Programmforschung

Bernd Käpplinger & Steffi Robak & Marion Fleige

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-234

Während die Leitung einer Weiterbildungseinrichtung (Leitung – Management) die Makroebene darstellt, entstehen ihre Programme auf der Mesoebene (Hippel, 2017). Je nach Größe der Organisation kann es verschiedene Programmbereiche geben. Auf der Mikroebene geht es um das unmittelbare Angebot, d. h. um die Kurse, Seminare und andere Veranstaltungen. Programme und Angebote sind somit zwei unterschiedlichen Ebenen zuzuordnen.

Bei der Programmplanungsforschung (Programmplanung) wird das Entstehen der Programme und somit die Prozesse des professionellen Handelns untersucht werden, wobei Interviews, Beobachtungen, Dokumenten- oder Videoanalysen zum Einsatz kommen (Gieseke, 2000). Davon zu unterscheiden ist die P., bei der auf das Programm als das Ergebnis dieses Prozesses fokussiert wird. Dabei interessiert bspw., wie Erwachsenen- und Weiterbildung über Programme zu den gesellschaftlichen Entwicklungen und damit verbundenen Anforderungen an die Bevölkerung sowie deren biografisch und situativ begründeten Bildungswünschen und -bedürfnissen beiträgt.

Bildungswissenschaftlich betrachtet, sind Programme konzeptionell-inhaltliche, didaktische Aushängeschilder mit Außenwirkung – sozusagen das Gesicht einer Organisation bzw. Institution. Sie spiegeln deren Profil wider und sind somit spezifisch für die jeweilige (Weiterbildungs-)Organisation und deren Bildungsprofil und -verständnis. Sie haben auch Wirkungen in die Institutionen hinein, da sie einzelne Kursangebote zu größeren Sinneinheiten wie Programmbereichen zusammenführen. Durch die bildungskonzeptionelle Begründung der Angebote in den Programmen und Programmbereichen kommt ihnen bildungstheoretisch eine hohe Bedeutung für das Lernen im Erwachsenenalter und über die Lebensspanne (lifelong learning) zu. Das Arbeitsjahr in der Weiterbildungsorganisation bzw. -institution bekommt durch die Planung einen Rhythmus zwischen Erstellung und Durchführung des Programms, was jährlich, halbjährlich oder trimesterweise angelegt sein kann. An der Erstellung eines Programms sind viele Personen intern und extern beteiligt, wobei dem hauptamtlichen Personal eine zentrale Bedeutung zukommt. Programme fungieren als ein Scharnier zwischen Organisation bzw. In­sti­tu­tion, Profession, Angebot und Nachfrage. Durch Programme werden gesellschaftliche Bedarfe sowie individuelle Bedürfnisse und Interessen in einzelne Angebote oft flexibel transformiert.

Programmarchive können als zeitgeschichtlicher Schatz betrachtet werden. Jedoch sammeln weder wirtschaftlich orientierte Organisationen noch öffentliche Institutionen der Weiterbildung ihre Programme oftmals nicht, sodass die Bestände über die P. erst zusammengetragen bzw. vor dem Vergessen bewahrt werden müssen. Für die Praxis und Forschung ist es von Interesse, die Struktur und die Inhalte und Themen von Programmen sowie die in ihnen enthaltenden Bildungsauslegungen zu analysieren und zu verstehen. Bildungsauslegungen beziehen sich auf das, was in der jeweiligen Zeit oder Epoche von den Mitgliedern einer Institution unter Bildung verstanden wurde. Dies kann durch den Vergleich von Programmen aus verschiedenen Zeiten und/oder verschiedenen Institutionen abgebildet werden.

Für die P. können verschiedene Text- und Bilddaten in Form von gedruckten Dokumenten und/oder digital veröffentlichten Informationen genutzt werden. Aktuell wird oftmals eine Mischung oder Parallelität von Gedrucktem und Digitalem verwendet. Dies kann eine methodische Herausforderung darstellen, will man sicherstellen, dass man möglichst das vollständige Programm erfasst. So finden sich Daten und Informationen in Programmheften, Flyern und auf den Internetseiten der Weiterbildungsinstitutionen, aber auch auf den Internetseiten Dritter (z. B. Forschungseinrichtungen). Seit Beginn der Corona-Krise kommen teilweise sog. Magazine zum Einsatz, die exemplarisch das Programm einer Weiterbildungseinrichtung skizzieren, aber für die detaillierte Angebotssuche auf das Internet und dortige Datenbanken bzw. aktuell eingestellte Angebote verweisen. Insgesamt ist eine Pluralisierung und Hybridisierung in der Darstellung der Programme zu beobachten.

