Sozialraumorientierung

Ewelina Mania

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-255

Die S. gilt als transdisziplinärer, integrierender, mehrdimensionaler, lebenswelt- und ressourcenorientierter Ansatz, der sowohl in der Theoriebildung als auch in der Praxis genutzt werden kann.

Der Begriff S. ist nicht einheitlich definiert und wird in verschiedenen Zusammenhängen verwendet. In der Erwachsenen- und Weiterbildung wird der Diskurs zur Bedeutung von (Sozial-)Raum in den letzten Jahren verstärkt geführt. Dies hängt mit dem sog. spatial turn in den Sozial- und Kulturwissenschaften Ende der 1980er Jahre zusammen, seither die Begriffe Lernort, Raum, „Sozialraum“ und „Region“ (Erwachsenenbildung in der Region) zunehmend reflektiert und diskutiert werden. Insgesamt lassen sich mehrere Verwendungsweisen und Rezeptionsstränge von (Sozial-)Raum nachzeichnen (Mania, Bernhard & Fleige, 2015).

Die S. ist ein in zahlreichen Feldern sozialer Arbeit bekannter Ansatz, dessen konzeptionelle Grundlagen und Prinzipien wesentlich vom Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Arbeit und Beratung (ISSAB) der Universität Duisburg-Essen entwickelt wurden. Die S. entspringt der Theorie und Praxis der Gemeinwesenarbeit, die in den 1960er und 1970er Jahren aus der angelsächsischen Tradition der „communitybezogenen“ Ansätze auf Deutschland übertragen wurde. Zentralpunkt der Gemeinwesenarbeit ist die Überwindung der Fokussierung der Mikroperspektive im Sinne der Individualisierung von Problemlagen durch die Berücksichtigung der Handlungsebene Community. Diese ist im Anschluss an sozial-ökologische Ansätze als Mesoebene zwischen der Mikroebene und der Makroebene (Gesamtgesellschaft) angesiedelt.

Im Kontext der Erforschung und Entwicklung passender Strategien für die Ansprache sog. bildungsferner Adressatengruppen gewinnen sozialraumorientierte Ansätze auch in der Erwachsenen- und Weiterbildung an Bedeutung (Mania, 2018). Dabei wird u. a. auf Ansätze aufsuchender Bildungsarbeit und sozialräumliche Modelle wie das SONI-Modell von Früchtel, Cyprian und Budde (2010) angeknüpft, welches die Dimensionen Sozialstruktur, Organisation, Netzwerk und Individuum beinhaltet.

Als Merkmale sozialraumorientierter Ansätze in der Weiterbildungspraxis zählen folgende Prinzipien (Mania, 2018, 2021):

  • Erstens ist der Bezug auf (sozial-)räumliche Distanzen relevant. Gemeint ist die Wahl vertrauter und niedrigschwelliger Veranstaltungs- bzw. Lernorte, wobei die Nähe zum Wohn- bzw. Arbeitsort förderlich ist.
  • Zweitens geht es im Sinne einer Ressourcen- und Lebensweltorientierung (Lebenswelt) darum, dass die Nutzenvorstellungen, Bildungsinteressen, Alltagsanforderungen (Alltag), Lebensumstände und Handlungskontexte der Individuen berücksichtigt sowie niedrigschwellige Veranstaltungsformate und passende Wege der Ansprache potenzieller Adressatinnen und Adressaten gewählt werden.
  • Drittens zählen die Partizipation der Betroffenen sowie die Flexibilität und Offenheit bei der Entwicklung von Lernformaten zu den Merkmalen sozialraumorientierter Ansätze. Lernende können dabei als Expertinnen und Experten wahrgenommen werden, die bei der Entwicklung von Lernangeboten (Angebot) aktiv eingebunden werden.
  • Viertens fokussieren sozialraumorientierte Ansätze ortsbezogene Netzwerkaktivitäten und Kooperation (Netzwerke – Kooperationen), die eine Zusammenarbeit zwischen Weiterbildungseinrichtungen und Organisationen aus dem Bereich der Sozialen Arbeit, wie sozialen Beratungsstellen, Tafeln, Familienzentren, Arbeitsagenturen und Vermittlungszentren aber auch Arbeitsgebern, Schulen, Kitas oder Vereinen, ermöglichen (Bildungslandschaften).

Auch international ist die Kategorie Sozialraum für die Erwachsenen- und Weiterbildung bedeutsam – politisch ebenso wie bildungspraktisch. So war es eines der sechs Hauptziele im „Memorandum über Lebenslanges Lernen“ der Europäischen Union (EU) im Jahr 2000, Weiterbildung in die Nähe der Menschen zu bringen, sie auch räumlich attraktiv und erreichbar zu machen. In vielen Ländern der EU sind solche Programme implementiert, z. B. in der regionalen Weiterbildung in Italien oder den Studienzirkeln in den skandinavischen Ländern.

Literatur

Früchtel, F., Cyprian, G. & Budde, W. (2012). Sozialer Raum und Soziale Arbeit. Textbook: theoretische Grundlagen (3., überarb. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS.

Mania, E., Bernhard, C. & Fleige, M. (2015). Raum in der Erwachsenen-/Weiterbildung. Rezeptionsstränge im wissenschaftlichen Diskurs. In C. Bernhard, K. Kraus, S. Schreiber-Barsch & R. Stang (Hrsg.), Erwachsenenbildung und Raum. Theoretische Perspektiven – professionelles Handeln – Rahmungen des Lernens (Reihe Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung, Bd. 28, S. 29–39). Bielefeld: wbv Publikation.

Mania, E. (2021). Sozialraumorientierte Bildungsarbeit für sog. „bildungsferne Gruppen“. Hessische Blätter für Volksbildung, 21(4), 31–40.

Mania, E. (2018). Weiterbildungsbeteiligung sogenannter „bildungsferner Gruppen“ in sozialraumorientierter Forschungsperspektive (Reihe Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung, Bd. 39, zugl. Diss., Univ. ­Koblenz-Landau, 2017). Bielefeld: wbv Publikation.

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