Internationale Forschung zur Erwachsenen- und Weiterbildung

Alexandra Ioannidou

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-152

Die i. F. zur Erwachsenen- und Weiterbildung ist multidisziplinär angelegt, sodass sie durch zahlreiche Disziplinen mit unterschiedlichen Blickwinkeln und verschiedenen Zielsetzungen befruchtet wird (Bezugswissenschaften), bspw. durch die Erwachsenenbildungs- und die Erziehungswissenschaft, durch die traditionellen Bezugsdisziplinen wie die Soziologie, die Politikwissenschaft, die Psychologie oder die Bildungsökonomie sowie durch neue Forschungsrichtungen wie die empirische Bildungsforschung. Je nach Fragestellung werden aus einer internationalen – nicht selten auch vergleichenden – Per­spek­tive das Lehren und Lernen von Erwachsenen, die Programme und Organisationen der Weiterbildung, die politischen und institutionellen Rahmenbedingungen oder die Wirkungen und Erträge von Erwachsenen- und Weiterbildung erforscht.

Internationale (zwischenstaatliche) und supranationale (überstaatliche) Organisationen, wie die Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD), die → ­United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) und die Europäische Union (EU), tragen mit ihren (im Fall der EU verpflichtenden) Monitoring-Studien (Monitoring) und Large-Scale-Assessment-Studien (Large Scale Assessments) zur Erhebung von internationalen Daten für den Weiterbildungsbereich bei. Beispiele sind Programme for the International Assessment of Adult Competencies (PIAAC), Global Report on Adult Learning and Education (GRALE), Literacy Assessment and Moni­tor­ing Programme (LAMP), Adult Education Survey (AES), Labour Force Survey (LFS) und Continuing Vocational Training Survey (CVTS). Diese Studien erbringen Datensätze, die inzwischen eine wesentliche empirische Grundlage für zahlreiche internationale Untersuchungen zum Lernen Erwachsener sowie zur Bewertung von Kompetenzen Erwachsener bilden. Allerdings fehlen aussagekräftige internationale Datensätze zu spezifischen Themen der Erwachsenen- und Weiterbildung, die die Forschungsvorhaben in diesen Bereichen unterstützen würden, z. B. zu Weiterbildungsanbietern, Angeboten und Programmen, zum Personal, zur Finanzierung der Weiterbildung oder zu den Erträgen von Weiterbildung. Dies spiegelt sich auch in der geringen Anzahl an internationalen Veröffentlichungen zu diesen Themen wider.

Hinsichtlich der Theorien und Methoden hat sich die i. F. zur Erwachsenen- und Weiterbildung in jüngerer Zeit wesentlich ausdifferenziert. Obwohl qualitative Forschungsmethoden und Fallstudien weiterhin dominieren (Boeren, 2017), werden vermehrt auch bibliometrische Studien und quantitative Analysen von Datensätzen mit großen Länderfallzahlen durchgeführt wie auch Mixed-Methods-Designs oder kausal-analytische Verfahren eingesetzt.

Mittels quantitativer Verfahren lassen sich eine Vielzahl relevanter Fragestellungen der internationalen F. zum Lernen Erwachsener beantworten. Besonders populär sind Fragen zur Teilnahme an Erwachsenen- und Weiterbildung und zu deren begünstigenden und hindernden Faktoren (Regulative der Weiterbildungsbeteiligung). Wenn Unterschiede zur Weiterbildungsbeteiligung erklärt oder diesbezügliche Auswirkungen von Politiken und bildungspolitischen Interventionen beleuchtet werden sollen, dann steht die Varianz institutioneller Strukturen und politischer Ökonomien von Weiterbildungssystemen im Vordergrund (Desjardins, 2017). Einen weiteren Strang der quantitativen Forschung bilden Untersuchungen zu den Wirkungen und Erträgen von Weiterbildung. Die i. F. zu den monetären Erträgen in Form von Renditen und Arbeitsmarktchancen war lange Zeit ein privilegiertes Feld der Bildungsökonomie und Bildungssoziologie. Seit einiger Zeit wird dieses Thema aber durch wissenschaftliche Untersuchungen zu den nicht-ökonomischen Erträgen wie Kompetenzzuwachs, soziale Teilhabe, Gesundheit und Wohlbefinden sowie politische Partizipation ausgeweitet (Schrader, Ioannidou & Blossfeld, 2020).