Daten zu Programmen können Forschende selbst recherchieren, oder sie greifen auf Programmarchive und Datenbanken zurück (Forschungsinfrastrukturen). Bspw. verfügt das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE) über ein Programmarchiv aus einer kontinuierlichen und zeitweise nahezu flächendeckenden Sammlung für Volkshochschulen (vhs) in der Bundesrepublik sowie für die vhs Leipzig der Jahre 1949 bis 1990. Programme im vereinigten Deutschland sind seit 1990 dokumentiert. Insgesamt umfasst das vhs-Programmarchiv am DIE etwa 60 Tsd. Programme, die in gedruckter Fassung vorliegen. Seit 2004 führt das DIE ein Online-Archiv nach bestimmten Sampling-Kriterien (Heuer, Hülsmann & Reichart, 2008) bzw. sind die Programme für dieses Sample digital recherchierbar. Der Zugang zu Digitalisaten ist offen über das Internet. Für die Länder Berlin und Brandenburg wurde 1995 das Weiterbildungsprogramm-Archiv Berlin/Brandenburg an der Humboldt-Universität zu Berlin gegründet. Es umfasst Programme von ca. 840 Weiterbildungseinrichtungen in Berlin und ca. 250 Einrichtungen in Brandenburg. Es bildet ein breites Spektrum offener und geschlossener Erwachsenen- und Weiterbildungsangebote unterschiedlicher Träger ab. Die Archivierung der Programme erfolgte fortlaufend bis heute. Das Archiv ist vor Ort zugänglich.

Für andere Bundesländer in Deutschland können Recherchen über die Einrichtungen, über Träger- oder Kommunalarchive oder über das Internet erfolgen. Für Österreich bestehen beim Österreichischen Volkshochschularchiv in Wien umfassende Programmbestände. In Schweden gibt es ein digitales Archiv zu vhs (Folkhögskolor) für die Jahre 1952 bis 2019 an der Universität Linköping. Dadurch, dass internationale Weiterbildungsorganisationen ihre Programme zumindest teil- und zeitweise online zugänglich machen, eröffnet dies die Möglichkeit für international vergleichende Forschungsarbeiten (international vergleichende Erwachsenenbildungsforschung) (Käpplinger et al., 2017). Allerdings sind oft nur die aktuellen Programme im Internet verfügbar. Auch kann im Internet teilweise lediglich per Suchmaske in Datenbanken recherchiert werden, sodass man keinen Zugriff auf das komplette Programm hat, sondern mit vielen Einzeldateien oder Unterseiten einer Homepage arbeiten muss. Insgesamt hat die P. mittels Archive und Internetquellen jeweils Möglichkeiten und Grenzen, die es mit Blick auf die jeweilige Forschungsfrage und den jeweiligen Datenbestand zu sondieren gilt.

Die zentrale Methode der P. ist die Programmanalyse, die auf die Strukturen, Ausdifferenzierungen und Schwerpunkte der Themen der Erwachsenen- und Weiterbildung fokussiert (Forschungsmethoden). Durch sie kann das Themenspektrum unter spezifizierten Fragestellungen abgebildet und ein Überblick über die Landschaft der Erwachsenen- und Weiterbildung, die dortigen Organisationen mit ihren Profilen und Bildungskonzepten sowie die bestehenden Institutionalformen (Lernorte) ermöglicht werden. Mit Programmanalysen (Käpplinger, 2008; Nolda, 2018) werden Ergebnisse der Programmplanung untersucht. Sie stellen somit empirische Auswertungen von Programmen dar.

Die Programmanalyse ist eine genuine Methode der Weiterbildungsforschung, die sich auf den Forschungsgegenstand Programm bezieht, wenngleich die qualitativen und quantitativen Analyseverfahren differieren. Die Programmanalyse wertet in nicht-reaktiver Form Programme aus der analytischen Distanz von Beobachtenden bzw. Kodierenden aus. Diese bedienen sich der vielfältigen Informationen in den Programmen, um Erkenntnisse über das Erwachsenenbildungsangebot einzelner oder mehrerer Träger bzw. Einrichtungen zu gewinnen. Häufig geschieht dies bezogen auf bestimmte Themen bzw. Ziele, Zielgruppen, Organisationsbedingungen und didaktische Arrangements. Dafür werden i. d. R. mehr oder minder elaborierte Kodiersysteme eingesetzt, die deduktiv, induktiv oder abduktiv entwickelt werden. In der Forschungsliteratur finden sich viele solcher Kodiersysteme, die in modifizierter Form zum Einsatz kommen oder Orientierung bieten (Gieseke & Opelt, 2003).

Programmanalysen rekurrieren auf Theorie-, Praxis- und Politikentwicklungen. Keine Methode – auch nicht schriftliche Befragungen oder Interviews – kann die Realität komplett erfassen, aber die Programmanalyse liefert wichtige Daten und andere Einblicke als Fragebögen oder Interviews. Zur Erforschung komplexer Zusammenhänge makro- bzw. mesodidaktischer Aspekte von Programmplanung und der Bildungspartizipation erlangt der Forschungszugang der Perspektivverschränkung eine besondere Bedeutung (­Robak et al., 2015). Dabei werden das Programm, die Planungsprozesse und die Teilnehmenden untersucht. Programmanalysen erbringen reichhaltige Einblicke in die Praxis, ermöglichen vertiefte Erkenntnisse über das organisierte Angebot der Erwachsenen- und Weiterbildung, machen Angebotsumfänge sichtbar und legen träger- und organisationsspezifische Profile frei.

