Internationale Zusammenarbeit

Philipp Gonon

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-153

Bereits im 19. Jh. ließ sich die Erwachsenenbildung nicht im Rahmen nationaler Grenzen fassen, auch wenn durch diese, ähnlich wie durch die stark auf die Nation ausgerichteten Volksschulen, zunächst vorwiegend elementare Bildung vermittelt werden sollte. Die Bildung für Erwachsene war darauf ausgerichtet, fehlende Kenntnisse nachzuholen oder aber zusätzliche Wissensgebiete für den Beruf oder das soziale und gesellschaftliche Leben zu erwerben. Neben staatsbürgerlicher bzw. politischer Bildung waren Grundkenntnisse wie Lesen, Schreiben, Rechnen und Buchhaltung (Literalität –
Numeralität
), aber auch Zeichnen und Fremdsprachen ebenso bedeutsam wie die Kenntnisnahme von wissenschaftlichem Wissen. Je nach Land wurden diese Bildungsaufgaben anders organisiert und gelöst, sodass insb. die Etablierung neuer nationaler Bildungsformen und -angebote internationale Aufmerksamkeit gewann. Verschiedene Nationen beobachteten sich in Bezug auf ihre Volksbildung gegenseitig, traten in Kontakt, besuchten sich, ließen sich inspirieren und übernahmen von Fall zu Fall Teile des Vorgefundenen.

Der deutsche Pädagoge und Schüler Herbarts Wilhelm Rein bereiste in der zweiten Hälfte des 19. Jh. – bedingt durch seine Vorträge – verschiedene Länder wie England, die USA und Dänemark. Er propagierte Fortbildungskurse (Fortbildung) für breite Bevölkerungskreise an den deutschen Universitäten nach dem angelsächsischen Vorbild (University Extension) (Popularisierung). Ebenso setzte er sich für die Ausbreitung von Volkshochschulen (vhs), wie er sie in Dänemark vorgefunden hatte, in Deutschland ein. Zusammen mit dem Botaniker Wilhelm Detmer begründete er im Zeitraum von 1889 bis 1912 Ferienkurse an der Universität Jena – zunächst als Fortbildungskurse für Lehrer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, später für andere Interessierte aus allen Ländern (Grundig de Vazquez, 2020). Auch der schweizerische Lehrerseminardirektor Fritz Wartenweiler verweilte längere Zeit an dänischen vhs, um dieses Konzept und entsprechende Bildungsstätten in der Schweiz einführen zu können.

Umgekehrt ließ sich der englische Pädagoge Sir Michael E. Sadler von Deutschland inspirieren, nachdem er sich in München mit dem damals prominenten Reformpädagogen Georg Kerschensteiner über Bildungsreformen austauschte und mit ihm zusammen verschiedene berufliche Fortbildungsschulen vor Ort besuchte. Mit seiner 1907 erschienenen Veröffentlichung „Continuation Schools in England and Elswhere“ wollte er für England solche Institutionen und den Aufbau eines beruflichen Bildungswesens (Berufsbildung) nach deutschem Vorbild etablieren (Phillips, 2006, S. 50). Die späteren Berufsschulen – in der Entstehungsphase als berufliche oder gewerbliche „Fortbildungsschulen“ bezeichnet – waren zunächst für Erwachsene und Jugendliche zugleich konzipiert.

Die punktuelle Kontaktaufnahme und i. Z. in den genannten Einzelprojekten basierten auf der Initiative von einzelnen Personen, die sich für spezifische Bildungsformen und -strukturen engagierten und dafür interessierten, das eigene Bildungswesen weiterzuentwickeln und zu differenzieren. Dazu reisten sie vor Ort, um sich durch fachkundige Prüfung und Austausch mit den bereits Praktizierenden ein Bild von den entsprechenden Institutionen zu machen, um diese als Innovationen im heimischen Kontext einführen zu können. Diese Motivlage spielt bis heute eine gewisse Rolle, auch wenn diese Erkundungsmissionen und der damit verknüpfte gegenseitige Austausch v. a. in Zeiten des Aufbaus und der Expansion des Bildungswesens nur phasenweise ein besonderes Gewicht haben (Gonon, 2004). Globale Trends und Vorbilder im erziehungswissenschaftlichen Diskurs können somit unter Beachtung der regionalen und lokalen Ansprüche zu Formen der internationalen Z. führen, die auf der Adaption vorhandener Konzepte beruhen (Steiner-Khamsi & Stolpe, 2006). Eine besondere Variante des grenzüberschreitenden Austauschs und der damit einhergehenden Reformanstöße liegt in der Europäisierungsdynamik, die in der Erwachsenenbildung zum weiteren Ausbau von Fremdsprachkursen (Fremdsprachen) führte. Auch finanziert die Europäische Union seit Jahren Projekte, die auf i. Z. und Innovationen der Erwachsenenbildung in Europa setzen (European Commission, 2015).

