bedingungsfaktoren unterschiedlicher Bewusstseinsstrukturen sollen herausgearbeitet werden (Bewusstsein; Selbsterfahrung – Bewusstseinsbildung). Die jüngere Wissenssoziologie hat sich, beginnend mit Peter L. Bergers und Thomas Luckmanns Arbeit über „die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“, vornehmlich mit den von der älteren Wissenssoziologie vernachlässigten Formen des alltäglichen und des wissenschaftlichen Wissens beschäftigt.

Diese beiden Wissensformen stehen auch im Mittelpunkt der Diskussion in der Erwachsenenbildung, in der es insb. um die Rehabilitierung des Alltagswissens (Alltag), aber auch um die Verknüpfungen zwischen Alltags- und Wissenschaftswissen geht. So wird bspw. die Frage diskutiert, ob das Alltagswissen von Teilnehmenden an Erwachsenenbildungsveranstaltungen lediglich als Anknüpfungspunkt für die Vermittlung von anderem W. oder aber als wesentlicher Inhalt von Bildungsprozessen gelten soll. In diesem Zusammenhang wurde allerdings darauf aufmerksam gemacht, dass es sich beim Alltagswissen weniger um Inhalte als um Strukturen von Wissensbeständen handelt, die ihrerseits gesellschaftsintegrierend und -konstituierend wirken. Eine einfache Ersetzung etwa von Alltags- durch Wissenschaftswissen erweist sich unter dieser Perspektive als unmöglich.

Neben allgemein wissenssoziologischen Ansätzen haben Arbeiten zur Wissenschaftssoziologie und zur Wissenschaftsforschung einen Einfluss auf die Diskussion in der Erwachsenenbildung. Die von Autoren wie Daniel Bell, Nico Stehr oder Helmut Willke formulierte und aufgegriffene Zeitdiagnose der Wissensgesellschaft ist – bei aller Unterschiedlichkeit in Bezug auf Zeitraum, Stellung des wissenschaftlichen Wissens, deskriptive oder normative Verwendung des Begriffs, zustimmende oder kritische Deutung – von der Erwachsenenbildung relativ früh rezipiert worden (Nolda, 1996). Neben ihrer Funktion als Legitimation der Erwachsenenbildung, die auf die Notwendigkeit des Erwerbs von neuem W. oder die Aktualisierung von bereits erworbenem W. abzielt, geht es v. a. um Einsichten in moderne Wissensordnungen. Mit der Verbreitung des Begriffs ist die Bereitschaft gestiegen, sich mit der „Fabrikation wissenschaftlicher Erkenntnis“ und dem Verlust der Bedeutung von Wissenschaft als zentralen Instanz (Bedeutung von Laienwissen, massenmedialer Beobachtung und ökonomischer Indienstnahme; Böschen, 2017) einerseits und den Folgen der wachsenden Bedeutung von W. als Ressource und Basis sozialen Handelns auseinanderzusetzen. Der Begriff beschreibt den Umstand, dass W. generell zu einem konstitutiven Mechanismus von modernen Gesellschaften und zum Arbeitsinhalt einer immer größer werdenden Gruppe von Menschen geworden ist, sodass W. deren Identität so entscheidend bestimmt, wie dies einst Eigentum und Arbeit getan haben. Das Neuartige dieses Konzepts besteht darin, dass es das Vordringen von wissenschaftlich-technischem W. in die Lebens- und Handlungsbereiche von immer mehr Menschen (Popularisierung) nicht mit einer Zerstörung und Abwertung anderer Wissensformen verbindet, sondern im Gegenteil ein Neben- und Miteinander historisch unterschiedlicher Wissensformen konstatiert. Mit dem Wachsen dieses Wissens wird einerseits die Chance gesehen, dass Handlungsfähigkeiten von immer mehr Menschen ansteigen; auf der anderen Seite wird die Rede von der Wissensgesellschaft aber auch als Mittel kritisiert, Erwachsenen zunehmend Lern- und Veränderungsanstrengungen zuzumuten. Hervorzuheben ist, dass die Zunahme der Quantität und der Bedeutung von W. nicht zu einer gesteigerten Sicherheit, sondern im Gegenteil zu einem Anwachsen von Unsicherheit geführt hat, sodass Erwachsenenbildung immer mehr vor der Aufgabe steht, den Umgang mit unsicherem W. und Nicht-W. bzw. den Konstruktionscharakter von W. zu vermitteln (Dinkelaker & Kade, 2011).

