Österreichische Erwachsenenbildung

Werner Lenz

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-217

In Österreich werden die Begriffe „Erwachsenenbildung“ und „Weiterbildung“ synonym verwendet. Der Begriff „Volksbildung“ kommt nostalgisch zum Einsatz, um sich traditioneller Aufgaben zu erinnern. An seiner Stelle wird, bildungspolitisch akzentuiert, von „Basisbildung“ gesprochen. Mit der Ökonomisierung des Bildungswesens haben Begriffe wie „Training“, „Schulung“ und „berufliche Fortbildung“ Fuß gefasst. Aufgrund des Beitritts Österreichs zur Europäischen Union 1995 und der zunehmenden Internationalisierung wurden Begriffe wie „lebenslanges Lernen“ (lifelong learning) und „lebensbegleitende Bildung“ gebräuchlich. Ebenfalls setzten sich die Bezeichnungen „formale“ und „non-formale Bildung“ sowie „informelles Lernen“ durch (formale – non-formale – informelle Bildung). Mit der intensivierten Bildungstätigkeit im Kontext der Migration wird zudem der Begriff „integrative Bildung“, z. B. durch Deutschkurse, immer bedeutender.

1972 haben sich die großen, bundesweiten Verbände der österreichischen E. zur Konferenz der Erwachsenenbildung Österreichs (KEBÖ) zusammengeschlossen. Die Trennung in berufsbildende und allgemeinbildende ö. E. wird hierbei institutionell relativ strikt eingehalten. Berufsbildende Institutionen bieten allerdings vermehrt Kurse im allgemeinbildenden Bereich an („Vollanbieter“) und konkurrieren mit Institutionen, die sich bisher auf allgemeinbildendes Orientierungswissen spezialisiert hatten (Weiterbildungsanbieter). Zu den allgemeinbildenden Institutionen zählen: Arbeitsgemeinschaft der Bildungshäuser Österreichs, Büchereiverband Österreichs, Forum Katholischer Erwachsenenbildung in Österreich, Volkswirtschaftliche Gesellschaft Österreich, Ring Öster­reichischer Bildungswerke, Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung, Verband Österreichischer Volkhochschulen. Zu den berufsbildenden Institutionen gehören: Berufsförderungsinstitut Österreich, Ländliches Fortbildungsinstitut Österreich, Wirtschaftsförderungsinstitut der Wirtschaftskammer Österreich.

Zunehmend treten neben den bundesweiten, gemeinnützigen Trägern der österreichischen E. privatwirtschaftliche Anbieter auf, häufig als Einpersonenunternehmen organisiert. Das „Schulorganisationsgesetz“ ermöglicht den Schulen seit 1998 im Rahmen der Teilrechtsfähigkeit, als Weiterbildungsträger zu agieren. Die Universitäten sind auf Basis des „Universitätsgesetzes“ seit 2002 zur Weiterbildung ihrer Absolventeninnen und Absolventen verpflichtet. Als Träger von Weiterbildung haben sie ihr Angebot in Form von Universitätslehrgängen in den letzten Jahren intensiviert und etabliert. 2004 wurde per Bundesgesetz die Weiterbildungsuniversität in Krems an der Donau als 22. österreichische Universität anerkannt.

Die Förderung der österreichischen E. ist durch ein Bundesgesetz über die Förderung der Erwachsenenbildung und des Volksbüchereiwesens (1973) geregelt. Das Arbeitsmarktservicegesetz (1994; vormals Arbeitsmarktförderungsgesetz) dient dazu, u. a. mit Weiterbildung Vollbeschäftigung zu erreichen und zur optimalen Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarkts beizutragen. Gesetzlichen Anspruch auf Bildungsfreistellung gibt es für Mitglieder des Betriebsrats oder durch kollektivvertragliche Bestimmungen. Bildungskarenz (seit 1998) und Bildungsteilzeit (seit 2015) können zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmenden vereinbart werden (Bildungsurlaub). Den Zugang zur Hochschule ohne Abitur (zweiter Bildungsweg) legt das Gesetz zur Berufsreifeprüfung (1997; Novellen 2000, 2005) fest. Die Berufsreifeprüfung führt über einen berufsbegleitenden Bildungsweg zum Abschluss eines fachgebundenen Abiturs. Die Studienberechtigungsprüfung, seit 2010 von den Hochschulen autonom durchgeführt, bietet eine facheingeschränkte Zulassung zu einem Studium.