Genuine Erwachsenenbildungsthemen wie Konzeptualisierung und Institutionalisierung von Erwachsenen- und Weiterbildung bzw. Andragogik, Programm- und Organisationsforschung, Lerntheorien (Lehr-Lern-Forschung) und Erwachsenenbildungsdidaktik (Didaktik – Methodik) sowie zeitgenössische Themen wie die Analyse bildungspolitischer Programme und globaler Diskurse oder der Einfluss internationaler Organisationen werden bevorzugt mittels qualitativer Forschungsmethoden behandelt. Qualitative Studien in der Tradition historischer, interpretativer oder kritischer Sozialforschung und ethnografischer Forschung werden herangezogen, um Theorien zu generieren und weiterzuentwickeln, kausale Wirkungspfade zu beleuchten und Ergebnisse zu kontextualisieren und zu interpretieren. Einen weiteren Strang bilden Studien zur Kompetenzerfassung und Kompetenzmessung von Erwachsenen, die aus der internationalen Diskussion um Kompetenzorientierung entstanden sind und oft unter theoretischen und methodologischen Gesichtspunkten diskutiert werden (Grotlüschen, Desjardins & Liu, 2020).

In der internationalen F. zur Erwachsenen- und Weiterbildung besteht eine enge Verbindung zwischen Epochen, aktuellen Herausforderungen und der Konjunktur bestimmter Themen, Theorien und Methoden. Je nach Fragestellung sind die theoretischen Zugänge bzw. Annahmen disziplinär, interdisziplinär oder multidisziplinär ausgerichtet. Kritische Theorie, Poststrukturalismus, Konstruktivismus, feministische Theorien, Marxismus und Humankapitaltheorie (Humankapital) haben die i. F. zur Erwachsenen- und Weiterbildung seit vielen Jahren theoretisch gerahmt. Neuere Ansätze, die an Bedeutung gewinnen, sind jene der Educational Governance, des Neo-Institutionalismus sowie Theorien der vergleichenden Politik- und Wohlfahrtstaatsforschung (Wohlfahrtsstaat). Während Multidisziplinarität in der internationalen F. zur Erwachsenen- und Weiterbildung eine lange Geschichte hat, ist Interdisziplinarität im Sinne einer gezielten Integration von Theorien aus anderen Disziplinen, um die fragmentierte und begrenzte disziplinäre Wahrnehmung zu überwinden, eher ein neues Phänomen. Ein Beispiel gelungener Integration philosophischer und soziologischer Forschungsansätze zur Erklärung der „Selbstbemächtigungsfunktion“ (Empowerment) in der Erwachsenenbildung und zur Legitimierung der Erwachsenenbildung als öffentliches Gut mithilfe internationaler Survey-Daten bieten Boyadjieva und Ilieva-Trichkova (2021) in ihrer jüngst erschienenen Publikation.

Die i. F. zur Erwachsenen- und Weiterbildung weist zudem unterschiedliche regionale Schwerpunkte auf, die mit der Entstehungsgeschichte der Disziplin in den jeweiligen Regionen (Erwachsenenbildung in der Region) zusammenhängen (Rubenson & Elfert, 2015). Das Forschungsinteresse in den USA und in Kanada ist eher von den Bedürfnissen und Interessen der Praxis beeinflusst (instruktionales Lernen und Programmplanung und -organisation) und fokussiert die Lernenden – gemäß dem dominierenden US-amerikanischen Forschungsparadigma – aus einer psychologischen Perspektive. In lateinamerikanischen Ländern basiert das Forschungsinteresse auf einer emanzipatorischen Zielrichtung in der Tradition von Paolo Freire (generative Themen) und mündet oft in partizipativen Forschungsansätzen. In Europa werden häufiger die institutionellen Rahmenbedingungen und steuernden Akteure in den Blick genommen und aus der Per­spektive der Bildungssoziologie oder der politikwissenschaftlichen Bildungsforschung untersucht.

