Zertifikate – Abschlüsse

Ekkehard Nuissl

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-305

Begrifflich ist zwischen „Teilnahmebescheinigungen“, „Zertifikaten“ und „Abschlüssen“ zu unterscheiden. Bei Teilnahmebescheinigungen erfolgt zumeist keine Überprüfung des Lernerfolgs, bei Abschlüssen finden i. d. R. Prüfungen statt, während Zertifikate eine erworbene und meist in einer Prüfung nachgewiesene Qualifikation bescheinigen. Teilnahmebescheinigungen werden überwiegend in der non-formalen Bildung vergeben. Den größten Teil der A. in der Weiterbildung verzeichnet man bei vorgegebenen Lernwegen der formalen Bildung, z. B. den Meisterprüfungen der Kammern oder weiterbildenden Studien. Z. finden sich in den unterschiedlichsten Varianten (z. B. Diplom, Zeugnis) in der formalen, non-formalen und auch informellen Bildung, sofern sie von Organisationen bestätigt wird (Käpplinger, 2007).

Z. und A. werden in der Weiterbildung immer wichtiger. Grund dafür ist sowohl die höhere Interdependenz der Bildungsbereiche als auch die Verzahnung des Berufslebens mit der Weiterbildung. Die frühere Distanz der Erwachsenenbildung zu Lehrplänen, Prüfungen und Zeugnissen tritt damit in den Hintergrund. Heute werden Z. nicht nur in berufsbezogenen, sondern auch im allgemeinbildenden Sektor der Erwachsenenbildung vergeben (abschlussbezogene Weiterbildung). Dabei spielt immer mehr die internationale, v. a. die europäische Dimension der Anerkennung von Zertifikaten eine Rolle (Anerkennung – Validierung). Z. in der Weiterbildung finden sich am häufigsten im Sprachenbereich (Sprachenzertifikate), in der Informationstechnologie und in berufsbezogenen Kursen.

Z. sind für verschiedene Stakeholder wichtig (Nuissl, 2003):

  1. Für diejenigen, die Z. erwerben, also die zertifizierten Personen, wird eine Lernleistung konstatiert, die einen Vergleich mit anderen Personen ermöglicht. Z. sind Beurteilungen, die auch für das Selbstwertgefühl wichtig sind. Sie können zur Identitätsstiftung (Identität) beitragen, zur Orientierung bei Lernangeboten und Lernanforderungen, und sie unterstützen die Positionierung auf dem Arbeitsmarkt und im Beruf.
  2. Für diejenigen, die sich für eine zertifizierte Kompetenz interessieren, also die Abnehmer von Zertifikaten (z. B. Betriebe, Organisationen) sehen diese hauptsächlich als Selektionsinstrument zum Nachweis der Kompetenz der Person. Dabei spielt der Prognosewert des Zertifikats eine Rolle. Da Z. meist Wissen, weniger Kompetenz abbilden, wird vielfach ein eigenes Assessment ergänzt, in dem v. a. auch soziale und kommunikative Kompetenzen sichtbar werden. Im Bildungssystem fungieren Z. als Zugangsberechtigung für weiterführende Bildungsgänge.
  3. Für die zertifizierende Instanzen bedeutet das Recht, Z. zu vergeben, eine öffentliche Aufwertung ihrer Institutionen (Institutionen der Weiterbildung;Weiterbildungsanbieter). Vielfach ist damit auch eine Monopolfunktion verbunden. Mit der Vergabe von Zertifikaten tragen Institutionen dazu bei, einen Ausleseprozess und den Zugang zu Berufs- und Tätigkeitsfeldern zu steuern.
  4. Für die Gesellschaft oder einzelne gesellschaftliche Gruppierungen erfüllen Z. insb. eine Selektionsfunktion, d. h. sie haben eine ordnungsstiftende und standardsetzende Funktion. Z. stellen eine Form von Übersichtlichkeit und Stabilität her, die ab einem bestimmten Anerkennungsgrad der Z. unstrittig ist.

Rechtliche Grundlagen von Zertifikaten sind in der Weiterbildung vielfältig (Nuissl, 2022). Sie liegen auch auf unterschiedlichen Politikebenen. Auf europäischer Ebene betrifft v. a. der Artikel 47 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV), der die Freizügigkeit und den freien Dienstleistungs- und Kapitalverkehr regelt, die gegenseitige Anerkennung von Diplomen, Zeugnissen und sonstigen Zertifikaten (Bologna-Prozess). Dies ist allerdings auf den beruflichen Bereich (Berufsbildung) beschränkt. Eine Vereinheitlichung der Z. auf der Dokumentationsebene geschieht durch das Online-Tool Europass (als Nachweis von Kompetenzen), durch gemeinsame Prinzipien zur Validierung von Kompetenzen (Kompetenzerfassung) sowie durch das European Credit System for Vocational Education and Training (ECVET), ein europäisches Leistungspunktesystem für die berufliche Bildung. Ein weiterer Schritt in Richtung europäische Standardisierung von Zertifikaten ist mit der Einrichtung des europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) erfolgt.

