Muslimische Erwachsenenbildung

Patrick Brooks

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-206

Der Begriff m. E. bezeichnet sämtliche Formen organisierten Lernens, die in muslimischer Trägerschaft angeboten werden und die sich – je nach Auftrag, Schwerpunkten und Zielgruppenorientierung – an muslimische Erwachsene oder interessierte Menschen richten.

Neben der Gelehrsamkeit, dem Sachverstand und der praktischen Klugheit nimmt die kritische Urteilsfähigkeit traditionell einen hohen Stellenwert im islamischen Denken ein. Aus islamisch-theologischer Sicht sind Menschen vernunftbegabte, zur Mündigkeit geschaffene Wesen, die sich ihres eigenen Verstands bedienen können und sollen (Aufklärung), und die ebenso lernbedürftig wie lernfähig sind. Zugleich bleibt menschliches Wissen im Angesicht der Allwissenheit Gottes etwas Vorläufiges, Unvollständiges und mahnt demnach sowohl zu epistemischer Demut als auch zur Offenheit für andere Denkansätze und Urteile.

Zentrale islamische Prinzipien, die gleichsam für die m. E. leitend sein können, sind u. a. soziale Gerechtigkeit und Fürsorge, Zivilcourage, maßvoller Lebenswandel und die Bewahrung der Schöpfung (Nachhaltigkeit; Umweltbildung). Im Kontext muslimischen Lebens in Deutschland können ferner Themen rund um Migration, Pluralismus und Partizipation hinzutreten (Inklusion – Diversität). M. E. kann theologischer (konfessionelle Erwachsenenbildung), politischer (politische Bildung), ethisch-sozialer (Ethik) und allgemeinbildender Art (Bildung – Allgemeinbildung) sein und ist – hinsichtlich der drei letztgenannten Ausprägungen – nicht zwangsläufig bekenntnisbasiert.

M. E. wird einerseits von den Glaubensgemeinschaften verantwortet, die entweder den islamischen Verbänden angehören oder von diesen unabhängige Vereine darstellen. Abgesehen von der religiösen Unterweisung können in Moscheegemeinden Kurse im Zusammenhang mit sozialer Wohlfahrtspflege und gesellschaftlicher Teilhabe stattfinden; oftmals in enger Kooperation mit entsprechenden städtischen, kirchlichen oder zivilgesellschaftlichen Einrichtungen. Auch Angebote in den Bereichen Musik, Kunst und Kultur sowie Bewegung sind bisweilen üblich (ästhetisch-kulturelle Bildung). Darüber hinaus engagieren sich viele Gemeinden und religiöse Vereine im interreligiösen Dialog, bieten Moscheeführungen an oder informieren in weiteren Formaten über den Islam und muslimisches Leben in Deutschland. Vereinzelt sind auf Initiative der Glaubensgemeinschaften zudem muslimische Bildungswerke entstanden, die sich an christlichen Vorbildern orientieren (evangelische Erwachsenenbildung; katholische Erwachsenenbildung) und deren längerfristiges Ziel es ist, gesetzlich anerkannte Träger der Erwachsenenbildung zu werden.

Andererseits wird m. E. auch in freier Trägerschaft – und damit unabhängig von der Bindung an bestimmte Glaubensgemeinschaften – realisiert. Insb. in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren hat sich die muslimische Vereinslandschaft diesbezüglich stark ausdifferenziert. Bundesweit sind neue gemeinnützige Träger mit je unterschiedlichen Schwerpunkten in Erscheinung getreten. Einige von ihnen verorten sich im Bereich der politischen Bildung und Demokratieförderung. Ihre Veranstaltungen gehen oft über das Themengebiet Islam und Musliminnen und Muslime hinaus, d. h. sie widmen sich gesamtgesellschaftlichen Fragestellungen und erweitern diese um eine muslimische Perspektive. Andere Akteure engagieren sich demgegenüber stärker in der sozialen Wohlfahrtspflege oder im Arbeitsfeld Antidiskriminierung und Empowerment, weshalb sie bei ihrer Bildungsarbeit v. a. muslimische Erwachsene in den Blick nehmen.

Trotz der regen Entwicklungen in den vergangenen Jahren steht die m. E. vor diversen Herausforderungen: Hierzu zählen u. a. die nach wie vor starke Abhängigkeit von ehrenamtlichem Engagement (Ehrenamt), geringe Planbarkeit aufgrund kurzfristiger Projektförderung sowie das – noch immer häufig festzustellende – Fehlen gleichberechtigter Teilhabe im Allgemeinen. Gleichzeitig ist aber auch zu beobachten, dass staatliche Institutionen und öffentliche Stiftungen zunehmend die Notwendigkeit einer aktiven Förderung muslimischer Träger erkannt haben. Ähnliches gilt für die zivilgesellschaftliche Bildungslandschaft, mit welcher Akteure der muslimischen E. mittlerweile oft gut vernetzt sind und teils erfolgreiche Kooperationen pflegen (Netzwerke – Kooperationen). In den kommenden Jahren ist folglich mit einer weiteren Ausdifferenzierung, Professionalisierung und Etablierung der muslimischen E. zu rechnen.

Literatur

Muslimische Akademie Heidelberg i. G. (Hrsg.). (2021). Muslimisch-zivilgesellschaftliche Bildungsträger in Deutschland – Bestandsaufnahme und Selbstporträts. Heidelberg: Muslimische Akademie Heidelberg i. G.

Mediendienst Integration. (Hrsg.). (2019). Handbuch Islam und Muslime. Berlin: Mediendienst Integration.

Rohe, M. (2018). Der Islam in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme (2., akt. Aufl.). München: C. H. Beck.

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