Organisationsforschung

Dörthe Herbrechter & Michael Schemmann

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-216

Welches Erkenntnisinteresse und welche empirischen Phänomene, theoretischen Annahmen und methodischen Mittel „die“ O. in den Fokus rückt, lässt sich nicht eindeutig festlegen. Vielmehr werden je nach Disziplin differente Verständnisse zugrunde gelegt und spezifische Aspekte des Funktionierens und Bestehens von Organisationen ausgeleuchtet, während andere eher im Dunkeln bleiben. So interessiert sich die Betriebswirtschaftslehre aus einer primär anwendungsorientierten Perspektive v. a. für Fragen der Effektivität, Effizienz und Produktivität, während sich die Soziologie überwiegend grundlagenorientiert zumeist der Analyse des Zusammenspiels von geschaffenen Strukturen und verbleibenden Handlungsspielräumen widmet und die Psychologie im Verständnis der anwendungs- und grundlagenorientierten Forschung insb. auf das Erleben und Verhalten der Organisationsmitglieder fokussiert (Rosenstiel, Molt & Rüttinger, 2005).

Die (Weiter-)Bildungswissenschaft hat sich erst vergleichsweise spät (Ende der 1980er Jahre) der Organisationsfrage zugewandt. Lange Zeit dominierte die Vorstellung, organisationsbezogene Aufgaben behinderten Pädagoginnen und Pädagogen in ihrer „eigentlichen“ Aufgabe, der Bildungsarbeit. Für die bundesdeutsche Weiterbildung war zudem bedeutsam, dass sich ihre institutionellen und organisationalen Strukturen erst in den späten 1960er und 1970er Jahren festigten (Institutionalisierung). Seit einigen Jahren rücken Organisationen jedoch zunehmend als Analysegegenstand in den Mittelpunkt. Begründet liegt dies in gestiegenen Innovations- und Managementerwartungen (Innovation; Leitung – Management) und veränderten Finanzierungsbedingungen in der Weiterbildungspraxis (Finanzierung der Weiterbildung) sowie in einem in der Erwachsenenbildungswissenschaft weithin geteilten Verständnis von Weiterbildung als Mehrebenensystem. Aus einer Mehrebenenperspektive interessieren Weiterbildungsorganisationen v. a. als eine zentrale Rahmenbedingung für eine gelingende, organisierte Ausgestaltung des Lernens Erwachsener.

In den vergangenen Jahren hat die weiterbildungsbezogene O. deutlich an Produktivität gewonnen, sodass inzwischen vielfältige empirische Studien vorliegen, in deren Rahmen die Organisation als Bedingungsvariable für Lehr-Lern-Prozesse in ihrem Funktionieren und Bestehen untersucht wird. Bislang handelt es sich dabei überwiegend um Einzelstudien, die sich kaum systematisch im Sinne eines übergeordneten Forschungsprogramms aufeinander beziehen, weshalb sich eine Beschreibung zentraler Schwerpunkte der O. nach wie vor an allgemein verbleibenden Themenclustern orientieren muss. Inspiriert durch sozialwissenschaftliche Systematisierungsvorschläge lassen sich die bisherigen, einen ersten Überblick gebenden Beiträge der weiterbildungsbezogenen O. zu folgenden Forschungsschwerpunkten verdichten (Herbrechter & Schrader, 2018, S. 303–313):

  • Studien, die sich mit der organisationalen Struktur des Weiterbildungssystems beschäftigen und v. a. Wissen darüber erzeugen, welche Organisationstypen das System der organisierten Weiterbildung konstituieren (z. B. wbmonitor oder Evaluationsstudien zur Wirksamkeit der Weiterbildungsgesetze in einzelnen Bundesländern);
  • Studien, die die interne Ausgestaltung von Weiterbildungsorganisationen in den Fokus rücken (z. B. mit Blick auf das Management (Bildungsmanagement), das Marketing, die Personalrekrutierung oder den Umgang mit Konflikten);
  • Studien, die untersuchen, wie Weiterbildungsorganisationen ihre Leistungserbringung zu gewährleisten versuchen (z. B. durch das Hervorbringen spezifischer Planungskulturen oder den Einsatz von weiterbildungsspezifischen Qualitätsmanagement­systemen);
  • Studien, die das Organisation-Umwelt-Verhältnis bspw. mit Blick auf die Ausgestaltung von Kooperations- und Vernetzungsbeziehungen zwischen mehreren Weiterbildungsorganisationen analysieren (Netzwerke – Kooperationen);
  • Studien, die sich v. a. mit Bedingungen und Merkmalen gelingender organisationaler Veränderungsprozesse befassen (Organisationsberatung; Organisationsentwicklung).

