Organisationsentwicklung

Ortfried Schäffter

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-215

Ähnlich wie beim Begriff Bildung finden sich in den wissenschaftlichen Diskursen zur O. transitive und intransitive Verwendungsweisen vor, sodass neben einer Rekonstruk­tion von Prozessen der O. auch normative Strategien und Verfahren der Organisationsberatung als O. bezeichnet werden. Daneben finden sich Überschneidungen mit den Konzepten des Organisationslernens, mit denen eine Position zwischen einer deskriptiv-analytischen und einer normativen Begriffsverwendung bezogen wird. Als Sammelbegriff, unter dem alle erziehungswissenschaftlich relevanten, pädagogischen Aspekte von O. und Organisationsforschung auch außerhalb des Bildungssystems subsumiert werden, hat sich der von Geißler (2000) eingeführte Begriff „Organisationspädagogik“ eingebürgert. In der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) wurde schließlich eine Sektion Organisationspädagogik gegründet, um O. als ein erziehungswissenschaftliches Forschungsfeld zu etablieren (Göhlich et al., 2014).

Eine konsensfähige kategoriale Bestimmung von O. im Kontext der Erwachsenen- und Weiterbildung befindet sich noch in ihren Anfängen: Sie hängt von dem je zugrunde gelegten Entwicklungskonzept und von dem gewählten Paradigma von Organisation ab. Klärungsbedürftig bleiben bisher sowohl der Begriff „Entwicklung“ als auch ein auf ihn konsistent beziehbares Konzept von pädagogischen Organisationen, die im Rahmen eines organisationspädagogischen Forschungsansatzes wechselseitig zueinander ins Verhältnis zu setzen wären. Hierzu sind bislang erst Vorüberlegungen verfügbar.

Der Begriff „Entwicklung“ unterscheidet sich von „Veränderung“ im Sinne eines zunächst kontingenten strukturellen Wandels dadurch, dass spätere Veränderungen aus den vorangehenden mit einer inneren Notwendigkeit anschließen und dass ihre Abfolge eine durchgehende Richtung einhält, selbst wenn hierbei epistemologisch diskontinuierliche Brüche auftreten. Bezogen auf Institutionen der Weiterbildung lässt sich retrospektiv immer eine Fülle von Einzelveränderungen konstatieren. Ihre entwicklungsleitende Bedeutung erschließt sich jedoch erst, wenn sie narrativ in den temporalen Kontext einer sinngenerierenden Abfolge – also in einen strukturellen Entwicklungszusammenhang –
gestellt werden. „Entwicklung“ beruht in ihrer Temporalität auf Deutungen über Zusammenhänge zwischen vergangenen Zuständen, gegenwärtigen Veränderungen und zukünftigen Möglichkeiten. Als Akt eines organisationalen Sinnstiftens lassen sich unterschiedliche Entwicklungslogiken im performativen „emplotment“ (Hayden White) unterscheiden: die Entfaltung, das Vergehen, die Transformation (Küchler & Schäffter, 1997).

Welche narrative Entwicklungslogik nun der Vielfalt täglicher Einzelveränderungen in den performativen Prozessen des organisationalen Sinnstiftens unterlegt wird, ist einerseits eine kollektive Interpretationsleistung der konstruierten Umwelt durch die beteiligten Akteure, andererseits aber auch Ausdruck praktischer Organisationspolitik und damit von Definitionsmacht. Aussagen über Entwicklungszusammenhänge lassen sich daher nicht ausschließlich aus pragmatischen Betriebsabläufen und ihrer Alltagslogik ableiten. Entwicklungsdeutungen erfordern stattdessen einen die Einzeleinrichtung übergreifenden institutionellen Sinnzusammenhang. O. ist daher nicht mit der Einrichtungsgeschichte zu verwechseln, sondern eine Dimension, die sich nur auf der Basis gesellschaftlicher Institutionalisierung realisiert (Schäffter, 2001). O. bietet in ihrer Begrifflichkeit bereits Anhaltspunkte, bei denen intentionale Veränderung als Kampf um Einflussnahme in den Blick geraten. Die Varianten an Einflussmöglichkeiten werden an drei Formen unterscheidbar: an basaler, strategischer und reflexiver O. (Küchler & Schäffter, 1997).

In den gegenwärtigen organisationstheoretischen Diskursen erscheint der Begriff „Organisation“ kontingent und lässt sich daher unter differenten Paradigmen und ihrem jeweiligen wissenschaftlichen Vokabular fassen. Die epistemologische und ontologische Inkommensurabilität differenter organisationaler Selbstbeschreibungen führt zu einem breiten Spektrum dessen, was unter O. wahrgenommen, konzipiert und beratend beeinflusst werden kann. Orientiert man sich an der bisherigen Theoriegeschichte der Organisationswissenschaften, so lassen sich paradigmatische Beschreibungsformen von Weiterbildungsorganisationen unterscheiden und daran lernförderliche Dimensionen von O. bestimmen. Insgesamt geht aus dem dimensionalen Katalog von Deutungen, konzeptionellen Ansätzen und Verfahrensweisen pädagogischer Organisationen hervor, dass man hier bereits am eigenen Fall auf ein organisationspädagogisches Problem stößt, mit dem sich berufliche Weiterbildung anschließend in Theorie, empirischer Forschung und beratungsförmiger Praxis (Beratung im Kontext lebenslangen Lernens) in den Organisationen ihrer Bildungsadressaten lernend auseinandersetzen muss. O. lässt sich daher neben Personalentwicklung als eine der zukunftsweisenden Herausforderungen an alle Institutionalformen der Weiterbildung betrachten.

Literatur

Geißler, H. (2000). Organisationspädagogik. Umrisse einer neuen Herausforderung. München: Vahlen.

Göhlich, M., Weber, S. M., Schröer, A. et al. (2014). Forschungsmemorandum Organisationspädagogik. Berlin: DGfE.

Küchler, F. von & Schäffter, O. (1997). Organisationsentwicklung in Weiterbildungseinrichtungen. Frankfurt a. M.: PAS DVV.

Schäffter, O. (2001). Weiterbildung in der Transformationsgesellschaft. Zur Grundlegung einer Theorie der Institutionalisierung. Baltmannsweiler: Schneider.

Schiersmann, C. & Thiel, H.-U. (2018). Organisationsentwicklung: Prinzipien und Strategien von Veränderungsprozessen (5., überarb. u. akt. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS.

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