Rezepte – Rezeptologien

Annika Goeze

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-245

Der Begriff Rte. geht etymologisch auf die Anweisung des Arztes zur Herstellung von Heilmitteln (lat. recipe nimm, verwende) zurück. In der erziehungswissenschaftlichen Diskussion werden unter Rezepten Handlungsanweisungen für pädagogisch Tätige verstanden, unabhängig davon, ob sie an pädagogische Laien (z. B. Eltern) oder an pädagogische Expertinnen und Experten (z. B. Kursleitende in der Erwachsenen- und Weiterbildung) gerichtet sind. Sammlungen solcher Rte., die auch die Anleitungen für den Umgang mit ihnen beinhalten, werden als Rto. bezeichnet. Diese können inhaltlich-thematisch (Inhalte – Themen) und medial (Medien in Lehr-Lern-Prozessen) unterschiedlich ausgestaltet sein. Sie eint jedoch der Anspruch, den Rezipierenden allgemeingültig wirksame Hilfestellungen für das Erreichen einer gewünschten pädagogischen Zielsetzung geben zu wollen. Dies erfolgt zumeist auf der Mikroebene der Lehr-, Lern- und Beratungsprozesse und unter Berücksichtigung von Erfahrungsgrad (Erfahrungen –
Erfahrungsorientierung
), Themenbereich und pädagogischer Herausforderung. In der Form von Ratgeber-Literatur haben solche Rto. als Genre schon seit der Antike (z. B. Cicero, Seneca) die Funktion, komplexe soziale Interaktionen auf überschaubare Wenn-Dann-Beziehungen reduzieren zu können. Sie zeugen somit von dem zeitlosen menschlichen Grundbedürfnis, auch in erwartbar (über-)fordernden Situationen handlungsfähig bleiben zu wollen. Es verwundert daher nicht, dass Rto. insb. bei pädagogisch Unerfahrenen gefragt sind (Krüger & Konrad, 2019).

Lange Zeit galt, dass die Nachfrage nach Rto. durch praktisch Tätige ähnlich hoch ist wie deren Ablehnung durch Erziehungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Seit dem Aufkommen eines wissenschaftlichen Diskurses über den Stellenwert von Rezepten und der verstärkten Verbreitung von Rto. in den 1970er Jahren herrscht(e) in der Erziehungs- bzw. Erwachsenenbildungswissenschaft weitgehender Konsens, dass sich pädagogisches Handeln gerade nicht wie eine Technologie in der rezeptförmigen Anwendung universeller Regeln erschöpft: „Es wurde unterstellt, daß […] Rezepte ‚Erfahrungen ersparen können‘, indem sie über einen Erfahrungsaustausch vermittelt werden; daß in der Literatur zusammengefaßte Rezeptologien quasi ‚vom Blatt abzulesen sind‘ […]“ (Kade, 1990, S. 43) und situationsinvariant eins zu eins sinnvoll umsetzbar seien. „Jede der vorstehenden Unterstellungen hat sich als Fehlannahme erwiesen“ (ebd.). Dieses „Nebeneinander von Rezeptabwehr durch wissenschaftliche Pädagogik und Rezeptvermittlung auf der Ebene der Initiation“ (Drerup, 1988, S. 107–108) in die (neben-)berufliche Tätigkeit von Lehrenden wird in jüngerer Zeit als destruktiv kritisiert. Denn im Theorie-Praxis-Verhältnis (Theorie und Praxis) einer Handlungswissenschaft lässt sich „der Anspruch, ein  – irgendwie – handlungsleitendes Wissen zu produzieren, von erziehungswissenschaftlicher Seite auch nicht pauschal zurückweisen“ (Krüger & Konrad, 2019, S. 92).

In der Erwachsenenbildungswissenschaft wurde mit der Methode der fallbasierten Weiterbildung eine Möglichkeit entwickelt und erforscht, die Praxistauglichkeit und Handlungsrelevanz nicht nur von wissenschaftlichem Wissen für das Denken und Handeln von (angehenden) Praktikerinnen und Praktikern in der Erwachsenen- und Weiterbildung unter Beweis zu stellen, sondern auch die Wertigkeit von gewonnenem Erfahrungswissen für deren urteilskräftiges pädagogisches Denken und Handeln aufzuzeigen. In diesem Konzept kann bewusst zur Verfügung gestelltes, durchaus auch rezeptförmiges, erfahrungsbasiertes Professionswissen (Profession) – ebenso wie wissenschaftliches Wissen – immer dann eine konstruktive Rolle spielen, wenn es an einem konkreten pädagogischen Fall dahingehend geprüft wird, ob es hilft, diesen besser deuten und verstehen sowie darauf basierend angemessener handeln zu können.

Literatur

Drerup, H. (1988). Rezeptologien in der Pädagogik. Überlegungen zur neueren schulpädagogischen Ratgeberliteratur. Bildung und Erziehung, 40(1), 103–121.

Kade, S. (1990). Handlungshermeneutik. Qualifizierung durch Fallarbeit. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Krüger, J. O. & Konrad, S. (2019). Neues aus der pädagogischen Apotheke? Zur Thematisierung von Wirksamkeitsversprechen in Ratgebern für Lehrer*innen. In J. O. Krüger & T. Müller (Hrsg.), Wirksamkeit als Argument (S. 89–101). Berlin: epubli.

Regulative der Weiterbildungsbeteiligung
Schlüsselqualifikationen