I. Z. in der Erwachsenenbildung ergibt sich darüber hinaus, wenn Bildung in einen wirtschaftlichen, beruflichen und technischen Austausch eingebunden ist: Bildung ist dann ein Mittel bzw. Instrument, um andersgeartete Zielsetzungen zu erreichen. Die Übertragung von beruflichen Bildungsprogrammen kann bspw. auf die Unterstützung und den Aufbau von neuen Produktionsstätten oder gesamten Industrien zielen. Eine solche i. Z. geht weit über Bildungsmaßnahmen hinaus und schließt oft die Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren aus Politik und Gesellschaft ein. Die Etablierung von Bildungsstätten ist dann lediglich Bestandteil eines umfassenden Austauschs der Beteiligten vor Ort und über die Landesgrenzen hinweg.

Bei einer solchen Motivlage soll zumeist die Übertragung von Bildungsangeboten und -konzepten die wirtschaftliche Zusammenarbeit unterstützen, ergänzen oder substituieren. Doch ebenso wird allgemein Einfluss auf die Politik des entsprechenden Partnerlands ausgeübt. Insofern sind diese Formen der internationalen Z. meist auf längere Zeiträume angelegt und bedürfen eines finanziellen Engagements der Geberseite sowie ein entsprechendes Commitment der Empfängerseite. Im Vordergrund stehen dann nicht mehr ausschließlich Bildungsakteure, sondern i. d. R. auch staatlich-administrative Vertreter sowie lokale oder international tätige Unternehmen, Non-Governmental Organizations (NGO) und Sponsoren (nationale Agenturen und insb. internationale Vereinigungen), aber auch transnationale Organisationen (z. B. Asian Development Bank (ADB), European Union (EU), International Labour Organization (ILO), Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD), World Bank).

Die beteiligten Behörden, Organisationen und Regierungen sehen in dieser Form der internationalen Z. jeweils eigene Vorteile, z. B. wenn Deutschland seine Expertise zum dualen System der Berufsbildung „interessierten Partnerländern zur Verfügung stellt“, wie es im BMBF-Strategiedokument der deutschen Bundesregierung zur „Internationalen Zusammenarbeit in der Berufsbildung“ formuliert wird. So betont bspw. auch das schweizerische Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) die Expertise seines Landes in der dualen Berufsbildung und versucht auf diese Weise proaktiv die Chance der Internationalisierung zu nutzen. Dies ermögliche nicht nur die Stärkung der Schweizer Berufsbildung im internationalen Kontext sowie eine Förderung und Entwicklung von Partnerländern, sondern sorge ebenso für eine erfolgreiche Positionierung der Schweiz auf internationaler Ebene.

Wirtschaftliche Entwicklung wird somit häufig mithilfe von Bildung konkretisiert. Neben dem Aufbau neuer Produktionsstätten und Industrien spielen dabei auch andere Elemente zur Entwicklungsförderung von Wirtschaft und Gesellschaft eine Rolle, z. B. die Alphabetisierung und Grundbildung für bestimmte Zielgruppen wie die ländliche Bevölkerung (Erwachsenenbildung in Entwicklungs- und Schwellenländern). Solche auf Poverty Reduction ausgerichtete Unterstützungsmaßnahmen sind v. a. auf eine Zusammenarbeit vor Ort angewiesen und beanspruchen eine spezifische Bildungsexpertise bspw. bei Fragen nach der Wirksamkeit und sinnvollen Verwendung der Mittel oder bei entsprechenden Evaluationen.

Die im Jahr 2000 von den United Nations (UN) und Vertreterinnen und Vertretern der World Bank, des International Monetary Fund (IMF) und der OECD formulierten Zielsetzungen (Millennium Development Goals) beruhen ebenso wie die im Jahre 2015 beschlossenen Sustainable Development Goals auf solchen langfristigen und stabilen Formen der internationalen Z. (Netzwerke – Kooperationen). In eine ähnliche Richtung bewegt sich die vonseiten der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) initiierte International Conference on Adult Education (­CONFINTEA), die in regelmäßigen Abständen für gemeinsame Beratungen und Treffen die Global Adult Education Community zusammenführt. Auch eine Vielzahl weiterer internationaler Orga­nisationen aus dem Bereich der Erwachsenenbildung, so z. B. der European ­Association for the Education of Adults (EAEA), der International Council for Adult Education (ICAE) und der Asia South Pacific Association for Basic and Adult Education (ASPBAE) arbeiten mit dem Deutschen Volkshochschul-Verband (DVV) zusammen, welcher bereits zu Zeiten der Weimarer Republik eine internationale Ausrichtung institutionell verankerte, und setzen sich im Rahmen lebenslangen Lernens (lifelong learning) für globale Zielsetzungen ein (Hinzen, 2021).