So vielfältig die bisherigen Forschungsschwerpunkte sind, so unterschiedlich sind auch die jeweils herangezogenen theoretischen Konzepte, Modelle und Ansätze. Dies ist nicht mit einer forscherischen oder theoretischen Beliebigkeit zu begründen, sondern spiegelt eine Eigentümlichkeit des empirischen Phänomens Organisation wider. Diese brachte der britisch-kanadische Organisationsforscher Morgan (1986, S. 339) bereits Mitte der 1980er Jahre auf den Punkt: „Organizations are many things at once.“ Organisationen stellen komplexe soziale Zusammenhänge dar, die auf der Basis einer definierten Mitgliedschaft und (in-)formeller Strukturen einen spezifischen Zweck erfüllen. Sie verfügen über eine so große Komplexität, dass sie nicht vollständig von einer Organisationstheorie erfasst werden können. Vielmehr vermag eine einzelne Theorie jeweils nur einen spezifischen Ausschnitt des Organisationsgeschehens zu beschreiben und zu erklären.

In der organisationstheoretischen Literatur wird zwischen drei Arten von Theorien unterschieden: (1) Mikrotheorien fokussieren das Verhalten der Organisationsmitglieder im Inneren der Organisation. (2) Mesotheorien nehmen die strukturellen Bedingungen bestimmter Organisationseinheiten und deren Veränderung in den Blick. (3) Makrotheorien rücken ganze Organisationen und die Beziehungen zwischen ihnen in den Mittelpunkt. Mit Blick auf die zuvor skizzierten Schwerpunkte der organisationsbezogenen Weiterbildungsforschung legt sich nahe, dass diesen sowohl mikro- als auch meso- und makrotheoretische Ansätze zugrunde liegen. Die Frage nach den theoretischen Schwerpunkten der weiterbildungsbezogenen O. ist in den vergangenen Jahren von mehreren Überblicksbeiträgen systematisch aufgegriffen worden. Obgleich für die Aufarbeitung des Forschungsstands unterschiedliche Herangehensweisen gewählt wurden, deuten sie dennoch darauf hin, dass z. B. mit dem organisationssoziologischen Neo-
Institutionalismus und den organisationsrelevanten Überlegungen der Systemtheorie von Niklas Luhmann makrotheoretische Ansätze besonders häufig Anwendung finden (z. B. Pätzold, 2015).

Nicht zuletzt aufgrund der früheren Dominanz betriebswirtschaftlicher Forschungsbeiträge liegen die methodischen Ursprünge der O. primär im Bereich der quantitativen Verfahren. Während zunächst quantitative Analysen einzelner Organisationen insb. mit Blick auf ihre interne Struktur und ihre konkreten Arbeitsabläufe dominieren, rücken in der zweiten Hälfte des 20. Jh. vergleichende Untersuchungen von Organisationen in den Fokus. Mit dem Bedeutungsgewinn der interpretativen O. finden in den 1950er Jahren auch zunehmend qualitative Methoden Anwendung. Aus dieser qualitativ-interpretativen Perspektive werden Organisationen als soziale Gebilde verstanden, die aus individuellen und kollektiven Wahrnehmung-, Deutungs- und Aneignungsprozessen hervorgehen und daher nur angemessen analysiert werden können, wenn die Relevanzstrukturen ihrer Mitglieder möglichst tiefenscharf erfasst werden. Mittlerweile verfügt die
(inter-)nationale O. insgesamt über ein breites qualitatives wie quantitatives Methodenrepertoire, obschon einzelne Disziplinen wie die Psychologie oder Betriebswirtschaftslehre nach wie vor hypothesentestende Verfahren favorisieren. In der weiterbildungsbezogenen O. überwiegen demgegenüber empirische Studien, die ein qualitatives Forschungsdesign zugrunde legen. Dies kann darin begründet liegen, dass zum einen in der Erwachsenen- und Weiterbildungsforschung seit der sog. realistischen Wende insb. der Anteil qualitativer Studien kontinuierlich gestiegen ist und dass zum anderen für Weiterbildungsorganisationen nur wenige, kontextspezifische und nicht systematisch aufeinander beziehbare Datensätze vorliegen. Unter den für die O. relevanten Datensätzen der Weiterbildungsstatistik stellt bspw. die vhs-Statistik insofern eine Besonderheit dar, als sie Informationen zur Organisationsstruktur und zum Leistungsangebot von Volkshochschulen (vhs) bundesweit längsschnittlich erfasst. Allerdings ist die Genauigkeit der generierten Daten nur schwer abzuschätzen und ihre Vergleichbarkeit mit anderen Datensätzen gering.