Die Heterogenität, Pluralität und Fragmentierung der internationalen F. zur Erwachsenen- und Weiterbildung bildet sich auch in den namhaften internationalen Handbüchern ab. Im „Palgrave International Handbook on Adult and Lifelong Education and Learning” wird eine gewisse Ratlosigkeit offenkundig, sowohl hinsichtlich der Begrifflichkeit (Adult and Lifelong Education and Learning) als auch hinsichtlich der Strukturierung des Forschungsfelds. So wird angemerkt, dass – entgegen der ursprünglichen Planung des Handbuchs – eine lose Gliederung „on human geography as a powerful metaphor for depicting the territory of research on adult and lifelong learning and education“ (Milana et al., 2018, S. 5) gewählt wurde.

Fejes und Nylander (2019) erwarten eine Verstärkung von Fragmentierungsprozessen, da in der zukünftigen Landkarte der internationalen F. zur Erwachsenen- und Weiterbildung Länder auftreten werden, die bis heute kaum eine Rolle gespielt haben, d. h. asiatische und afrikanische Länder. Die i. F. in diesem Bereich wurde bis dato stark von anglofonen Ländern geprägt, insb. den USA, Kanada und Großbritannien, die somit die Wissensproduktion und -dissemination (z. B. mittels akademischer Zeitschriften) anführten. Dies wird sich voraussichtlich ändern. Die hohe Dynamik aus dem südostasiatischen Raum lässt sich jetzt schon an dem Anstieg internationaler peer-reviewed Artikel asiatischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erkennen.

In der Forschungsförderung der EU im Rahmen der Programme Horizon 2020 und Erasmus+ wurden in den vergangenen Jahren kollaborative Forschungsaktivitäten zum Lernen Erwachsener über die Lebenspanne stark angekurbelt und zu international vergleichenden (international vergleichende Erwachsenenbildungsforschung) und breit rezipierten Forschungsergebnissen geführt (Blossfeld et al., 2014). Europäische Forschungsförderung weist eine hohe gesellschaftliche Relevanz auf und erfolgt im Einklang mit den politischen Prioritäten der EU, die seit vielen Jahren das lebenslange Lernen (lifelong learning) und die Förderung der Kompetenzen Erwachsener als Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit und zur Milderung von Bildungs- und sozialen Ungleichheiten betrachtet.

Bei den Publikations- und Zitationsmustern in der internationalen F. zur Erwachsenen- und Weiterbildung kann mittels bibliometrischer Studien eine klare Dominanz englischsprachiger Autorinnen und Autoren in internationalen Journals nachgewiesen werden; männliche Autoren werden zudem deutlich häufiger als ihre weiblichen Kolleginnen als „Standardreferenzen“ zitiert, obwohl es weit mehr Beiträge von weiblichen Autorinnen gibt (Fejes & Nylander, 2019, S. 128–133).