Die i. Z. in der Erwachsenenbildung umfasst demgemäß ein breites Spektrum an Formen: von der gegenseitigen Beratung über gemeinsame Arbeitsgruppen, bildungspolitischen und wissenschaftlichen Austausch, Beiräte und Steuerungsgremien bis hin zur direkten Beteiligung am Ort des Geschehens. In der Berufsbildung wird häufig von „Export“ gesprochen bzw. ein eng definierter Transfer zwischen den Beteiligten vereinbart, wenn es bspw. um die Einführung eines Berufsbildungsmodells nach deutschem Vorbild geht. Dazu wird die Zusammenarbeit über Tools definiert, um eine erfolgreiche Kooperation zu gewährleisten und den Transfer in einem gegenseitigen kulturellen Angleichungsprozess zu ermöglichen (Wolf, 2020). Dennoch ist ein solcher auf enger und langjähriger internationaler Z. beruhender Austausch bzw. ein solcher Geber-Nehmer-Transfer nie nur ein „Copy-and-Paste“. Vielmehr liefert die Geberseite ein Modell, das selbst bei engmaschiger Auslegung und Übertragung konkret auf einen anderen Kontext bezogen werden muss. Auch die Übertragungen in der Erwachsenenbildung basieren auf grenzüberschreitender Kooperation. Durch die i. Z. von Freiwilligen, NGOs und Verbänden – unterstützt durch transnationale Organisationen wie auch durch nationale Regierungen und Behörden – wird das gemeinsame Anliegen der Gewinnung benachteiligter und bildungsferner Schichten verfolgt (Tuckett, 2021). Für alle Beteiligten besteht gleichsam ein Übersetzungsproblem, wenn bspw. neue Varianten der deutschen dualen Berufsbildung in Südamerika hervorgebracht werden. Gleiches gilt in der Erwachsenenbildung, wenn bspw. die aus dem angelsächsischen Raum kommende Adult Learners Week, also einer Promotionsaktion für die breite Erwachsenenbildung, in anderen Ländern wie Deutschland und der Schweiz zu einem „Lernfest“ oder „Lernfestival“ umgepolt wird und damit Varianzen erzeugt werden.

Literatur

European Commission. (2015). An in-depth analysis of adult learning policies and their effectiveness in Europe. Luxembourg (LU): Publications Office of the EU.

Gonon, P. (2004). Travel and reform. In D. Phillips & O. Kimberley (Eds.), Educational policy borrowing: historical perspectives (Series Oxford Studies in Comparative Education, pp. 125–144). Oxford (GB): Symposium Books.

Grundig de Vazquez, K. (2020). Der pädagogische Korrespondenznachlass Wilhelm Reins: Dokumente internationaler pädagogischer Vernetzung. In R. Bolle & K. Grundig de Vazquez (Hrsg.), Herbart und Herbartianismus in Jena (S. 113–130). Jena: Garamond.

Hinzen, H. (2021). Erwachsenenbildung und Lebenslanges Lernen für die Weltgemeinschaft. Aktivitäten, Berichte und Empfehlungen. Magazin erwachsenenbildung.at, 42, 02-2–02-15.

Phillips, D. (2006). Michael Sadler and comparative education. Oxford Review of Education, 32(1), 39–54.

Steiner-Khamsi, G. & Stolpe I. (2006). Educational import. Local encounters with global forces in Mongolia. New York (US): Palgrave Macmillan.

Tuckett, A. (2021). Adult education for a change. Advocacy, learning festivals, migration and the pursuit of equity and social justice. Journal of Adult and Continuing Education, 27(1), 121–135.

Wolf, S. (2020). Tools and means to understand different TVET models in developing countries: an approach to the epistemological opening of international TVET in development cooperation. In M. Pilz & J. Li (Eds.). (2020). Comparative vocational education research (pp. 57–78). Dodrecht (NL): Springer VS.

Internationale Forschung zur Erwachsenen- und Weiterbildung
Interpretatives Paradigma