Folglich dominieren in der weiterbildungsbezogenen O. Befunde, die zunächst Beschreibungswissen über verschiedene empirische Phänomene des Funktionierens und Bestehens von Weiterbildungsorganisationen generieren. In den letzten Jahren gewinnen zudem – auch aus der Perspektive der Weiterbildungspraxis virulent gewordene – Fragen der gelingenden Handlungskoordination verschiedener Akteure bzw. Personalgruppen von Weiterbildungsorganisationen als zusätzliche Forschungsperspektive an Bedeutung. Hierzu können im Sinne eines abschließenden Schlaglichts folgende empirische Ergebnisse ausgewählter Studien skizziert werden: Franz und Scheffel (2017) zeigen für die organisationsinterne Zusammenarbeit zwischen pädagogischem und nicht-pädagogischem Personal, dass trotz bestehender Differenzen zwischen den Handlungslogiken der Verwaltung und der pädagogischen Professionalität eine übergreifende Form gemeinsamen professionellen Handelns wahrscheinlicher wird, wenn es gelingt, wechselseitig füreinander transparente Kommunikationsstrukturen dauerhaft zu etablieren. Wird die Zusammenarbeit zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden in den Blick genommen (Herbrechter, 2018), so scheinen neben der (erwartbaren) Handlungsabstimmung qua Hierarchie auch nicht-hierarchische Formen der (Mitarbeiter-)Führung (z. B. ein handelndes Zusammenwirken auf Basis gemeinsam vereinbarter Regeln) bedeutsam zu sein, die sich mit dem organisationalen und institutionellen Kontext in Verbindung bringen lassen. Die Zusammenarbeit zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden scheint also nicht – wie bislang v. a. in der Organisationspsychologie angenommen – vollständig durch das Zusammenspiel von Vorgesetzten, Mitarbeitenden und der (Arbeits-)Situation beschreibbar zu sein, sondern wird zusätzlich durch ihre jeweilige organisationale und institutionelle Einbettung beeinflusst (ebd.). Für das handelnde Zusammenwirken von Weiterbildungsorganisationen mit Akteuren ihrer Umwelt weisen die Analysen des DFG-finanzierten Forschungsprojekts Governance-Strukturen und pädagogische Leistungsprofile in Organisationen der Weiterbildung (GLOW) (SCHE 585/2-1; DO 746/3-1) darauf hin, dass Weiterbildungsorganisationen sowohl zu funktional ähnlichen als auch unähnlichen Organisationen ihrer Umwelt Interdependenzbeziehungen eingehen. Dabei sind die Beziehungen zu funktionsunähnlichen Akteuren v. a. von direkter hierarchischer Interaktion geprägt, während sich die Handlungsabstimmung mit funktionsähnlichen Organisationen für gewöhnlich nicht-hierarchisch und in direkter und/oder indirekter Interaktion auszugestalten scheint (Schemmann, Herbrechter & Engels, 2020).

Literatur

Franz, J. & Scheffel, M. (2017). Zur Zusammenarbeit zwischen pädagogischen und nicht-pädagogischen Mitarbeitenden in der Erwachsenenbildung – eine empirische Analyse der Perspektive von Verwaltungskräften. Zeitschrift für Weiterbildungsforschung, 40(1), 9–24.

Herbrechter, D. (2018). Organisation und Führung in institutionellen Kontexten der Weiterbildung (Reihe Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung, Bd. 40). Bielefeld: wbv Publikation.

Herbrechter, D. & Schrader, J. (2018). Organisationstheoretische Ansätze in der Erwachsenenbildung. In R. Tippelt & A. von Hippel (Hrsg.), Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung (Reihe Springer Ref­er­ence Sozialwissenschaften, 6., überarb. u. akt. Aufl., Bd. 1, S. 295–318). Wiesbaden: Springer VS.

Morgan, G. (1986). Images of organization. Beverly Hills (US): Sage.

Pätzold, H. (2015). Organisationstheorien in der Erwachsenenbildung: Rezeption und Nutzung. Internationales Jahrbuch für Erwachsenenbildung, 38, 19–36.

Rosenstiel, L. von, Molt, W. & Rüttinger, B. (2005). Organisationspsychologie (9., vollst. überarb. u. erw. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.

Schemmann, M., Herbrechter, D. & Engels, M. (2020). Researching the political economy of adult learning systems. Theoretical amendments and empirical findings. Zeitschrift für Weiterbildungsforschung, 43(2), 259–273.

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