Qualifikation

Rolf Arnold

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-237

Der Begriff Q. ist ein Produkt der „realistischen Wende“ der Erwachsenenbildung und insb. der Berufspädagogik (Berufsbildung) der 1970er Jahre. Er löste den eher auf das Subjekt und seine Potenzialentfaltung gerichteten Begriff Bildung ab und drückt demgegenüber eine verstärkte Orientierung auf ökonomischen und gesellschaftlichen Bedarf aus.

Mit diesem gewandelten Bildungsdenken veränderte sich auch die Erwachsenenbildung. Sie wandelte sich im Selbstverständnis vieler Anbieter zur „Weiterbildung“ und trug damit auch auf der begrifflichen Ebene einer Entwicklung Rechnung, die sich in der Praxis der Erwachsenenbildung schon längst vollzogen hatte. Mit dem Begriff „Weiterbildung“ hatte bereits der Deutsche Bildungsrat (1970) in seinem „Strukturplan für das Bildungswesen“ nicht nur die Notwendigkeit eines lebenslangen Lernens (lifelong learning) markiert, sondern auch eine deutlichere Ausrichtung des Erwachsenenlernens an den tatsächlichen Bedarfen von Arbeitsmarkt und Gesellschaft gefordert. Bei einer genaueren Begriffsanalyse stellt man fest, dass der Qualifikationsbegriff einerseits enger ausgerichtet ist als der traditionelle Bildungsbegriff, da er nicht universell kulturorientiert, sondern arbeitsorientiert ist; andererseits ist er aber auch weiter gefasst als die überlieferten berufspädagogischen Begriffe wie „Fähigkeiten“ und „Fertigkeiten“. Q. stellt
sich dabei als eine zukunfts- und anforderungsbezogene Kategorie dar, die insofern auch als Ausdruck einer „realistischen Wende“ in der Erwachsenenbildung angesehen werden kann, als mit dieser die curriculumstrategische Perspektive (Curriculum) verbunden war, Qualifikationen zur Bewältigung späterer Lebenssituationen zu vermitteln.

Neben dieser curriculumstrategischen Relevanz des Qualifikationsbegriffs kommt ihm auch eine berufstheoretische Bedeutung zu (Georg & Sattel, 2020). Q. konstituiert über rechtsverbindliche Regulierungen (z. B. in den Aus- und Fortbildungsordnungen) Berufe bzw. berufliche Handlungskompetenzen (Kompetenz). Deshalb ist die Frage nach der Qualifikationsorientierung des Erwachsenenlernens auch eng mit der Frage nach der Zukunft der Beruflichkeit in modernen Gesellschaften verknüpft. Strittig ist, ob sich die Arbeitswelt (Arbeit) zukünftig mehr und mehr „entberuflicht“, d. h. verstärkt Arbeitskräfte mit rasch veraltenden und ständig zu erneuernden Qualifikationen benötigt, oder sich gar eine „neue Beruflichkeit“ im Sinne einer zunehmenden Nachfrage nach höher und flexibler qualifizierten Arbeitskräften entwickelt.

Im Zusammenhang mit den technologischen und arbeitsorganisatorischen Wandlungen haben sich auch die Qualifikationsanforderungen seit Mitte der 1980er Jahre grundlegend verändert. Dabei wurde auch der enge arbeitsmarkt- und unmittelbar verwendungsorientierte Qualifikationsbegriff der 1970er Jahre aufgelöst. Es wurde deutlich, dass modernisierte Facharbeit in vielen Bereichen mehr voraussetzt als den „Besitz“ spezialisierter Fachqualifikationen. Neben das Know-how müssen immer stärker das Know-how-to-know sowie die Fähigkeit zur selbstständigen Problemlösung und zur Kooperation treten. Zwar wurde bereits in den 1970er Jahren verschiedentlich auf die Bedeutung einer „extrafunktionalen“ (Ralf Dahrendorf) oder „prozessübergreifenden“ Q. (Horst Kern & Michael Schumann) hingewiesen, doch erst die 1980er und 1990er Jahre brachten die Erweiterung der qualifikationsorientierten Berufsbildung in Richtung Schlüsselqualifikationen und Kompetenzentwicklung. Die Weiterung des Qualifikations- zum Kompetenzlernen geht mit einer Funktionssymbiose einher, für deren theoretisch angemessene Würdigung die Erwachsenenpädagogik überlieferte Denkformen und Diskussionsschemata vielfach erst noch überwinden muss.

Literatur

Arnold, R., Lipsmeier, A. & Rohs, M. (Hrsg.). (2020). Handbuch Berufsbildung (3. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS.

Deutscher Bildungsrat. (Hrsg.). (1970). Strukturplan für das Bildungswesen. Stuttgart: Ernst Klett.

Georg, W. & Sattel, U. (2020). Berufliche Bildung, Arbeitsmarkt und Beschäftigung. In R. Arnold, A. Lipsmeier & M. Rohs (Hrsg.), Handbuch Berufsbildung (S. 219–232). Wiesbaden: Springer VS.

Rauner, F. (2020). Gestaltung von Arbeit und Technik. In R. Arnold, A. Lipsmeier & M. Rohs (Hrsg.), Handbuch Berufsbildung (S. 65–78). Wiesbaden: Springer VS.

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