Auf der Ebene der föderalen Bundesrepublik gibt es nur Regelungen, die sich auf berufliche Z. anwenden lassen. Sie betreffen A. beruflicher Fortbildungen, Fortbildungen in IT-Berufen, im Gesundheits- und Pflegewesen, Meisterprüfungen, Ausbildereignungsprüfungen, A. im Rahmen des Fernunterrichts, der Weiterbildungsförderung nach dem Sozialgesetzbuch III sowie der (personengruppenspezifischen) Weiterbildung von Beamtinnen und Beamten und Soldatinnen und Soldaten. Auf der Ebene der Bundesländer sind Z. der Weiterbildung teilweise in den Weiterbildungsgesetzen der Länder (Recht der Weiterbildung) geregelt, den Hochschulgesetzen und den Bestimmungen für den zweiten Bildungsweg. Dabei gibt es von Land zu Land Unterschiede, was die Regelungsbereiche, die Art von geregelten Zertifikaten und die Verbindlichkeit betrifft. Quer zu den staatlichen Regelungsebenen von Zertifikaten liegen die Regelungen der Kammern, die rechtlich auf der Grundlage des Berufsbildungsgesetzes möglich sind. Hier sind v. a. die zuständigen Stellen (neben den Kammern auch die obersten Bundes- und Landesbehörden) benannt sowie die Verfahren, nach denen Z. vergeben werden.

In den Zertifikaten und Abschlüssen werden i. d. R. folgende Bereiche definiert und festgelegt (Nuissl, 2003):

  • Geltungsbereich: Dieser betrifft die Personengruppen und die Einsatz- und Verwendungsfelder für Z. Oft wird der Geltungsbereich auch nicht explizit genannt, sondern ergibt sich implizit durch die zertifikatvergebende Institution bzw. den jeweiligen Beschäftigungsbereich.
  • Qualifikationen: Die Aussagen zu den Qualifikationen, die mit dem jeweiligen Zertifikat nachgewiesen werden, sind von höchst unterschiedlichem Differenzierungsgrad. Eine Standardisierung der Qualifikationsbeschreibungen gibt es (noch) nicht.
  • Zugangsvoraussetzungen: Zum einen geht es hier um die Zugangsvoraussetzung der Person, die ein Zertifikat erwerben will, zum anderen um die curricular festgelegten Lernprozesse, die vor Eintritt in eine Zertifikatsprüfung absolviert sein müssen.
  • Prüfungsverfahren: Sie legen fest, nach welchem Verfahren Z. erworben bzw. die den Zertifikaten zugrundeliegende Prüfungen abgelegt werden können und müssen. Das Prüfungsverfahren wird i. d. R. standardisiert, transparent, verbindlich und überprüfbar formuliert.
  • Prüfungsinstitutionen und -gremien: Die Regelungen legen fest, welche Institutionen und Gremien mit der Verteilung von Zertifikaten befasst sind und sein können.
  • Z. und Zeugnisse: Zumeist wird auch festgelegt, in welcher Weise Z. vergeben werden und wie sie gestaltet sind. Dabei spielen insb. die Bewertung in Einzelprüfungen und in der Gesamtprüfung eine Rolle, aber auch Verfahren der Bezeichnung der Prüfungsfächer und des Nachweises der Prüfungsinstitution.

Die Anerkennung von Zertifikaten ist sehr unterschiedlich und hängt von der Art des Zertifikats ab. Vielfach ist die Anerkennung eine Frage des Markts. Dabei ist festzustellen, dass übergreifende Qualitätsmerkmale (Qualität) für Zertifikate in der Weiterbildung kaum existieren. Konkrete Anerkennungsverfahren und staatliche Richtlinien für Z. gibt es in der Berufsausbildung, bei den allgemeinbildenden Schulen und bei den Hochschulen. Der Stellenwert einzelner Z. erhöht sich, wenn sie Teil eines Zertifizierungssystems sind oder wenn sie durch entsprechende staatliche oder statuszuweisende Funktionen im betrieblichen Kontext eine ausgewiesene Einmündungsstruktur (insb. im Berufsleben) haben.

Literatur

Käpplinger, B. (2007). Abschlüsse und Zertifikate in der Weiterbildung (Schriftenreihe des Bundesinstituts für Berufsbildung, zugl. Diss., Humboldt-Univ. Berlin, 2006). Bielefeld: W. Bertelsmann.

Nuissl, E. (2003). Leistungsnachweise in der Weiterbildung. Report. Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung, 26(4), 9–24.

Nuissl, E. (2022). Zertifikate und Abschlüsse. In P. Krug & E. Nuissl (Hrsg.), Praxishandbuch WeiterbildungsRecht. Fachwissen und Rechtsquellen für das Management von Bildungseinrichtungen (Loseblattwerk, Kap. 5.0). Neuwied: Luchterhand.

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