Eine Programmanalyse kann je nach Fragestellung mit unterschiedlichen Zuschnitten von Ort, Organisation, Institution oder Thema bzw. Fach angelegt werden und unterschiedliche methodische Zugänge aufnehmen. Aus den Zuschnitten leiten sich verschiedene Arten von Programmanalysen ab. Die Anzahl an Studien und Forschungsergebnissen auf der Basis von Programmanalysen ist demgemäß groß. Unterschieden werden kann in trägerübergreifende, trägerspezifische, organisationsbezogene, bereichs- bzw. themenspezifische, fachbereichsübergreifende, regionale, längsschnittliche und zeitlich punktuelle Analysen.

Die P. und v. a. die Programmanalyse haben in den letzten Jahren vielfache und heterogene Anwendung gefunden. Kontinuierliche, aufeinander aufbauende Forschungen legen gesellschaftliche Entwicklungen und die Rolle von Bildung in spezifischen Bereichen wie der ästhetisch-kulturellen Bildung frei. Dadurch können fachspezifische und interdisziplinäre Wissensgrundlagen für Planungsprozesse und für die Erwachsenenbildungswissenschaft (Erwachsenenbildung als Wissenschaft) analysiert werden (Fleige, Gieseke & Robak, 2015). Entwicklungs- und Optimierungsbedarfe zeigen sich bei der Vernetzung der Forschungsergebnisse, der Methodenentwicklung in qualitativer wie quantitativer Hinsicht, dem differenzierten Umgang mit digitalen Veränderungen und Umbrüchen sowie dem Einbinden der Forschungsergebnisse in Aus- bzw. Fortbildungen des Weiterbildungspersonals (Weiterbildung der Weiterbildenden).

Die Digitalisierung erschwert einerseits die P., da Programme fluider werden und es deutlich mehr methodisch-systematische Anstrengungen braucht, um festzustellen, was alles über die verschiedenen medialen Kanäle (z. B. gedruckt, digital auf der Homepage, in den Social Media) im Untersuchungszeitraum angeboten wird bzw. angeboten wurde. Andererseits erleichtert sie die Arbeit und Zugänge der P. jedoch erheblich, da Programme via Internet regional, national und international relativ leicht zugänglich werden und internationale Forschungsgruppen auf digitale bzw. digitalisierte Programme gemeinsam zugreifen und ihre Zusammenarbeit virtuell organisieren können.

Literatur

Fleige, M., Gieseke, W. & Robak, S. (2015). Kulturelle Erwachsenenbildung. Strukturen – Partizipations­formen – Domänen (Reihe Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung, Bd. 30). Bielefeld: W. Bertelsmann.

Hessischer Volkshochschulverband. (Hrsg.). (2019). Hessische Blätter für Volksbildung, 69(2). Thema: Programmplanung – Programmforschung. Bielefeld: wbv Publikation.

Gieseke, W. & Opelt, K. (2003). Erwachsenenbildung in politischen Umbrüchen. Programmforschung Volkshochschule Dresden 1945–1997. Opladen: Leske + Budrich.

Gieseke, W. (Hrsg.). (2000). Programmplanung als Bildungsmanagement? Qualitative Studie in Perspektivverschränkung. Recklinghausen: Bitter.

Heuer, K., Hülsmann, K. & Reichart, E. (2008). Neuer Service für die Programmforschung. Das „Online-Archiv Weiterbildungsprogramme“ des DIE. DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung, 15(4), 46–48.

Hippel, A. von (2017). Theoretische Perspektiven auf Programmplanung in der Erwachsenenbildung. Zeitschrift für Weiterbildungsforschung, 40(2), 199209.

Käpplinger, B. (2008). Programmanalysen und ihre Bedeutung für pädagogische Forschung. Forum Qualitative Sozialforschung, 9(1), o. S.

Käpplinger, B., Robak, S., Fleige, M., Hippel, A. von & Gieseke, W. (Eds.). (2017). Cultures of program planning in adult education. Frankfurt a. M.: Peter Lang.

Nolda, S. (2018). Programmanalyse in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung. In R. Tippelt & A. von Hippel (Hrsg.), Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung (Reihe Springer Reference Sozialwissenschaften, 6., überarb. u. akt. Aufl., Bd. 1, S. 433–449). Wiesbaden: Springer VS.

Robak, S., Rippien, H., Heidemann, L. & Pohlmann, C. (Hrsg.). (2015). Bildungsurlaub – Planung, Programm, Partizipation. Eine Studie in Perspektivverschränkung. Frankfurt a. M.: Peter Lang.

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