Lehr-Lern-Forschung

Josef Schrader

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-175

Die L.-L.-F. beschäftigt sich mit der Beschreibung, Analyse und Erklärung von Lehr-Lern-Prozessen. In einer Verlaufsperspektive geht es um Voraussetzungen, Prozesse und Ergebnisse, bei didaktischer Betrachtung um Lehr-Lern-Ziele, Inhalte, Methoden und Medien in Lehr-Lern-Prozessen sowie Wirkungen organisierter Bildungsprozesse (Erträge von Erwachsenen- und Weiterbildung). Ihrem Anspruch nach betont die ­L.-L.-F. das pädagogische und soziale Geschehen in der Lerngruppe (Gruppendynamik), nicht die Analyse isolierter Aktivitäten von Lehrenden und Lernenden. Bildungsbereichsübergreifend findet derzeit ein Angebots-Nutzungs-Modell der Wirkungen organisierter Lehr-Lern-Prozesse breite Anwendung, das die Komplexität des Lehr-Lern-Geschehens und mögliche Einflussfaktoren (z. B. Bildungseinrichtung, Lerngruppe, Lehrkräfte, Lernende) berücksichtigt. Angenommen wird eine „doppelte Kontingenz“ des Lehr-Lern-Geschehens, weil Lehrkräfte und Teilnehmende nicht sicher wissen können, ob die Angebote, die sie einander machen, auch genutzt werden (Helmke, 2012).

In der Geschichte der Erwachsenenbildung herrschte stets Konsens, dass das Lehr-Lern-Geschehen als „Herzstück einer Erwachsenen- und Weiterbildungsforschung gelten kann“, so der Wortlaut im Forschungsmemorandum Erwachsenenbildung aus dem Jahr 2000. Daher wurden Rahmenmodelle vorgelegt, die diesbezügliche Forschung anregen sollten. So haben Hans Tietgens und Johannes Weinberg (1971) ein Modell für das Lernen Erwachsener im „Feld“ (Kurt Lewin) des Lehrens und Lernens entwickelt, in dem die „Passung“ von Lehr- und Lernaktivitäten eine wichtige Voraussetzung für Lernerfolg darstellt. Jüngere Modelle haben Angebots-Nutzungs-Wirkungs-Modelle auf die Erwachsenenbildung übertragen und in eine Mehrebenenstruktur integriert (Schrader, 2018).

Die empirische L.-L.-F. in der Erwachsenenbildung ist vielfältig, aber wenig konturiert. Für die Weimarer Zeit liegen lediglich vereinzelte Erfahrungsberichte reflektierter Praktiker vor, bspw. zum Lernen in Arbeitsgemeinschaften. In der Bundesrepublik beginnt die empirische L.-L.-F. mit der Etablierung der Erwachsenenbildung an Universitäten. Inzwischen liegt eine beachtliche Zahl qualitativer und quantitativer Studien vor, die sich meist auf verbale Daten konzentrieren und unterschiedliche Phänomene des Angebots und der Nutzung von Lehr-Lern-Gelegenheiten adressieren. In den 1970er Jahren haben Horst Siebert und Herbert Gerl, gestützt z. B. auf standardisierte Verlaufsprotokolle, teilnehmerorientiertes Handeln in der Interaktion von Lehrenden und Lernenden analysiert. Die Studie zum Bildungsurlaubs-Versuchs- und Entwicklungsprogramm (BUVEP) (1979–1981) beschäftigte sich auf der Grundlage von Unterrichtsprotokollen mit den Herausforderungen „innersprachlicher Mehrsprachigkeit“, hier gerichtet auf die Vermittelbarkeit der kognitiven Strukturen von Lehrenden und Lernenden und ihre Präferenz für Wissenschafts- und Alltagswissen. In den 1990er Jahren hat Josef Schrader auf der Basis standardisierter Befragungen Typen von Veranstaltungen nach Mustern didaktischer Gestaltung klassifiziert und mit Blick auf ihre Passung zu den Lerngewohnheiten der Teilnehmenden (Lernstile; Lernverhalten) analysiert. Sigrid Nolda zeigte in Interaktions- und Konversationsanalysen von videografierten Kursen, dass Lehrende und Lernende Erwachsenenbildung (auch) als Raum reziproker Autonomiedarstellungen (Autonomie) und als wechselseitige Inszenierungen von Kompetenz nutzen. Rolf Arnold et al. haben die Relevanz von Deutungsmustern, von stereotypen Sichtweisen und Interpretationen der Lernenden für die Wahrnehmung und Bewertung des angebotenen Wissens untersucht. In den 2000er Jahren hat schließlich die Arbeitsgruppe zur videografischen Kursforschung um Jochen Kade und Sigrid Nolda ihre Aufmerksamkeit auf Aktivitäten von Lehrkräften (Lehren), aber auch von Teilnehmenden gelenkt, die darauf gerichtet sind, eine pädagogische Situation überhaupt erst herzustellen und aufrechtzuerhalten.

Charakteristisch für die L.-L.-F. in der Erwachsenenbildung ist, dass sie sich überwiegend an allgemeindidaktischen Fragestellungen (Didaktik – Methodik) orientiert und Fragen der Fachdidaktik (Fachbereich – Fachdidaktik) ausblendet. Was ebenfalls noch durchgehend fehlt, ist die Evaluation des Zusammenspiels von Merkmalen des Angebots und seiner Nutzung für die Wirkungen von Lehr-Lern-Prozessen (Zufriedenheit, Lernerfolg, Output, Outcome).

Literatur

Helmke, A. (2012). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts (Reihe Schule weiterentwickeln – Unterricht verbessern, Orientierungsbd., 4., überarb. Aufl.). Seelze: Klett-Kallmeyer.

Schrader, J. (2018). Lehren und Lernen in der Erwachsenen- und Weiterbildung (Lehrbuchreihe Erwachsenen- und Weiterbildung. Befunde – Diskurse – Transfer, Bd. 1, 2. Aufl., utb 4967). Bielefeld: wbv Publikation.

Tietgens, H. & Weinberg, J. (1971). Erwachsene im Feld des Lehrens und Lernens (Reihe Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung). Braunschweig: Westermann.

Lehrerbildung, 3. Phase
Lehr-Lern-Ziele