Christoph Wulf
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-278
Die UNESCO ist eine internationale → Organisation mit derzeit 193 Mitgliedsstaaten und eine der 17 Sonderorganisationen der Vereinten Nationen. Sie wurde am 16. November 1945 nach dem Zusammenbruch der bisherigen Weltordnung im Zweiten Weltkrieg gegründet und orientiert sich an der Leitidee: „Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden.“ Ihre Aufgabe ist die Förderung der internationalen Zusammenarbeit in den vier Bereichen Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation. Ihr Ziel ist es, in diesen Bereichen Frieden und Sicherheit zu schaffen und zu wahren, Hunger und Armut zu vermindern, die menschliche Entwicklung und den interkulturellen Dialog zu fördern und innovative Programme für eine nachhaltige Entwicklung umzusetzen. Der Einsatz für Frieden bedeutet nicht nur einen Beitrag zur Verringerung manifester Gewalt, sondern auch das Engagement für die Herstellung sozialer Gerechtigkeit, die Verwirklichung der Menschenrechte und die Entwicklung einer Kultur des Friedens (Wulf, 2013).
Bei der UNESCO wird → Bildung als Teil von Kultur begriffen und zugleich die erzieherische, bildende und sozialisierende Wirkung von Kultur betont. Durch die Annahme dieser wechselseitigen Verschränkung unterscheidet sich der Bildungsbegriff bei der UNESCO von dem weitverbreiteten utilitaristisch und ökonomisch geprägten Verständnis. Dies spiegelt sich auch in den drei grundlegenden Berichten der UNESCO der letzten 40 Jahre wider:
- „Learning to be: the world of education today and tomorrow“ („Faure Report“, 1972): Hier geht es um die Entwicklung der zwei zusammenhängenden Begriffe „lebenslange Bildung“ (→ lifelong learning) und „lernende Gesellschaft“. Betont wird das Recht jedes Individuums, für seine eigene persönliche, soziale, ökonomische, politische und kulturelle Entwicklung zu lernen.
- „Learning: the treasure within“ („Delors Report“, 1996): Hier werden die Gedanken des Faure Reports aufgegriffen und vier Pfeiler des Lernens entwickelt: lernen zu wissen, lernen zu tun, lernen zusammenzuleben, lernen zu sein. Betont wird der enge Zusammenhang zwischen dem Charakter der Gesellschaft, in der Menschen leben, und der Art und Weise des Lernens.
- „Rethinking education: towards a global common good?“ (2015): Dieser Report unterstreicht die Vorstellungen der beiden vorangehenden Publikationen und beinhaltet Überlegungen zu einem neuen Bildungsverständnis, das eine humanistische Vision von Bildung als essenziellem Gemeingut beinhaltet und die nachhaltige Entwicklung als zentrales Anliegen hervorhebt.
Gemeinsam ist diesen Schriften der Versuch, einen an den Menschenrechten orientierten Rahmen für Erziehung und Bildung in der Weltgesellschaft zu entwickeln.
In den letzten zehn Jahren sind in Deutschland v. a. drei Entwicklungen durch die UNESCO angestoßen worden:
- Inklusive Bildung: Sie zielt auf die Verbesserung der Lern- und Lebensbedingungen behinderter und marginalisierter Menschen ab (→ Inklusion – Diversität).
- Bildung für nachhaltige Entwicklung (→ Nachhaltigkeit; → Umweltbildung) und → politische Bildung im globalen Maßstab (global citizenship education): Sie sind die Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung und des Anthropozäns (Wulf, 2020).
- Kulturelle Bildung (→ ästhetisch-kulturelle Bildung): Sie fokussiert auf eine ganzheitliche, die Sinne und → Emotionen berücksichtigende, auf den Menschenrechten beruhende Bildung.
Für die Erwachsenenbildung sind die Arbeiten des UNESCO-Instituts für Lebenslanges Lernen (UIL) in Hamburg als internationales Forschungs-, Informations- und Dokumentationszentrum im Bereich der → Erwachsenen- und Weiterbildung von zentraler Bedeutung. Das UIL konzentriert sich auf die → Alphabetisierung, auf non-formale Bildung und auf Lernmöglichkeiten marginalisierter und benachteiligter Gruppen, unterstützt Capacity Building und fördert Netzwerkarbeit (Adult Learning Documentation and Information Network, ALADIN) und Partnerschaften. Es ist an der Organisation der internationalen Konferenzen zur Erwachsenenbildung (CONFINTEA) und am Programm Learning Cities beteiligt.
Literatur
United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization. (Hrsg.). (2015). Rethinking education: towards a global common good? Paris (FR): UNESCO.
Wallenhorst, N. & Wulf, C. (Hrsg.). (2023). Handbook of the Anthropocene. Berlin: Springer Nature.
Wulf, C. (2020). Bildung als Wissen vom Menschen im Anthropozän. Weinheim: Beltz Juventa.
Wulf, C. (2013). Anthropology. A continental perspective. Chicago (US): University of Chicago Press.