Professionalität

Ekkehard Nuissl

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-232

Der Begriff P. leitet sich, so wie die Begriffe Profession und Professionalisierung,
aus dem lateinischen Wort professio für „Bekenntnis, Gewerbe, Beruf“ ab und legt die Betonung auf „gekonnte Beruflichkeit“. Er verweist somit auf einen kompetenztheoretischen Zugang zur Tätigkeit (Kompetenz).

Es gibt verschiedene Ansätze, P. zu definieren, z. B. berufsbiografische, wissensbasierte, interaktions- oder systemtheoretische. Meist wird P. als Attributmodell verstanden, d. h. als Ausübung einer Tätigkeit mit mehreren qualitativen Merkmalen: spezifische Ausbildung, Berufsbild (Prestige), wissenschaftliche Grundlage, Standesorganisation, relative Autonomie, ethische Prinzipien (Ethik). Auch deshalb wird „professionelle“ Tätigkeit als qualitativ gut verstanden. In jüngerer Zeit ist ein weiteres Attribut zur P. hinzugekommen: die permanente Weiterbildung (berufliche Weiterbildung) und Fortbildung in der beruflichen Tätigkeit. Sie gilt als unabdingbar, um jeweils auf dem Stand der professionellen Kompetenzen zu sein und zu bleiben. In manchen Berufen, insb. in pädagogischen Berufen, sind Erwerb und Praxis einer reflexiven Kompetenz zur Überprüfung und Verbesserung des eigenen Handelns Grundlage von P.

Unter „pädagogischer P.“ i. e. S. versteht man neben den erworbenen Kenntnissen auch deren Anwendung in komplexen und spezifischen Arbeitssituationen auf einem zu definierenden Niveau. Pädagogische P. ist näherungsweise erreicht, wenn wissenschaftliches Wissen auf praktische Probleme angewandt und das Allgemeine im Konkreten erkannt wird (Theorie und Praxis).

In der Erwachsenen- und Weiterbildung ist P. im Sinne des Attributmodells nicht vollständig vorhanden; v. a. mangelt es an einem übergreifenden Berufsbild, einer spezifischen Ausbildung und einer veritablen Standesorganisation. Umso mehr kann man jedoch eine relative Autonomie, ethische Prinzipien, oft Reflexivität und – seit den 1970er Jahren – auch vorhandene wissenschaftliche Grundlagen konstatieren. P. lässt sich in vielen Fällen als berufsbiografische Konstituante (Biografie) feststellen, sodass von einer teilweisen P. in der Erwachsenenbildung gesprochen werden kann. Im Zuge der Professionalisierung sind Bewegungen erkennbar, die Arbeit in der Erwachsenenbildung nicht nur vom Beschäftigtenstatus, sondern auch von ihren Tätigkeitsmerkmalen her in Richtung P. zu entwickeln (Seitter, 2009).

P. in der Erwachsenenbildung hat gegenüber traditionellen Professionen (z. B. Ärzte, Juristen, Pfarrer) einige Spezifika. Im pädagogischen Prozess, im Lehren und Lernen, liegt einer P. insb. das ethische Prinzip der Humanität zugrunde – in der Erwachsenenbildung als Prinzip des gleichberechtigten Umgangs von Erwachsenen miteinander. Dies setzt ein großes Maß an Methodenkompetenz (Methoden) voraus. Auch ist die doppelte Herausforderung im fachlichen und im pädagogischen Bereich eine Besonderheit pädagogischer P.

Das professionelle Selbstverständnis, das in anderen Berufen in einer grundständigen Ausbildung quasi mitvermittelt wird, gelingt in der Erwachsenenbildung nicht, da dort solche Eingangsvoraussetzungen nicht zwingend sind. Häufig sehen sich Erwachsenenpädagoginnen und -pädagogen selbst nicht als Angehörige dieser Profession. In der jüngsten Vergangenheit wurden Fortschritte darin erzielt, die Gegenstandsbereiche der P. von Pädagoginnen und Pädagogen und Tätigen im Bereich der Erwachsenenbildung und die dafür erforderlichen professionellen Kompetenzen zu benennen. Das GRETA-Modell (Grundlagen für die Entwicklung eines trägerübergreifenden Anerkennungsverfahrens für die Kompetenzen Lehrender in der Erwachsenen- und Weiterbildung) des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (Strauch, Alberti & Schneider, 2020) ist hier ebenso zu nennen wie das wba-Zertifikat und wba-Diplom der Weiterbildungsakademie (wba) Österreich und das modulare Baukastensystem Ausbildung der Ausbildenden (AdA) des Schweizerischen Verbands für Weiterbildung (SVEB) – beide in Weiterbildungseinrichtungen zu erwerben, die nach den staatlichen Qualitätssiegeln für Erwachsenenbildungseinrichtungen Ö-Cert (Österreich) bzw. eduQua (Schweiz) akkreditiert sind (Kompetenzbilanzierung).

Darüber hinaus bestehen Professionalitätsanforderungen an die Bedingungsgrundlagen der Lehr-Lern-Prozesse, an Planung und Organisation (Bildungsmanagement), Leitung und Management, Zieldefinition und Evaluation von Einrichtungen der Weiterbildung und ihren Angeboten. P. bezieht sich auch darauf, für den institutionellen ­Kontext von Lehre und Vermitteln geeignete (Qualitäts-)Standards (Qualität) zu definieren und zu realisieren (Schicke, 2012). In der Ansprache der Lernenden, der Profilierung der Einrichtung, der Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts zwischen Markt und pädagogischem Ethos liegen insb. in der Erwachsenenbildung zentrale Anforderungen an die P. der dort Tätigen.

In der Entwicklung von P. liegen in allen pädagogischen Feldern, insb. auch in der Erwachsenenbildung, einige Gefahren. So wichtig ein Teil von P. die „professionelle Distanz“ zum Gegenstand ist – zu den Lernenden und zum Stoff gleichermaßen –, so wenig darf dies dazu führen, Engagement und Begeisterung, Humanität und Ethos, menschliche Nähe und Verantwortung aufzugeben. Ein wesentlicher Teil von P. im Bereich der Erwachsenenbildung ist der Erhalt einer angemessenen Balance zwischen Nähe und Distanz. Diese erfordert eine reflexive Kompetenz, die das erwachsenenbildnerische Subjekt kontinuierlich zur Wahrnehmung von Selbst- und Fremdbildern befähigt.

Literatur

Nuissl, E. & Lattke, S. (Eds.). (2008). Qualifying adult learning professionals in Europe. Bielefeld: W. Bertelsmann.

Strauch, A., Alberti, V. & Schneider, M. (2020). Professionelle Handlungskompetenzen Lehrender in der Erwachsenen- und Weiterbildung anerkennen. GRETA-PortfolioPlus. Hessische Blätter für Volksbildung, 70(1), 90–98.

Schicke, H. (2012). Organisation als Kontext der Professionalität. Beruflichkeit pädagogischer Arbeit in der Transformationsgesellschaft (Reihe Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung, Bd. 21). Bielefeld: wbv Publikation.

Seitter, W. (2009). Professionalitätsentwicklung als aufgabenbezogene Tätigkeitserweiterung und berufsbiographische Kompetenzaufschichtung: Ein Aufriss. In W. Seitter & J. Kade (Hrsg.), Professionalitätsentwicklung in der Weiterbildung (Reihe Theorie und Empirie lebenslangen Lernens, S. 11–16). Wiesbaden: Springer VS.

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