Systemevaluation

Ekkehard Nuissl

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-266

Unter S. wird eine differenzierte und empirisch abgesicherte Beobachtung der Weiterbildung verstanden. Sie erfasst alle relevanten Aspekte des Weiterbildungssystems, wie Institutionen der Weiterbildung, Angebote, Teilnahme an Erwachsenen- und Weiterbildung, Finanzierung der Weiterbildung, Inhalte und Themen, oder sollte diese erfassen. Eine bundesweite oder regelmäßig wiederholte S. (im Sinne eines Monitorings) gibt es in Deutschland nicht. Es wurden jedoch – insb. in den 1990er und 2000er Jahren – verschiedene Systemevaluationen in einzelnen Ländern der Bundesrepublik durchgeführt, so in Hessen, Schleswig-Holstein, Bremen und Nordrhein-Westfalen. Sie dienten v. a. dazu, die Wirkungen der Weiterbildungsgesetze (Recht der Weiterbildung) zu betrachteten und einzelne Probleme zu untersuchen, z. B. bestimmte Inhaltsbereiche (wie politische Bildung), Personengruppen (wie Bildungsbenachteiligte), institutionelle Strukturen (wie Netzwerke und Kooperation, Finanzierung), Zugänge (wie Flächendeckung) sowie Beratung und Information (Beratung im Kontext lebenslangen Lernens).

Die Systemevaluationen der Bundesländer intendierten zwar eine Beobachtung der gesamten Weiterbildung, beschränkten sich aber doch auf den Geltungsbereich der jeweiligen Weiterbildungsgesetze. Dies war nicht nur der politischen Umsetzbarkeit geschuldet, sondern auch der Finanzierbarkeit, da solche Evaluationen kostspielig sind. Wie bei allen Evaluationen hatten auch die Systemevaluationen einen Auftraggeber, die Landesregierungen, und arbeiteten mit Methoden der empirischen Sozialforschung über Sekundäranalysen vorhandener Daten sowie gezielter Erhebung neuer Daten in quantitativer (Fragebogen) und qualitativer (Interviews) Weise (Forschungsmethoden). In nahezu allen Fällen hatten die Systemevaluationen Folgen, insb. über Änderungen in Gesetzen und Verordnungen.

Über diese landesbezogenen Untersuchungen hinaus sind Evaluationen oder regelmä­ßige Beobachtungen der gesamten Weiterbildung in Deutschland nur schwer möglich, da es dazu an verfügbaren Daten mangelt und die bildungspolitische Zuständigkeit variiert. Die vorhandenen Daten sind sektoral, temporär und nur schwer miteinander vergleichbar. So liegen Daten aus den Bundesländern bezogen auf den Bereich der Weiterbildungs- und Bildungsurlaubsgesetze (Bildungsurlaub), aus größeren Träger­organisationen wie den Volkshochschulen (vhs), der kirchlichen Erwachsenenbildung (kon­fessionelle Erwachsenenbildung), der beruflichen Bildung (Berufsbildung) und dem Fernunterricht vor; einige dieser Anbieterdaten sind in der Volkshochschul-­Statistik und der Verbundstatistik des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) zusammengefasst. Die jährliche Haushaltsbefragung der amtlichen Statistik Mikrozensus und die Haushaltserhebung im Rahmen der EU-Statistiken zum lebenslangen Lernen Adult Education Survey (AES) liefern in zeitlichen Abständen Daten zu den Teilnehmenden; die regelmäßigen Erhebungen von DIE und Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) liefern Daten zur wirtschaftlichen Lage und zum Personal in der Weiterbildung. Das DIE veröffentlicht in größeren Abständen Übersichten zur Entwicklung der Weiterbildung („Trends der Weiterbildung: DIE Trendanalyse“; z. B. Widany et al., 2021).

In Bremen und Nordrhein-Westfalen erfolgten mehrere Systemevaluationen nacheinander in Abständen von einigen Jahren. Solche aufeinanderfolgenden Systemevaluationen kommen den regelmäßigen Bildungsberichten nahe, die in Monitoringverfahren erstellt werden, z. B. im Nationalen Bildungsbericht des Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF), v. a. aber im AES oder in Studien der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) („Education at a Glance“; z. B. OECD, 2018) und der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) („Global Report on Adult Learning and Education (GRALE)“; z. B. UIL, 2021).

Neben dem Fehlen einheitlicher, vergleichbarer und belastbarer Daten steht die S. in Deutschland so wie in anderen Ländern vor dem Problem, den Gegenstandsbereich angemessen zu definieren. Weiterbildung hat zwar einen Kernbereich – repräsentiert durch die Institutionen, die Weiterbildung und nur Weiterbildung anbieten –, findet jedoch in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen statt. Dies betrifft bereits die organisierte Weiterbildung, die sich in Betrieben (betriebliche Weiterbildung), Hochschulen, Museen (Museumspädagogik), Medien, Vereinen und Verbänden findet und in der Summe umfangreicher ist als diejenige des Kernbereichs. Darüber hinaus jedoch ist sie als informelles Lernen von Erwachsenen (formale – non-formale – informelle Bildung) in Statistiken und Übersichten in den Blick genommen worden, was ihre Abgrenzung als „System“ geradezu unmöglich macht. In der Wissenschaft wurde verschiedentlich von einer „Entgrenzung“ der Erwachsenenbildung gesprochen. Es ist daher immer eine Entscheidung des Auftraggebers von Systemevaluationen, wie eng oder weit er die Grenzen des zu evaluierenden „Systems“ zieht und ziehen kann.

Eine regelmäßige S. der Weiterbildung ist jedoch notwendig, um Veränderungen feststellen und gezielte Maßnahmen ergreifen zu können. Die zeitlichen Abstände zwischen solchen evaluierenden Beobachtungen können auch größer sein; in den Zwischenzeiten können kleinere und begrenztere Untersuchungen vorgenommen werden. Ohne S. ist jedoch keine evidenzbasierte Politik (wissenschaftliche Politikberatung) in Bezug auf die Weiterbildung möglich (Nuissl & Schlutz, 2001).

Literatur

Autorengruppe Bildungsberichterstattung. (2020). Bildung in Deutschland 2020. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung in einer digitalisierten Welt. Bielefeld: wbv Publikation.

Nuissl, E. & Schlutz, E. (2001). Systemevaluation und Politikberatung. Gutachten und Analysen zum Weiterbildungssystem (Reihe Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung). Bielefeld: W. Bertelsmann.

Organisation for Economic Co-operation and Development. (2018). Education at a Glance 2018. Paris (FR): OECD.

UNESCO Institute for Lifelong Learning. (2021). 4. Weltbericht zur Erwachsenenbildung: niemand soll zurückbleiben: Teilnahme und Teilhabe. Hamburg: UIL.

Widany, S., Reichart, E., Christ, J. & Echarti, N. (Hrsg.). (2021). Trends der Weiterbildung. DIE-Trendanalyse 2021 (Reihe DIE Survey. Daten und Berichte zur Weiterbildung, Bd. 10). Bielefeld: wbv Publikation.

System
Systemische Erwachsenenbildung