Übergänge im Bildungssystem

Sandra Buchholz & Frauke Peter

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-274

Ü. i. B. sind wichtige Knotenpunkte im Lebenslauf eines Individuums, die den Prozess seines Bildungserwerbs strukturieren und gleichzeitig dazu beitragen, seine Bildungsteilhabe zu beschreiben und zu erklären (Hillmert & Jacob, 2005). Mit der wachsenden Verfügbarkeit von längsschnittlichen Individualdaten wurden Bildungsübergänge für die Bildungsforschung untersuchbar. Längsschnittdaten zeichnen sich dadurch aus, dass Menschen nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrer Bildungskarriere beobachtet werden (z. B. in dem Programme for Internationale Student Assessment, der sog. PISA-Studie), sondern über eine längere Phase ihres Bildungsverlaufs begleitet werden. Um Ü. i. B. zu untersuchen, stellen Längsschnittdaten (z. B. die Daten des Nationalen Bildungspanels, NEPS) eine notwendige Grundlage dar.

Mit der Analyse von Bildungsübergängen wurde es möglich, die Mechanismen aufzudecken, die dem individuellen Bildungserwerb und den Ungleichheiten in der Bildungsbeteiligung zugrunde liegen. Als solches stellen die Befunde eine wichtige Informations- und Entscheidungsgrundlage für bildungspolitisches Handeln dar (wissenschaftliche Politikberatung). Die Bildungssoziologie und die Bildungsökonomie verstehen Ü. i. B. als ein Ergebnis individueller Bildungsentscheidungen. Neben kognitiven und nicht-kognitiven Kompetenzen wird hierbei subjektiven Kosten-Nutzen-Abwägungen (z. B. finanzielle Aspekte und Fördermöglichkeiten, verfügbare Leistungen des Erziehungs- und Betreuungssystems, räumliche und infrastrukturelle Situation) und den subjektiv wahrgenommenen Erfolgswahrscheinlichkeiten eine zentrale Bedeutung zugeschrieben (Becker, 1993; Breen & Goldthorpe, 1997).

Traditionell werden in der Bildungsforschung Bildungsübergänge an institutionell vorgegebenen Knotenpunkten des Bildungssystems untersucht, die wichtige Weichenstellungen in der Bildungsbiografie (Biografie) von Individuen darstellen. Typische Beispiele hierfür sind der Übergang von Grundschülerinnen und -schülern auf eine weiterführende Schule im Alter von etwa zehn bis zwölf Jahren oder der Übergang von jungen Erwachsenen in die berufliche Ausbildung oder ins Studium nach dem Schulabschluss. Seit einigen Jahren setzt sich jedoch die Erkenntnis durch, dass eine ausschließlich an institutionell definierten Übergangspunkten orientierte Betrachtungsweise der Komplexität individueller Wege durch das Bildungssystem nicht gerecht wird. Beispiele für Ü. i. B., die sich jenseits institutionell vorgegebener Rahmensetzungen vollziehen, sind z. B. ein Schulformwechsel während der Sekundarstufe I, das Nachholen von Bildungsabschlüssen (zweiter Bildungsweg) oder ein Ausbildungs- und Studienfachwechsel. Immer häufiger werden Ü. i. B. deshalb auch unabhängig von institutionell vorgegebenen Übergangspunkten untersucht.

Diese an der empirischen Vielfalt individueller Bildungsverläufe orientierte Betrachtungsweise ist insb. für das Verständnis von Bildungsübergängen wichtig, die sich nicht im Kindes- und Jugendalter, sondern erst in späteren Lebensabschnitten von Menschen ereignen (z. B. der Übergang in eine Familienphase oder die Rückkehr in die Erwerbsarbeit, eine berufliche Umschulung oder Umorientierung, eine Trennung oder Scheidung, ein Jobwechsel oder eine Phase der Arbeitslosigkeit). Diese späteren Bildungsübergänge ergeben sich selten allein aus den institutionellen Regelungen des Bildungssystems und lassen sich i. d. R. erst dann angemessen verstehen, wenn sie in darüberhinausgehende Kontexte eingebettet werden. Bspw. ist es für das Verständnis von Übergängen im System lebenslangen Lernens (lifelong lear­ning; Weiterbildungssystem) von zentraler Bedeutung, die Bildungsaktivitäten von Teilnehmenden auch vor dem Hintergrund ihrer Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs- und Familiensituationen zu betrachten (Schmidt-Lauff, Felden & Pätzold, 2015).

Literatur

Becker, G. S. (1993). Human capital: a theoretical and empirical analysis with special reference to education. Chicago (US): University Press.

Breen, R. & Goldthorpe, J. H. (1997). Explaining educational differentials: towards a formal rational action theory. Rationality and Society, 9(3), 275–305.

Hillmert, S. & Jacob, M. (2005). Institutionelle Strukturierung und inter-individuelle Variation. Zur Entwicklung herkunftsbedingter Ungleichheiten im Bildungsverlauf. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 57(3), 414–442.

Schmidt-Lauff, S., Felden, H. von & Pätzold, H. (Hrsg.). (2015). Transitionen in der Erwachsenenbildung. Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Übergänge (Schriftenreihe der Sektion Erwachsenenbildung in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE)). Opladen: Barbara Budrich.

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