Umschulung

Sibylle Peters

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-275

Die U. ist eine Form der beruflichen Weiterbildung und dem Bereich der Erwachsenen- und Weiterbildung zuzuordnen. Eine U. bietet die Möglichkeit, sich für eine andere als die bisher ausgeübte Arbeitstätigkeit zu qualifizieren. Anlässe können einerseits individuelle Beweggründe sein, wie (Berufs-)Krankheit, körperliche oder intellektuelle Nichteignung, andererseits technische Neuorientierungen des Berufsbilds oder eine nachlassende Nachfrage des Berufs aufgrund struktureller Veränderungen. Als Zielgruppe kommen Erwachsene infrage, die bereits Berufs- und Lebenserfahrung haben (Erfahrungen – Erfahrungsorientierung). Umschulungsmaßnahmen orientieren sich inhaltlich (Inhalte – Themen) und methodisch (Methoden) an aktuellen Arbeitsmarktentwicklungen mit dem Ziel, Arbeitslosigkeit vorzubeugen sowie die individuelle Beschäftigungsfähigkeit (Employability) zu erhalten bzw. zu verbessern.

Die U. ist ein bildungs- und arbeitsmarktpolitisches Instrument, das den Arbeitnehmenden den Wechsel in ein anderes und/oder neues Arbeitsmarktsegment ermöglicht. Sie wird durch das Arbeitsförderungsgesetz (AFG), das Berufsbildungsgesetz (BBiG) und das Sozialgesetzbuch (SGB III) geregelt und kann nach einer Erstausbildung erfolgen; sie kann im Ausnahmefall aber auch für Personen (ab 25 Jahren) ohne vorherige Berufausbildung genehmigt werden. Die U. entspricht dann einem beruflichen Erstzugang. Somit kann eine U. sowohl eine Berufsausbildung (Berufsbildung) als auch eine Fortbildung oder Weiterbildung sein.

Die Dauer der U. richtet sich nach dem angestrebten Beruf, umfasst aber i. d. R. zwei Jahre, wobei vorherige berufliche Qualifikationen angerechnet werden können. Finanziert wird eine U. zumeist durch öffentliche Mittel (indidividuelle Förderung), z. B. durch regionale Jobcenter und Arbeitsagenturen bzw. die Bundesagentur für Arbeit (BA) (Weiterbildungsförderung durch die Bundesagentur für Arbeit), oder über Leistungen der gesetzlichen Unfall- und Rentenversicherungen in entsprechenden Situationen.

In Abhängigkeit des angestrebten Berufs kann eine U. in drei Varianten erfolgen:

  1. Betriebliche Einzel-U. im Dualen Ausbildungssystem: Hierbei wird die U. berufsbildungspolitisch (BBiG) geregelt, findet zwischen Betrieb (Praxis) und staalicher Berufsschule (Theorie) statt und schließt mit einer Prüfung vor den zuständigen Kammern (z. B. Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer) ab. Häufig werden mit einer U. Abschlüsse für neue oder modernisierte Berufe (z. B. Pflegefachkraft, IT-Fachkraft, Fachkraft für Umweltschutz) erworben und auf diese Weise mit personalpolitischen Anforderungen verbunden.
  2. Überbetriebliche Gruppen-U.: Hierbei wird die U. von zertifizierten Bildungsanbietern oder -trägern übernommen (z. B. Berufsförderungswerke oder Berufsbildungswerke) und findet in Übungswerkstätten und -firmen sowie mit Unterstützung digitaler Lernplattformen (digitales Lernen) statt. Eine U. findet hier als Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten arbeits- und berufsbezogenen Lernens für Erwachsene statt, indem vorhandene Berufsausbildungen mit neuen Inhalten und Methoden angereichert werden. Neben Zertifikaten kann auch ein Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf (mit IHK- oder HWK-Prüfung) erworben werden (Zertifikate –
    Abschlüsse
    ); hierzu sind zusätzliche betriebliche Praktika notwendig. Die BA fördert gemäß AFG durch die Gewährung von Darlehen, Zinszuschüssen u. ä. den Bau von Einrichtungen, die überbetriebliche Umschulungsmaßnahmen anbieten (institutionelle Förderung).
  3. Schulische Gruppen-U.: Hierbei findet die U. in Berufsfachschulen sowie Akademien statt. Die praktischen Phasen erfolgen in Form betrieblicher Praktika. Die schulische U. fokussiert auf die Vermittlung von theoretischem Fachwissen (Wissen).

Die Hochphase des Wandels von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft in den 1960er bis 1990er Jahren führte vermehrt zu berufsstrukturellen Veränderungen, die wiederum durch zahlreiche Weiterbildungsförderungen in Form von Umschulungen befeuert wurden (staatliche Weiterbildungsförderung). Diese wurden z. B. durch die Ergänzung diverser Fortbildungsordnungen im AFG (1969), die Neuordnung des BBiG (1971) und eine Aktualisierung des SGB III (1998) gesetzlich geregelt und durch die BA bzw. durch ihre Arbeitsagenturen umgesetzt. In den 1980er Jahren wurden Umschulungen im Rahmen der sog. Qualifizierungsoffensive (Markert et al., 1992) und ab den 2000er Jahren durch die Ausgabe von sog. Bildungsgutscheinen (Käppinger & Klein, 2013) gefördert. Die gegenwärtige digitale Transformation beschleunigt erneut berufsstrukturelle Veränderungen, stellt neue Herausforderungen an Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik und weckt den Bedarf insb. von Fördermaßnahmen in IT-unterstützten Berufen (Baethge et al., 2013). Die Schnelllebigkeit des Wissens verlangt nach neuen oder zusätzlichen Aufgabenzuschnitten, die die bisherigen Berufsbilder verändern. Indem Umschulungen kontinuierlich für neue Tätigkeitsanforderungen qualifizieren, helfen sie, berufliche Kompetenzen an den strukturellen Wandel anzupassen und tragen zugleich zu berufsstrukturellen Veränderungen bei.

Literatur

Baethge, M., Baethge-Kinsky, V., Holm, R. & Tullius, K. (2003). Anforderungen und Probleme beruflicher und betrieblicher Weiterbildung. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung.

Kraus, K. (2006). Vom Beruf zur Employability? Zur Theorie einer Pädagogik des Erwerbs. Wiesbaden: Springer VS.

Käpplinger, B., Klein, R. & Haberzeth, E. (Hrsg.). (2013). Weiterbildungsgutscheine: Wirkungen eines Finanzierungs­modells in vier europäischen Ländern (Reihe Erwachsenenbildung und lebensbegleitendes Lernen – Forschung & Praxis, Bd. 21). Bielefeld: wbv Publikation.

Markert, W., Klein, R., Nieke, W. & Peters, S. (1992). Berufliche Weiterbildung von Arbeitslosen im Betrieb. Ausbildungskonzeptionen und Perspektiven für langfristige Personalentwicklung. Weinheim: Deutscher Studien Verlag.

Übergänge im Bildungssystem
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