Aus Sicht der Wissenschaftsforschung interessieren die Mechanismen der Entstehung und Etablierung des Wissens über Erwachsenenbildung in der sie beobachtenden Scientific Community (z. B. Rosenberg, 2015); die Professionsforschung (Profession) geht u. a. der Frage nach, inwieweit das von der Erwachsenenbildungswissenschaft produzierte W. das Handeln von Praktikerinnen und Praktikern bestimmt (z. B. Marx et al., 2018) und welche Rolle deren Erfahrung und subjektive Theorien dabei spielen. Kursforschung und Didaktik widmen sich den Formen des in Lehr-Lern-Situationen vermittelten und angeeigneten Wissens (und der Differenz zwischen beiden). Hier geht es nicht (mehr) um die Idee eines grundsätzlichen Gegensatzes zwischen einem durch Lernende repräsentierten Alltagswissen und einem durch Lehrende repräsentierten Wissenschaftswissen, sondern eher um die Konfrontation und Aushandlung von vielfältigem Expertenwissen auf beiden Seiten.

Zusammen mit der Berücksichtigung pädagogischer Kommunikation in Betrieben, Vereinen und in den Massenmedien verschiebt sich das Ziel der Erwachsenenbildung weiter von der Ermöglichung von Bildung zu dem des reflexiven Umgangs mit verschiedenen Wissensformen. Damit ist nicht das Aufgeben eines repräsentationalen Wissensbegriffs und eines Anspruchs auf Wissensvermittlung gemeint, sondern die Berücksichtigung der gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Einbindung von Wissensproduktion und -distribution sowie von Aneignungsappellen.

Literatur

Böschen, S. (2017). Wissensgesellschaft. In M. Sommer, S. Müller-Wille & C. Reinhardt (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsgeschichte (S. 324–332). Stuttgart: J. B. Metzler.

Dinkelaker, J. & Kade, J. (2011). Wissensvermittlung und Aneignungsorientierung: Antworten der Erwachsenenbildung/Weiterbildung auf den gesellschaftlichen Wandel des Umgangs mit Wissen und Nicht-Wissen. Report. Zeitschrift für Weiterbildungsforschung, 34(2), 24–34.

Hof, C. (2002). Wissen als Thema der Erwachsenenbildung. In B. Dewe, G. Wiesner & J. Wittpot (Hrsg.), Professionswissen und erwachsenenpädagogisches Handeln (Beiheft zum Report. Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung, Dokumentation der Jahrestagung 2001 der Sektion Erwachsenenbildung der DGfE, S. 9–17). Bielefeld: W. Bertelsmann.

Marx, C., Goeze, A., Kelava, A. & Schrader, J. (2018). Lehrkräfte in der Erwachsenen- und Weiterbildung. Zusammenhänge zwischen Vorbildung und Erfahrung mit dem Wissen über Lehr-Lernmethoden und -konzepte. Zeitschrift für Weiterbildungsforschung, 41(1), 57–77.

Nolda, S. (Hrsg.). (1996). Erwachsenenbildung in der Wissensgesellschaft. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Rosenberg, H. (2015). Erwachsenenbildung als Diskurs. Eine wissenssoziologische Rekonstruktion. Bielefeld: transcript.

Schrader, J. (2003). Wissensformen in der Weiterbildung. In W. Gieseke (Hrsg.), Institutionelle Innensichten der Weiterbildung (S. 228–253). Bielefeld: W. Bertelsmann.

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