Schweizerische Erwachsenenbildung

Bernhard Grämiger

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-247

In der Schweiz hat sich in den letzten Jahren ein integraler Weiterbildungsbegriff etabliert. Das Bestreben, die Spaltung zwischen berufsorientierter und allgemeiner Weiterbildung zu überwinden, führte allmählich auch auf begrifflicher Ebene zu einer Annäherung. Inhaltlich umfasst er formale, non-formale und informelle Bildung. Seit 2007 legt auch das Schweizerische Bundesamt für Statistik dieses Begriffsverständnis der periodischen Teilnehmerstatistik zugrunde. Die Begriffe „Erwachsenenbildung“ und „Weiterbildung“ werden heute weitgehend synonym verwendet.

Auch in der Schweiz hat sich das Paradigma des Lebenslangen Lernens (lifelong learn­ing) als Orientierungsrahmen durchgesetzt. Auf politischer Ebene ist es seit 2017 im nationalen Weiterbildungsgesetz (WeBiG) verankert. Das WeBiG regelt den gesamten non-formalen Weiterbildungsbereich und sieht die Finanzierung der Weiterbildung von zwei Tatbeständen vor: die Förderung von Grundkompetenzen Erwachsener sowie Finanzhilfen an gesamtschweizerische Institutionen der Weiterbildung. Das WeBiG legt Grundsätze zu den Themen Verantwortung, Qualität, Anrechnung von Weiterbildung, Chancengleichheit und Wettbewerb fest. Beim WeBiG handelt es sich um ein Rahmengesetz, sodass es mit Ausnahme der beiden Fördertatbestände über Spezialgesetze umgesetzt wird. Das bedeutendste ist das Berufsbildungsgesetz (BBG), das die berufsorientierte Weiterbildung regelt (berufliche Weiterbildung). Weitere Spezialgesetze mit Weiterbildungsbezug sind u. a. das Arbeitslosenversicherungsgesetz (AVIG) und das Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG).

In der Gesamtschweiz beträgt die Teilnahme (Teilnahme an Erwachsenen- und Weiterbildung) an mindestens einem (non-formalen) Weiterbildungsangebot bei der Bevölkerungsgruppe der 15- bis 75-Jährigen 62,5 Prozent (BFS, 2017). In Relation zur Gesamtheit der wahrgenommenen Weiterbildung handelt es sich mehrheitlich um Kurse (33 %), Seminare, Workshops und Tagungen (34 %) sowie Schulungen am Arbeitsplatz (22 %). Rund 70 Prozent dieser Aktivitäten erfolgten aus beruflichen Gründen. Die meistbesuchten Veranstaltungen sind den Themen Wirtschaft und Arbeit sowie Sport, Kunst, Kreatives zuzuordnen. Um die Weiterbildungsbeteiligung von marginalisierten Zielgruppen zu verbessern, fördern Bund und Kantone diese über das WeBiG. Mit Ausnahme des Bereichs der Vermittlung von Grundkompetenzen (Alphabetisierung – Grundbildung) wird vorwiegend die berufsorientierte Weiterbildung politisch und finanziell unterstützt. Dominierendes Leitziel ist nach wie vor, Arbeitsmarktfähigkeit und -integration durch Weiterbildung zu fördern.

Angeboten wird non-formale Weiterbildung in der Schweiz zu rund 85 Prozent von privaten Trägern, wie privaten Weiterbildungsinstitutionen, selbstständigen Trainerinnen und Trainern, Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und gemeinnützigen Organisationen. An öffentlichen Bildungseinrichtungen, wie Hochschulen oder Berufsfachschulen, finden lediglich rund 15 Prozent der Angebote statt. Durch die Vielfalt der Anbieter und Inhalte ist der Weiterbildungsmarkt in der Schweiz heterogen, aber auch sehr dynamisch.

Größere Entwicklungen fanden in den letzten Jahren u. a. im Bereich Qualitätssicherung statt (Qualität). Der Schweizerische Verband für Weiterbildung (SVEB) hat im Jahr 2000 das speziell auf Weiterbildungsanbieter zugeschnittene Qualitätslabel ­eduQua und 2021 dessen revidierte Norm eduQua:2021 in Kraft gesetzt. Mittlerweile ist es zum Branchenstandard geworden. Ebenfalls stark entwickelt hat sich die Professionalisierung des Weiterbildungspersonals (Personal). Dessen Ausbildung erfolgt in der Schweiz vorwiegend auf nicht-akademischem Weg. In dem vom SVEB entwickelten System (AdA-Baukasten) haben mehr als 40 Tsd. Kursleitende das SVEB-Zertifikat Kursleiter/in bzw. Praxisausbilder/in (1. Stufe), mehr als 10 Tsd. Fachspezialisten den Eidgenössischen Fachausweis Ausbilder/in (2. Stufe) und mehr als 100 Führungspersonen das Zertifikat Ausbildungsleiter/in mit eidgenössischem Diplom (3. Stufe) erworben. Mit einer Ausnahme (Universität Genf) kann Erwachsenenbildung nicht als eigenständige Fachrichtung an Hochschulen studiert werden.

Nicht zuletzt stellen die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Restriktionen, wie das Verbot des Präsenzunterrichts, für die Weiterbildung eine Zäsur dar, die grundlegende Entwicklungen bewirkt. In einer Umfrage des SVEB geben neun von zehn Weiterbildungsanbieter in der Schweiz an, dass sie hierdurch angeregt wurden, Neues zu entwickeln (Gollob, Fleischli & Sgier, 2021). Durch den ausgelösten Digitalisierungsschub sind Kursleitende zur Aneignung neuer Kompetenzen aufgefordert, um die vermehrt digitalen Lehr-Lern-Settings (digitales Lernen) aktiv gestalten zu können. Offen bleibt, ob die durch die Pandemie induzierten Entwicklungen die Weiterbildung nachhaltig verändern werden.

Literatur

Bundesamt für Statistik. (Hrsg.). (2017). Weiterbildung in der Schweiz 2016. Kennzahlen aus dem Mikrozensus Aus- und Weiterbildung (Reihe Statistik der Schweiz, Thema 15: Bildung und Wissenschaft). Neuchâtel (CH): BSF.

Gollob, S., Fleischli, M. & Sgier, I. (2021). Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Weiterbildung.
Ergebnisse der jährlichen Umfrage bei Weiterbildungsanbietern
(Weiterbildungsstudie 2020/2021). ­Zürich (CH): SVEB.

Sgier, I., Schläfli, A. & Grämiger, B. (2022). Weiterbildung in der Schweiz (Reihe Länderporträts Weiterbildung). Bielefeld: wbv Publikation.

Schlüsselqualifikationen
Selbsterfahrung – Bewusstseinsbildung