Professionalisierung

Sabine Schmidt-Lauff

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-231

In der Trias von Profession und Professionalität ist P. zuvorderst als eine Prozesskategorie zu verstehen, die komplexe Vorgänge (1) der Neukonstitution eines Berufs bzw. der Institutionalisierung eines Berufsfelds, (2) der Aufwertung und Etablierung eines bestehenden Berufs (mit Blick auf die Attribute von „Profession“) sowie (3) der individuellen Einmündung in ein Berufsfeld sowie der Ausübung bzw. der Reifung in der Berufsarbeit (Entwicklung von Professionalität) umfasst. Im internationalen Kontext wird unterschieden zwischen dem angloamerikanischen Muster der P. professionalization from within (aus sich selbst heraus) als Entwicklung von Berufsgruppen aus dem Berufsfeld heraus und deren erfolgreiche Positionierung in einem Markt und in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und dem kontinentaleuropäischen Muster der P. professionalization from above (von oben) als Verleihung von Privilegien und als Definition von Berufsgruppen z. B. über staatlich regulierte Ausbildungsgänge und Berufsverordnungen.

Im Begriff P. kumulieren vielfältige, sich im Zeitablauf wandelnde Ansprüche an Funktions-, Struktur- und Individualebene, die untereinander in Beziehung stehen und sich gegenseitig bedingen. Nittel (2000) hat hierzu unterschieden: Die kollektive P. als sozialer Prozess zielt auf die Sichtbarmachung und Anerkennung eines gesellschaftlichen Leistungssegments durch Bestimmung und Durchsetzung zugehöriger Aufgaben- und Arbeitsbereiche, eine berufsethische Ausrichtung sowie eine Akademisierung und Verwissenschaftlichung der Arbeitsvollzüge. Hingegen umreißt die individuelle P. einen personengebundenen Prozess der (akademischen) Qualifizierung sowie der berufsbezogenen Wissens- und Erfahrungsaneignung und Habitualisierung (Professionalität) als „aufgabenbezogene Tätigkeitserweiterung und berufsbiographische Kompetenzaufschichtung“ (Seitter, 2009, S. 11).

Dabei lassen sich verschiedene historische Phasen – als mitunter parallel verlaufende wie ineinandergreifende Prozesse – im Verlauf der P. beschreiben: Zunächst entwickelte sich die P. in den 1960er Jahren als „Verberuflichung“ (Wolfgang Schulenberg) und war eng an den Ausbau des Weiterbildungsbereichs zum quartären Bildungssektor gekoppelt (Phase der „Konstruktion“; Gieseke, 2018, S. 61f.). Dadurch wirkte bis in die 1970er Jahre hinein eine Phase der Konzentration auf (erwachsenen-)pädagogische Qualifizierungen (Novellierung der Diplomstudiengänge, Zusatzstudiengänge und -qualifikationen Erwachsenenbildung) zur Konsolidierung der Tätigkeitsfelder von leitenden, disponierenden, programmplanenden und angebotsentwickelnden sowie lehrenden, begleitenden und beratenden Berufsrollen in der Weiterbildung ( Kursleitende – Trainer – Beratende; Personal). Etwa in den 1980er Jahren lässt sich tendenziell ein bildungspolitischer Rückzug von Ansprüchen der P. unter gleichzeitiger theoretischer „Dekonstruktion“ (ebd., S. 64) von Professionen generell beobachten. Mit der Fokussierung auf eine stärkere Marktorientierung unter neuen Qualitäts- und Effizienzaspekten (Qualität; Wirtschaftlichkeit) ab den 1990er Jahren wurde eine neoliberale Phase der Individualisierung eingeleitet, in der dann um die Jahrtausendwende eine Professionsentwicklung ohne begleitende Policies, die die (professionellen) Akteure tatsächlich unterstützen, erfolgt. Das heterogene Wachstum des Weiterbildungssegments, zunehmende Rationalisierungs-, Qualitätssicherungs- und Monitoringverfahren (Monitoring) rufen aber seit einigen Jahren auch Gegenbewegungen einer „Reorganisation von wissenschaftlichen und ethischen Ansprüchen“ (ebd., S. 67f.) von P. hervor. Deren weitere Entwicklungen stehen unter dem Einfluss neuer Handlungsspielräume (Digitalisierung), eines veränderten Weltbewusstseins (Beziehungsgefüge und Nachhaltigkeit) sowie eines relationalen Professionalisierungsbewusstseins der nachfolgenden Generationen, welche ein Sowohl-als-Auch der beschriebenen divergierenden Prozessbewegungen stehen lassen.

