Unterricht

Tim Stanik

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-279

In der Fach- und Forschungsliteratur der Erwachsenen- und Weiterbildung der letzten Dekaden findet U. als der zentrale Begriff der Schulpädagogik kaum noch Verwendung. Waren bis in die 1960er Jahre Bezeichnungen wie „Erwachsenenunterricht“ oder „Kursunterricht“ noch geläufiger, um sich z. B. vom Erziehungsauftrag der Schule abzugrenzen, hat sich die Bezeichnung „Kurs“ als Sammelbegriff für institutionelle, gruppenbezogene Lehr-Lern-Kontexte in der Erwachsenenbildung durchgesetzt. Lediglich qualifizierende Veranstaltungen (abschlussbezogene Weiterbildung), Angebote im Fernlernen (Fernstudium; Fernunterricht) oder im (Fremd-)Sprachenbereich (Deutsch als Zweitsprache; Fremdsprachen) werden in der Erwachsenenbildung noch als U. bezeichnet.

Der Begriff U. fokussiert in Abgrenzung zum Kursbegriff auf eine stärker durch Curricula und/oder durch Lehrende festgelegte, intentionale, fach- und sachlogische Vermittlung (Aneignung – Vermittlung) von Wissen. Während im schulpädagogischen Diskurs verschiedene Ansätze von U. differenziert werden (z. B. handlungs-, schüler- oder projektorientierter U.), ist es in der Erwachsenenbildung üblich, zwischen Veranstaltungsformen zu unterscheiden (z. B. Seminare, Trainings, Workshops, Exkursionen), in denen U. ein spezifisches Lehr-Lern-Format darstellen kann.

Für die Gestaltung von U. wird mikrodidaktisches Handeln notwendig (didaktische Handlungsebenen), das die Planung, Durchführung sowie Evaluation der Lehr-Lern-Prozesse umfasst (Lernevaluation). Dabei werden didaktische Entscheidungen bezüglich der Reichweite und Abstufung der Lehr-Lern-Ziele, der Auswahl und Aufbereitung (didaktische Rekonstruktion und Reduktion) der Lerninhalte (Inhalte – Themen) und der Art und Weise deren Vermittlung (Methoden; Medien in Lehr-Lern-Prozessen; Sozialformen) sowie der Überprüfung der Lernergebnisse getroffen. Diese didaktischen Entscheidungen sind sowohl zueinander (z. B. Passung von Lehr-Lern-Zielen zu Lerninhalten, Lernmethoden und -medien) als auch in ihrer zeitlichen Abfolge bzw. Dramaturgie aufeinander abzustimmen (Zeit). Eine Besonderheit der Erwachsenenbildung ist es, dass didaktische Entscheidungen immer mit den Lernvoraussetzungen, Lernerfahrungen (Erfahrungen – Erfahrungsorientierung) und Lernzielen der Teilnehmenden (Teilnehmerorientierung) sowie mit den organisationalen Rahmenbedingungen (z. B. Räume, Zeiten) und den jeweiligen Profilen der Weiterbildungsanbieter zu relationieren sind. U. ist zwar didaktisch zu planen, aber immer auch emergent und kontingent und daher so offen und flexibel zu halten, dass Lehrende auf situative Lehr-Lern-Dynamiken hinreichend reagieren können.

In der Erwachsenenbildung gibt es i. e. S. keine domänenspezifische Unterrichts- bzw. Lehr-Lern-Forschung, in deren Rahmen die fachlichen Vermittlungsprozesse und die daraus resultierenden Lernergebnisse zueinander in Beziehung gesetzt werden. Stattdessen überwiegen unter dem Begriff „Kursforschung“ rekonstruktive Analysen, bei denen Interaktionsprozesse, Muster der Raumaneignungen oder Machtstrukturen untersucht werden (Forschungsmethoden). Dies hat zur Folge, dass bislang keine empirisch fundierten Qualitätsmerkmale (Qualität) von fachbezogenem U. in der Erwachsenenbildung ermittelt worden sind.

Aufgrund der umfassenden Digitalisierungsprozesse ist zu erwarten, dass U. nicht mehr vornehmlich als Interaktion in körperlicher Ko-Präsenz von Lehrenden und Teilnehmenden, sondern zunehmend als synchroner und asynchroner digitaler Kommunikationsprozess (digitales Lernen) zu realisieren und auch empirisch zu untersuchen sein wird. Vor diesem Hintergrund wird es notwendig sein, sowohl didaktische Konzepte und Modelle von digitalisiertem U. (Didaktik – Methodik) als auch entsprechende Forschungsdesigns zu deren Analyse für die Erwachsenenbildung zu entwickeln.

Literatur

Hippel, A. von, Kulmus, C. & Stimm, M. (2019). Didaktik der Erwachsenen- und Weiterbildung (utb 5012). Paderborn: Ferdinand Schöningh.

Kade, J. & Nolda, S. (2014). Kurse. In J. Dinkelaker & A. von Hippel (Hrsg.), Erwachsenenbildung in Grundbegriffen (S. 143–149). Stuttgart: Kohlhammer.

Merkens, H. (2010). Unterricht. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS.

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