Die Finanzierung der österreichischen E. (geschätztes Volumen etwa drei Mrd. Euro) erfolgt zu ca. je einem Drittel durch Arbeitsmarktservice, durch Betriebe sowie durch öffentliche Hand und Teilnehmende.

Die Teilnahmequote der Bevölkerung an Erwachsenenbildung liegt in Österreich durchschnittlich zwischen 20 und 30 Prozent, speziell in der beruflichen Fortbildung je nach Branche bei bis zu 80 Prozent.

Zur Sicherung der Qualität wurde mit „Ö-Cert“ ein Anerkennungsverfahren (Anerkennung – Validierung) geschaffen, das sich auf die Organisation, das Angebot, ethische und demokratische Prinzipien sowie auf leitende Paradigmen der österreichischen E. bezieht. Bildungsberatung und -information für Erwachsene (Beratung im Kontext lebenslangen Lernens) werden bundesweit online und persönlich angeboten.

Eine akademische Qualifizierung zum Erwachsenenbildenden erfolgt an Universitäten im Rahmen eines viersemestrigen Masterstudiums. An Pädagogischen Hochschulen gibt es ebenfalls Angebote zum Thema Erwachsenenbildung. Die einzelnen Träger veranstalten Lehrgänge für ihre Mitarbeitenden, insb. für Anfängerinnen und Anfänger, aber auch zur didaktischen und fachlichen Fortbildung oder zum Bildungsmanagement. Dies erfolgt auch in Kooperation mit dem einzigen staatlichen Bildungshaus, dem Bundesinstitut für Erwachsenenbildung (bifeb) in Strobl am Wolfgangsee, und mit Universitäten. Eine seit 2007 aktive Weiterbildungsakademie (wba) validiert und zertifiziert Kompetenzen von Erwachsenenbildenden (Kompetenzerfassung; Kompetenzmessung).

Der Grad der Professionalisierung von in der Erwachsenenbildung Tätigen erweist sich jedoch als eher gering. Insgesamt können etwa 2 Tsd. Personen als hauptberufliche pädagogische Mitarbeitende angesehen werden. Etwa 60 Tsd. Personen sind nebenberuflich, etwa 30 Tsd. ehrenamtlich und ungefähr 6 Tsd. hauptberuflich in der österreichischen E. beschäftigt. Als Dozierende, in Österreich werden sie „Kursleitende“, „Trainerinnen und Trainer“ oder „Vortragende“ genannt (Kursleitende – Trainer – Beratende), agieren rund 50 Tsd. Personen. Im berufsorientierten Sektor ist die Professionalisierung intensiver; allgemeinbildende Erwachsenenbildung könnte ohne Ehrenamtliche (Ehrenamt) nur eingeschränkt funktionieren.

Erwachsenen- und Weiterbildung wird, insb. in Krisenzeiten mit erhöhter Arbeitslosigkeit, aber auch wegen des raschen Wandels in der Arbeitswelt und durch die Digitalisierung, nicht nur in Österreich als unverzichtbarer Sektor der Bildungslandschaft angesehen. Ihr Stellenwert als Teil eines Systems lebensbegleitender Bildung gewinnt an Bedeutung. 2011 haben sich in Österreich unterschiedliche Politikfelder gemeinsam zu einer Strategie des Lebensbegleitenden Lernens LLL:2020 bekannt. Deren Implementierung – verbunden mit dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit – gilt für Bildungspraxis und -politik als wichtige Aufgabe der nächsten Jahre.

Literatur

Filla, W. (2014). Von der freien zur integrierten Erwachsenenbildung. Zugänge zur Geschichte der Erwachsenenbildung in Österreich. Frankfurt a. M.: Peter Lang.

Gruber, E. & Lenz, W. (2016). Erwachsenen- und Weiterbildung Österreich (Reihe Länderporträts Weiterbildung, Bd. 9, 3., vollst. überarb. Aufl.). Bielefeld: wbv Publikation.

Lenz, W. (2012). Bildung – eine Streitschrift. Abschied vom lebenslänglichen Lernen. Wien (AT): Löcker.

Republik Österreich. (2011). Strategie zum lebensbegleitenden Lernen in Österreich. Wien (AT): Republik Österreich.

Organisationsforschung
Pädagogik