Sarah Widany
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-268
Die T. an Erwachsenen- und Weiterbildung kommt zustande, wenn individuelle Bildungsinteressen auf ein passendes → Angebot auf dem → Weiterbildungsmarkt treffen. Die T. basiert i. d. R. auf Freiwilligkeit. Bei der Weiterbildung von Arbeitslosen und Zugewanderten sowie im betrieblichen Kontext (→ betriebliche Weiterbildung) gibt es jedoch auch verpflichtende Elemente, sodass Weiterbildungsangebot und -nachfrage auch von organisationalen, gesellschaftlichen und politischen Bildungsinteressen geprägt sind.
T. ist die Voraussetzung für das organisierte Lernen Erwachsener, die Existenzgrundlage für die Arbeit von → Weiterbildungsanbietern und das Ziel einer → Weiterbildungspolitik, die auf eine Erhöhung der Bildungsteilhabe fokussiert. Untersuchungen und Statistiken zum Teilnahmeverhalten haben daher in der empirischen → Weiterbildungsforschung national wie international einen hohen Stellenwert. Die Auswertung von „Hörerstatistiken“ an Universitäten und → Volkshochschulen wurde nach 1945 ergänzt durch sozial-statistische Studien der Teilnahmeforschung. Die sog. Göttinger Studie von Strzelewicz, Raapke und Schulenberg (1966) gilt bis heute als → Leitstudie der → Adressatenforschung und untersucht die T. in Verbindung mit sozial-strukturellen Merkmalen sowie Einstellungen, Motiven und dem Bildungsverständnis der Bevölkerung.
Neben soziologischen, psychologischen und ökonomischen Ansätzen (z. B. Signal-, Motivations- und Kapitaltheorien) wird die theoretische Erklärung von T. in bildungswissenschaftlichen Modellen konzeptualisiert, in welchen sie als ein Passungsprozess zwischen individueller Weiterbildungsnachfrage und organisationalem Weiterbildungsangebot abgebildet wird. Durch eine Mehrebenenstruktur (→ Weiterbildungssystem) werden weitere Faktoren berücksichtigt, die Angebot und Nachfrage und deren Zusammenspiel beeinflussen können, z. B. der familiale und der Erwerbskontext, Wettbewerb und Kooperation auf dem Weiterbildungsmarkt und staatliche Rahmenbedingungen (Boeren, Nicaise & Baert, 2010). Empirisch kann diese Mehrebenenstruktur aufgrund fehlender geschachtelter Datensätze in Analysen jedoch nicht abgebildet werden.
Trendbeobachtungen zeigen, dass sich der Zusammenhang zwischen sozial-strukturellen Merkmalen und der T. verändert. Tendenziell wird die Selektivität von Teilnahmestrukturen dabei weniger von zugeschriebenen und weiterhin stark von erworbenen Merkmalen bestimmt; bspw. hat sich die Diskrepanz zwischen Frauen und Männern und niedrigen und hohen Altersgruppen verringert. Nach wie vor ist die T. aber von → Ungleichheit in der Bildungsbeteiligung geprägt: Personen mit hohem Bildungsniveau sind überrepräsentiert. Diese Bildungskumulation wird oft als „Matthäus-Prinzip“ (wer hat, dem wird gegeben) bezeichnet und ist seit Jahrzehnten zentraler Befund der Teilnahmeforschung.
Die → Forschungsinfrastrukturen für die Weiterbildungsforschung und die → Bildungsberichterstattung bieten verschiedene repräsentative Erhebungen, die Aussagen über die T. zulassen. Während die sozial-strukturellen Merkmale der T. weiterhin wichtig für Analysen und Kennzahlen sind, werden – je nach Erhebung – Merkmale der T. auch differenzierter erfasst. Der europaweite Adult Education Survey (AES) wird regelmäßig erhoben und ist die umfangreichste Befragung zur T. an Erwachsenen- und Weiterbildung. Neben Merkmalen der Befragten können Angaben zu deren Bildungsaktivitäten, z. B. hinsichtlich des Formalisierungsgrads (→ formale – non-formale – informelle Bildung) oder der Dauer und der Finanzierung, ausgewertet werden. Die Daten des AES 2018 zeigen für die 18- bis 64- bzw. 69-jährige deutsche Bevölkerung seit 2007 ein mit rund 10 Prozent konstantes Niveau der T. an formal organisierter Weiterbildung sowie einen moderaten Anstieg der T. an non-formal organisierter Weiterbildung auf 57 Prozent (BMBF, 2019). Der Großteil der T. an Weiterbildung in non-formaler Form entfällt auf die betriebliche Weiterbildung mit einer vergleichsweisen kürzeren Dauer. Ein knappes Drittel der T. wird der individuellen berufs- und nicht berufsbezogenen Weiterbildung zugerechnet und dauert vergleichsweise länger.
Der internationale Vergleich von T. weist v. a. mit Blick auf die skandinavischen Länder darauf hin, dass es nationalspezifische → Regulative der Weiterbildungsbeteiligung gibt, die eine höhere und weniger sozial selektive T. ermöglichen (Ioannidou & Desjardins, 2020).
Literatur
Bundesministerium für Bildung und Forschung. (2019). Weiterbildungsverhalten in Deutschland 2018.
Ergebnisse des Adult Education Survey – AES-Trendbericht. Bonn: BMBF.
Boeren, E., Nicaise, I. & Baert, H. (2010). Theoretical models of participation in adult education: the need for an integrated model. International Journal of Lifelong Education, 29(1), 45–61.
Ioannidou, A. & Desjardins, R. (2020). The political economy of adult learning systems. Zeitschrift für Weiterbildungsforschung, 43(2), 137–142.
Strzelewicz, W., Raapke, H. D. & Schulenberg, W. (1966). Bildung und gesellschaftliches Bewusstsein. Eine mehrstufige soziologische Untersuchung in Westdeutschland (Reihe Göttinger Abhandlungen zur Soziologie und ihrer Grenzgebiete, Bd. 10). Stuttgart: Enke.