Während naturwissenschaftliche Disziplinen mit einem klar definierten Theorie- und Methodenkanon unlängst stark international ausgerichtet sind, war die Erwachsenen- und Weiterbildung aufgrund ihrer Einbettung in nationale Strukturen und historisch entstandene Forschungstraditionen lange Zeit auf die nationale Perspektive beschränkt. In den letzten Jahren hat die i. F. zur Bildung und zum Lernen Erwachsener jedoch erheblich an Bedeutung und Reputation gewonnen – dank ihrer disziplinären Offenheit, der Verfügbarkeit international vergleichender Daten, der europäischen Forschungsförderung sowie den Vernetzungs- und Kooperationsmöglichkeiten (Netzwerke – Kooperationen), die internationale Forschungsgemeinschaften wie die European Society for Research on the Education of Adults (ESREA) oder die International Society for Comparative Adult Education (ISCAE) anbieten. Der Erkenntnisgewinn ist für die erwachsenenbildungswissenschaftliche Disziplin, die Bildungspolitik (Weiterbildungspolitik) und die Bildungspraxis der Erwachsenen- und Weiterbildung gleichsam bedeutend:

  • In der erwachsenenbildungswissenschaftlichen Disziplin wurden die theoretischen, methodischen und kulturspezifischen Grenzen einer national ausgerichteten Forschung erkannt. So besteht mittlerweile Offenheit gegenüber Themen, Diskursen, methodologischen und epistemologischen Praktiken, die neue Blickwinkel eröffnen und auch über regionale und nationale Grenzen hinausgehende Erkenntnisse erbringen. Da hierdurch Wissensterritorien überschritten und Sachverhalte zusammen betrachtet werden, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören, wird nicht-standardisiertes Wissen geschaffen.
  • Für die Bildungspolitik kann die i. F. zur Erwachsenen- und Weiterbildung ein solides Fundament empirischer Evidenz liefern. So können bspw. Bedingungen und Möglichkeiten der Implementierung bildungspolitischer Maßnahmen (von der Öffnung von Hochschulen für nicht-traditionelle Gruppen über die Bildung von Migrantinnen und Migranten bis zum Umgang mit gering literalisierten Erwachsenen) ergründet werden und die dadurch gewonnenen Erkenntnisse zum Gelingen von Bildungsreformen beitragen (wissenschaftliche Politikberatung).
  • Nicht zuletzt profitiert die – insb. evidenzorientierte und -informierte – Praxis der Erwachsenen- und Weiterbildung von internationaler F. So können bspw. Untersuchungen zur Nutzung digitaler Medien für Lern- und Bildungsprozesse Erwachsener (digitales Lernen) oder zur Erreichung bildungsferner Gruppen Best-Practice-Beispiele liefern sowie Daten, aus denen Gelingensbedingungen abgeleitet werden können. Werden diese Erkenntnisse von der Praxis nutzbar gemacht, entstehen jedoch – wie die Bildungstransferforschung zeigt – zwangsläufig Passungs- und Transferprobleme, die zu berücksichtigen sind (Wissenstransfer – Wissenschaftskommunikation).

Literatur

Boeren, E. (2017). The methodological underdog: a review of quantitative research in the key adult education journals. Adult Education Quarterly, 68(1), pp. 63–79.

Blossfeld, H.-P., Kilpi-Jakonen, E., Vono de Vilhena, D. & Buchholz, S. (2014). Adult learning in modern societies: an international comparison from a life-course perspective. Cheltenham (GB): Edward Elgar.

Boyadjieva, P. & Ilieva-Trichkova, P. (2021). Adult education as empowerment. Cham (CH): Springer International.

Desjardins, R. (2017). Political economy of adult learning systems. Comparative study of strategies, policies and constraints. London (GB): Bloomsbury Academic.

Fejes, A. & Nylander, E. (Eds.). (2019). Mapping out research field of adult education and learning. Cham (CH): Springer International.

Milana, M., Webb, S., Holford, J., Waller, R. & Jarvis, P. (Eds.). (2018). The Palgrave international handbook an adult education and lifelong education and learning. Basingstoke (GB): Palgrave Macmillan.

Rubenson, K. & Elfert, M. (2015). Adult education research: exploring an increasingly fragmented map. RELA, 6(2), 125–138.

Schrader, J., Ioannidou, A. & Blossfeld, H.-P. (Hrsg.). (2020). Monetäre und nicht monetäre Erträge von Weiterbildung. Wiesbaden: Springer VS.

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