Lifelong learning

Ekkehard Nuissl

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-191

Der Begriff l. l. hat sich in der angelsächsischen Erwachsenenbildung in den 1980er Jahren entwickelt. Zentral sind international die Gutachten von Edgar Faure et al. („Faure-Report“) aus dem Jahr 1972 („Learning to be“) und von Jacques Delors („Delors-Report“) aus dem Jahr 1996 („Learning: the treasure within“). Bis in die 1990er Jahre wurde allerdings überwiegend von education gesprochen; der Begriff learning trat erst im Zuge des Paradigmenwechsels vom Lehren zum Lernen in den Vordergrund. In Deutschland taucht der Begriff l. l. erstmals explizit im Jahr 1994 auf. In direkter Übersetzung aus dem Englischen verwendet man auf Deutsch die Bezeichnung „lebenslanges Lernen“.

Seit 1995 wird auch in Deutschland verstärkt über l. l. gesprochen. Im Jahr 1996, als die Europäische Union das „European Year of Lifelong Learning“ ausrief, benutzte man zeitweilig auch den Terminus „lebensbegleitendes Lernen“ (wohl um die Konnotation zum juristischen Begriff „lebenslänglich“ zu vermeiden). Gelegentlich wird in Deutschland auch von „lebensbreitem Lernen“ gesprochen; dies entspricht einer Eindeutschung des englischen life-wide learning, mit dem nicht nur die Dauer, sondern auch die alltägliche Reichweite des Lernens bezeichnet werden soll.

Die grundlegende Bedeutung des Begriffs l. l. liegt in der Abkehr von der Vorstellung, das v. a. auch berufliche Lernen (Berufsbildung) der Menschen sei mit dem Abschluss einer berufsqualifizierenden Ausbildung abgeschlossen, und führt somit weg von der Einstellung „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“. Insb. die immer rascheren und grundlegenderen Veränderungen in der Berufswelt (Arbeit) und im Alltagsleben (Alltag) (z. B. durch die Digitalisierung und Globalisierung) erforderten und erfordern das stetige Weiterlernen der Menschen mit Blick auf Aktualisierung, Veränderung und Neubeginn.

Im europäischen Ausland hat l. l. eine weit längere und differenziertere Geschichte als in Deutschland:

  • Als recurrent education ist es eine angelsächsische Konzeption, liberal und pragmatisch, die Gleichheit und Effizienz miteinander verbinden will, stark ökonomischen Zielen verpflichtet ist und auf die Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD, 1973) zurückgeht.
  • Als lifelong education, vorgetragen von der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) (Dave, 1976), zielte es auf die Notwendigkeit, v. a. in entwicklungsorientierten Ländern eine kulturelle und nationale Identität zurückzuerlangen und materielle Not zu bewältigen.
  • Als éducation permanente ist das Konzept dem frankophonen Aufklärungsbestreben (Aufklärung), Wissenschaft und Kunst für die Lebenspraxis der Bevölkerung zu erschließen, verpflichtet; in dieser Richtung hat sich auch der Europarat (1970) artikuliert.

L. l. spielt in der europäischen Bildungspolitik seit langem eine große Rolle, indem es bildungspolitischer Ausdruck dafür ist, dass die Kompetenzen der arbeitenden Menschen an neue Techniken und Anforderungen angepasst werden müssen und die Europäische Gemeinschaft allein von einer allseitigen Entwicklung der Personen und ihrer staatsbürgerlichen Aktivitäten abhängt. In den europäischen Programmen, die Erwachsenenbildung thematisieren, wird seit 1996 immer häufiger der Begriff des l. l. statt der „Erwachsenenbildung“ (bzw. adult education) verwendet. Dies führte bildungspolitisch allerdings auch dazu, dass der Bereich der Weiterbildung in der finanziellen Förderung teilweise unspezifisch wurde – die Lernkompetenz, die für ein individuelles l. l. unabdingbar ist, wird in früher Jugend eher erworben als im Erwachsenenalter (Entwicklungspsychologie des Erwachsenenalters).

Eine wichtige Grundlage bildet das Konzept des l. l. für die mittlerweile differenzierten und in Regelsysteme überführten Verfahren der Anerkennung informellen Lernens (formale – non-formale – informelle Bildung), der Kompetenzorientierung von Lernen und der zunehmend flexibleren und variableren Übergänge zwischen Bildungsgängen und Bildungsinstitutionen (Übergänge im Bildungssystem). Bei aller Unterschiedlichkeit in den einzelnen Ländern ist diese Entwicklung in allen Ländern der Europäischen Union zu beobachten.

Kritisch eingewandt wird gegen das Konzept des l. l. insb., dass es einen starken moralischen Impuls für die Menschen setze und zur Pädagogisierung aller Lebensbereiche führen könne.

Literatur

Dave, R. H. (2014). Foundations of lifelong education. Studies in lifelong education. Burlington (US): ­Elsevier Science.

Europarat. (1970). Permanent education. A compendium of studies commissioned by the Council for Cultural Co-operation, a contribution to the United Nations’ international education year. Strasbourg (FR): Europarat.

European Association for the Education of Adults. (2015). Manifest für Erwachsenenbildung im 21. Jahrhundert. Brüssel (BE): EAEA.

Nuissl, E. (2007). Das „Memorandum Lebenslanges Lernen“ (2000) der Europäischen Kommission. In
R. Koerrenz, E. Meilhammer & K. Schneider (Hrsg.), Wegweisende Werke zur Erwachsenenbildung (Reihe ­Edition Paideia, S. 545–556). Jena: IKS Garamond.

Organisation for Economic Co-operation and Development. (1973). Recurrent education: a strategy for lifelong learning. Paris (FR): OECD.

Lesegesellschaften
Literalität – Numeralität