In diesen vielschichtigen Prozessen um P. lassen sich wechselnde Kräfteverhältnisse, aber auch dauerhafte Verwerfungen und widerstreitende Auslegungen erkennen: das stete Ringen um gesellschaftliche Machtansprüche (Mandat und Lizenz) im Zuge kontinuierlicher Aufwertungen des lebensbegleitenden Lernens (lifelong learning) oder die Betonung der Notwendigkeit von Interessenvertretung (z. B. Berufsverband, Dachverbände). Auch geht es um die Ausdeutung der Vielfalt an berufsbiografischen Identitäten (Biografie; Identität) zwischen Dynamik und Kontinuität (Bremer, Pape & Schlitt, 2020), zwischen Prekarität und Stabilität (Martin & Schrader, 2021) in den jeweils sehr unterschiedlichen Bedingungskontexten für Professionalität. Zum Prozesscharakter des Berufsfelds und entsprechend spezifischen Entwicklungen der P. und ihren Unterschiedlichkeiten in den verschiedenen Handlungsfeldern der Erwachsenen- und Weiterbildung liegen mittlerweile zahlreiche Forschungsbefunde vor und entwickeln sich stetig weiter, sodass Spannungsgefüge sichtbar gemacht und Struktur- bzw. Handlungsanforderungen im Kontext von P. markiert werden können (Egetenmeyer & Schmidt-Lauff, i. D.).

Literatur

Bremer, H., Pape, N. & Schlitt, L. (2020). Habitus und professionelles Handeln in der Erwachsenenbildung. Hessische Blätter für Volksbildung, 70(1), 57–71.

Egetenmeyer, R. & Schmidt-Lauff, S. (i. D.). Professionalität und Professionalisierung in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung. In H. Reinders, D. Bergs-Winkels, A. Prochnow & I. Post (Hrsg.), Empirische Bildungsforschung: Eine elementare Einführung. Wiesbaden: Springer VS.

Gieseke, W. (2018). Professionalisierung der Erwachsenenbildung/Weiterbildung. Historische Prozesse und strukturelle Herausforderungen der Gegenwart. In R. Dobischat, A. Elias & A. Rosendahl (Hrsg.), Das Personal in der Weiterbildung (S. 57–79). Wiesbaden. Springer VS.

Martin, A. & Schrader, J. (2021). Das Personal in der Weiterbildung. In S. Widany, E. Reichart, J. Christ & N. Echarti (Hrsg.), Trends der Weiterbildung. DIE-Trendanalyse 2021 (Reihe DIE Survey. Daten und Berichte zur Weiterbildung, Bd. 10, S. 179–208). Bielefeld: wbv Publikation.

Nittel, D. (2000). Von der Mission zur Profession? Stand und Perspektiven der Verberuflichung in der Erwachsenenbildung (Reihe Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung). Bielefeld. W. Bertelsmann.

Seitter, W. (2009). Professionalitätsentwicklung als aufgabenbezogene Tätigkeitserweiterung und berufsbiographische Kompetenzaufschichtung: Ein Aufriss. In W. Seitter (Hrsg.), Professionalitätsentwicklung in der Weiterbildung (S. 11–19). Wiesbaden: Springer VS.

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Professionalität