Inga Specht & Franziska Loreit
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-205
Schon seit den ersten Wunderkammern (16. Jh.) haben Museen eine pädagogische Funktion. Spätestens seit den 1980er Jahren werden mit ihnen neben Sammeln, Forschen, Bewahren und Ausstellen, auch → Bildung und Vermittlung (→ Aneignung – Vermittlung) als zentrale Aufgaben verfolgt. Der Begriff M. bezeichnet diese Bildungs- und Vermittlungsarbeit eines Museums (1) und zugleich eine (neuere) Teildisziplin der → Pädagogik (2).
Zu (1). Als Bildungs- und Vermittlungsarbeit umfasst M. die methodisch-didaktische Konzeption (→ Didaktik – Methodik) und praktische Initiierung von personalen (z. B. Museumsführungen, Workshops) und medialen Vermittlungsangeboten (z. B. Labels, Medienstationen, Audioguides) für ein heterogenes Publikum im Dreiklang von Museum –
Besucherinnen und Besucher – Objekt. Leitendes Prinzip museumspädagogischer Arbeit ist die Besucherorientierung (analog zur → Zielgruppenorientierung bzw. → Teilnehmerorientierung), die sich auf Erkenntnisse der Besucherforschung (vergleichbar mit der → Adressatenforschung) stützt. M. ist hier eng verzahnt mit weiteren musealen Tätigkeitsfeldern (z. B. Kuratieren, Ausstellungsgestaltung, Öffentlichkeitsarbeit). Ferner entstehen → Angebote auch in Kooperation mit Schulen, → Volkshochschulen und anderen Kultur- und Bildungseinrichtungen. U. a. bedingt durch museumsspezifische Rahmenbedingungen und das (Bildungs-)Verständnis des jeweiligen Museums, ist M. im Sinne von Bildungs- und Vermittlungsarbeit vielfältig ausgeprägt (Grünewald Steiger, 2010).
Zu (2). Als Teildisziplin der Pädagogik befasst sich M. empirisch und theoretisch mit Bildung und Vermittlung in Museen. Hierbei stützt sie sich auf theoretische Ansätze und empirische Erkenntnisse der Erziehungswissenschaft, Psychologie, Soziologie und anderer Bezugsdisziplinen (→ Bezugswissenschaften).
Der Begriff M. wurde von Alfred Lichtwark (1852–1914), Georg Kerschensteiner (1854–1932) und Adolf Reichwein (1898–1944) vor dem Hintergrund der Arbeiterbildungs- (→ Arbeiterbildung) und Kunsterziehungsbewegung geprägt. Museen und ihr Wissen sollten dem Volk zugänglich sein. Dies führte zunächst insb. zu einer engeren Verbindung von Schulen und Museen und der Entwicklung von schulpädagogisch orientierten → Methoden (Kolb, 2014). Zur Zeit des Nationalsozialismus kamen diese reformpädagogischen Bestrebungen zunächst zum Erliegen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich in der BRD eine eigenständige, sich von der Schulpädagogik abgrenzende und an den reformpädagogischen Ansätzen anknüpfende M. Die → Bildungsreform der 1960er und 1970er Jahre und der dadurch angestoßene Diskurs Lernort contra Musentempel führten zu einer gesellschaftspolitischen Öffnung der Museen, einer (erneuten) Hinwendung zur Pädagogik und Besucherorientierung sowie der damit verbundenen Besucherforschung. Parallel zu einer Gründungswelle von Museen mit ausdrücklichem Bildungsanspruch in den 1980er Jahren kam es daher auch zu einer Konsolidierung und → Professionalisierung der Bildungs- und Vermittlungsarbeit (z. B. Einrichtung von museumspädagogischen Stellen, Gründung museumspädagogischer Zentren sowie Museumsverbänden; ebd.; Weiß, 2016a).
In der DDR wurden die reformpädagogischen Ansätze ebenfalls fortgeführt. Im Unterschied zur BRD waren Museen hier allerdings in das Erziehungs- und Bildungssystem (→ Weiterbildungssystem) eingebunden und eine professionelle M. auf der Basis einer Fachschulausbildung etabliert.
Seit den 1990er Jahren ist eine zunehmende Verstetigung und steigende Bedeutung der Kernaufgaben der M. in Deutschland zu konstatieren. Der Bundesverband Museumspädagogik e. V. (BVMP) vertritt seit 1991 die Interessen der Museumspädagoginnen und Museumspädagogen und trägt zur Etablierung, Qualitätssicherung (→ Qualität) und Professionalisierung der M. in Deutschland bei (Commandeur, Kunz-Ott & Schad, 2016).
Ausdruck der zunehmenden Bedeutung der M. sind die Entstehung von fachspezifischen Aus- bzw. Fortbildungsangeboten (→ Fortbildung), das „Handbuch Museumspädagogik: Kulturelle Bildung in Museen“ von Beatrix Commandeur, Hannelore Kunz-Ott und Karin Schad (2016), der „Leitfaden. Bildung und Vermittlung im Museum gestalten“ vom Deutschen Museumsbund e. V. (2020), das Grundsatzpapier „Vision. Bildungsort Museum“ vom Bundesverband Museumspädagogik e. V. in Kooperation mit dem Deutschen Museumsbund e. V. (2020) sowie verschiedene soziologisch, pädagogisch und/oder (lern-)psychologisch geprägte Forschungsaktivitäten bspw. zu (Nicht-)Besucherstrukturen und -merkmalen, zur visuellen Wahrnehmung von Objekten und zur Wirkung spezifischer museumspädagogischer Formate.
Seit Ende des 20. Jh. führen die Ideen und Konzepte wie Lebenslanges Lernen (→ lifelong learning), → Inklusion und Diversität, Digitalisierung und Partizipation zur Ausdifferenzierung und Fortentwicklung der M. (Weiß, 2016b).
Literatur
Commandeur, B., Kunz-Ott, H. & Schad, K. (Hrsg.). (2016). Handbuch Museumspädagogik: Kulturelle Bildung im Museum. München: kopaed.
Grünewald Steiger, A. (2010). „The Engaging Museum“. Museen und Museumspädagogik im 21. Jahrhundert. In K. M. Mieth & M. Walz (Hrsg.), Bildungsarbeit im Museum. Grundfragen und Perspektiven der Vermittlung von Sammlung, Forschung und Präsentation (S. 26–31). Chemnitz: Sächsische Landesstelle für Museumswesen und Autorinnen, Autoren.
Kolb, P. (2014). Das Museum als Bildungsstätte und die Geschichte der Museumspädagogik in Deutschland. In A. Czech, J. Kirmeier & B. Sgoff (Hrsg.), Museumspädagogik. Ein Handbuch (S. 12–26). Schwalbach/Ts.: Wochenschau.
Weiß, G. (2016a). Museumspädagogik in der Bundesrepublik Deutschland bis 1990. In B. Commandeur, H. Kunz-Ott & K. Schad (Hrsg.), Handbuch Museumspädagogik: Kulturelle Bildung im Museum (S. 76–83). München: kopaed.
Weiß, G. (2016b). Museumspädagogik in der Bundesrepublik Deutschland – Bildungs- und Vermittlungsarbeit seit 1990. In B. Commandeur, H. Kunz-Ott & K. Schad (Hrsg.), Handbuch Museumspädagogik: Kulturelle Bildung im Museum (S. 84–95). München: kopaed.