Modellversuche – Projekte

Ekkehard Nuissl

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-201

M. und P. sind zeitlich befristete Instrumente, mit denen jeweils unterschiedliche Ziele mit unterschiedlichen Mitteln in unterschiedlichen Kontexten verfolgt werden. Sie dienen meist dazu, ein neues Verfahren, eine neue Herangehensweise usw. an einem kleinen Ausschnitt der Totalität von Gegenständen auf Praxistauglichkeit zu erproben oder ein neues Produkt zu entwickeln (Innovation). Sie sind ein traditionelles Mittel der staatlichen Bildungspolitik, lassen sich aber auch im privatwirtschaftlichen (insb. im Produktentwicklungs-) und gesellschaftlichen (insb. im sozialen und kulturellen) Bereich finden. Im Bildungsbereich dienen sie z. B. der Entwicklung neuer Lehrmethoden (Methoden), Curricula, Ausbildungsgänge und Kooperationen (Netzwerke – Kooperationen). Sie sind insb. in Schulen und in der beruflichen Bildung (Berufsbildung) zu finden.

M. sind eine besondere Form von Projekten. Zentrales Merkmal von M. ist der Zugang zu etwas, was noch nicht erprobte Praxis ist. Impliziert wird dabei immer ein neuartiger konzeptioneller Zugriff, der zielgerichtet erprobt und (i. d. R.) evaluiert wird. Charakteristikum von Modellversuchen ist das innovative Element, das i. d. R. in der Verknüpfung von bereits Bekanntem mit neuen oder anderen Elementen besteht. Solche Erprobungen betreffen z. B. Personengruppen, Methoden und Medien in Lehr-Lern-Prozessen, Kooperationsformen, inhaltliche Felder (Inhalte – Themen) und Arbeitsbedingungen. Häufig beschränken sich M. auf Innovationen in nur einem dieser Felder.

M. und P. sind v. a. im Bildungsbereich zu unterscheiden von „Programmen“, nicht nur der Größenordnung (M. und P. sind deutlich kleiner und kürzer), sondern auch der Zielsetzung wegen: Programme sind darauf angelegt, Realität zu verändern, nicht nur neue Perspektiven zu erproben oder neue Produkte zu entwickeln.

M. werden meist initiiert, um partielle Probleme zu lösen oder als Reaktion auf situative Anlässe. Auch systematisch organisierte Transferversuche führen häufiger zu Modellversuchen. Seltener sind M., die aus einer Gestaltungsdeduktion entstehen, oder solche, denen ein Transformationsansatz zugrunde liegt, mit dem das Handlungsfeld der Erwachsenenbildung in andere Bereiche hinein verlängert wird. Oft werden M. und P. realisiert, bevor neue Regelungen und Systeme eingeführt werden. Dies geschieht, um Implementationsprobleme zu vermeiden – allerdings nicht immer, wie z. B. die Einführung des flächendeckenden Bachelor- und Master-Systems an den deutschen Hochschulen zeigte (Bologna-Prozess). Hier fand keinerlei Erprobung in Modellversuchen statt.

Zum Gelingen von Modellversuchen und Projekten bedarf es vierer Elemente: (1) eines kohärenten Konzepts (einschließlich Zielvorgaben), (2) engagierter Personen, (3) geeigneter Institutionen und (4) ausreichender finanzieller Mittel. Nicht selten scheitern probate M. am Fehlen eines der vier Elemente. Ein wesentliches konstitutives Moment von Modellversuchen ist die befristete Dauer. Dies beeinflusst stark die Arbeitsorganisation, die Rekrutierung und die Qualifizierung des Personals, die Zielorientierung und die Sicherung der Ergebnisse.

Die Evaluation von Modellversuchen und Projekten wird meist „wissenschaftliche Begleitung“ genannt. Dies betont auch den formativen Charakter der Evaluation, deren Ergebnisse und Einsichten in den Fortgang des Modellversuchs eingehen sollen. Bei der Evaluation geht es zudem darum, den innovativen Charakter und die Ergebnisse des Projekts zu bewerten, die mögliche Kontinuität der erzielten Ergebnisse zu überprüfen, Transfermöglichkeiten (auf andere Regionen, Inhaltsfelder, Institutionen usw.) zu beleuchten sowie in einem weiteren Sinne die Auswirkungen zu beobachten, die nicht selten vielfältiger und nachhaltiger als das eigentlich angezielte Ergebnis der M. sind.

Kritikpunkte beim Einsatz von bildungspolitisch relevanten Modellversuchen liegen weniger in unbefriedigenden Ergebnissen als vielmehr in einer mangelnden Konzipierung oder Einbindung in bestehende Systeme sowie in einer nicht ausreichenden Sicherung der Nachhaltigkeit durch notwendige Ressourcen (BLK, 2005). Insb. in der Europäischen Union ist daher die Nachhaltigkeit als wesentliches Gestaltungselement bereits in der Laufzeit der M. und P. umzusetzen. Auch haben sich in der Bildungspolitik zunehmend Verfahren entwickelt, Innovation und Transfer nicht über M., sondern über größere und längerdauernde Förderlinien zu sichern, die von sog. Metavorhaben umgesetzt werden, wie bspw. im Programm der Lernenden Regionen – Förderung von Netzwerken (2001–2008) oder der Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung – ­AlphaDekade (2016–2026).

Literatur

Berding, F., Gebhardt, R., Heubischl, S., Rebmann, K. & Schlömer, T. (2017). Zur Rolle der Forschenden in der transdisziplinären Modellversuchsforschung am Beispiel von InnoNE. bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, 33, 1–24.

Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung. (2005). Innovationsförderung in der Berufsbildung. Bericht über Innovationsförderung in der Berufsbildung durch BLK-Modellversuche (Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsförderung, Bd. 130). Bonn. BLK.

Kejcz, Y., Kolwe-Jung, G., Nuissl, E., Paatsch, H.-U., Schenk, P. & Sutter, H. (1982). Modellversuche in der Weiterbildung (2 Bde., Teil 1: Bildungsarbeit mit benachteiligten Zielgruppen, Teil 2: Berufliche Weiterbildung mit Benachteiligten, Berichte der Arbeitsgruppe für empirische Bildungsforschung). Heidelberg: Esprint.

Kolwe-Jung, G., Nuissl, E., Schenk, P. & Sutter, H. (1980). Modellversuche in der Weiterbildung (Berichte der Arbeitsgruppe für empirische Bildungsforschung, Bd. 16). Heidelberg: Esprint.

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