Medien in Lehr-Lern-Prozessen

Henning Pätzold & Natascha Berger

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-195

Mit Bezug auf Lehr-Lern-Prozesse lassen sich M. instrumentell verstehen als in didaktischer Absicht verwendete, materiell gebundene Formen der Vermittlung (Aneignung –
Vermittlung
) zwischen Lernenden und Gegenständen, Lehrenden, Inhalten oder anderen Lernenden. Gegenüber anderen Verständnissen von M. (z. B. technischer oder soziologischer Art) bedeutet das eine gewisse Einschränkung; gleichwohl ist der hiermit beschriebene Bereich von M. immer noch sehr groß. Fast alle im Alltagsverständnis geläufigen M. (von Plakaten über Fernsehserien und Podcasts bis zu Tweets) können als M. in Lehr-Lern-Prozessen fungieren, aber auch typische Unterrichtsmedien wie Flipcharts, Slideshows und Lehrbücher. Je nach Medium, aber auch Nutzungsform, dominiert die Funktion der Kommunikation (Interaktion – Kommunikation) (z. B. Online-Forum zum Austausch zwischen Lernenden) oder die der Aneignung von bzw. der Auseinandersetzung mit einem gegebenen Inhalt (z. B. Lektüre eines Fachtexts oder Experimentieren mithilfe eines Modells). Die Fokussierung auf die Verwendung in didaktischer Absicht (Didaktik – Methodik) schließt nicht aus, dass in einer konkreten Lehr-Lern-Situation auch noch weitere, nicht didaktisch eingesetzte M. vorkommen.

„Materielle Gebundenheit“ bedeutet, dass es um M. geht, die in einer konkreten Form vorliegen. So ist Sprache in verschiedenen medientheoretischen Konzepten ein Medium. In Lehr-Lern-Situationen ist sie aber immer materiell an die Sprecherinnen oder Sprecher (oder andere Träger wie Bücher) gebunden. Insofern wird sie nicht per se als Medium betrachtet, sondern bspw. in Form eines Vortrags oder eines Textes. Eine Besonderheit digitaler M. (digitales Lernen) besteht darin, dass es durch sie oft möglich ist, Inhalte von einer medialen Darstellungsform in eine andere zu überführen (z. B. Texte vorzulesen, Bilder zu beschreiben, aus Zeichnungen 3D-Drucke anzufertigen).

In Lehr-Lern-Situationen spielen M. vermutlich seit der frühen Menschheitsgeschichte eine Rolle. Auch wenn bei Artefakten, wie Höhlenmalereien und Skulpturen, nicht geklärt werden kann, ob sie (auch) Lehrfunktionen hatten, lassen ethologische Befunde vermuten, dass Menschen bereits früh Anschauungsobjekte (z. B. Früchte) und auch Symbole verwendet haben, um einen Sachverhalt lehrend zu vermitteln. Bedeutende Entwicklungsschritte in der pädagogischen Mediennutzung sind mit der Verwendung von Bildern verbunden (z. B. in der religiösen Bildung), mit der Verfügbarkeit von Schrift und Druckverfahren und, damit einhergehend, mit der Entstehung und Verbreitung von Literalität sowie mit der Darstellung von Zusammenhängen mithilfe von Modellen und experimentellen Aufbauten. Insb. Bild, Schrift, Aufzeichnungen von Ton (etwa seit Ende des 19. Jh.) und bewegten Bildern (seit dem frühen 20. Jh.) haben zu einer Erweiterung der Vielfalt von Lehr-Lern-Medien beigetragen. Mit der Ausbreitung digitaler Interaktions- und Kommunikationstechnologien entstehen überdies neue Formen der Vergemeinschaftung von Lernenden, die bis Ende des 20. Jh. (abgesehen von Sonderformen wie dem Fernstudium) überwiegend auf zumindest temporär hergestellte räumliche Nähe aufbauten. M. erlauben weiterhin anspruchsvolle Formen des Experimentierens in Bereichen, in denen reale Versuchsanordnungen sehr aufwändig sind (z. B. bei der Simulation komplexer Maschinen und Apparate) oder gar nicht möglich wären (z. B. in sozialen Simulationen oder bei der Klimaprognose).

Die Wortbedeutung von M. (Mittler; etwas, das dazwischen ist) verweist darauf, dass sie zwischen anderen Instanzen (z. B. Lernenden und Gegenstand) stehen. Auch können sie selbst zum Gegenstand werden (Pädagogik der Medien) und dann ihrerseits über andere M. vermittelt werden, z. B. in einem Text über Chancen und Risiken sozialer Netzwerke. Mit dem Aufstieg der Massenmedien ist insb. die Fähigkeit, mit M. umzugehen, zu einem zentralen pädagogischen Thema geworden, zumal historische und aktuelle Vorgänge zahlreiche Beispiele dafür liefern, wie M. missbräuchlich genutzt werden können, um große Gruppen von Menschen zu manipulieren. Vor diesem Hintergrund besteht ein spezifisches Bildungsziel darin, Menschen zu befähigen, mit M. in einer Weise konstruktiv umzugehen, welche ihnen Partizipations- und Gestaltungsmöglichkeiten bietet und gleichzeitig die Rechte anderer (z. B. auf informationelle Selbstbestimmung) angemessen achtet.

Seit Ende des vorigen Jahrhunderts wird dieses Ziel zumeist mit dem Begriff „Medienkompetenz“ adressiert (Kompetenz). Maßgeblich waren und sind hierbei die Arbeiten von Baacke (1997), der in der Medienpädagogik mit dem Anschluss an Jürgen Habermas Konzept der kommunikativen Kompetenz sowohl eine sprachlich-kommunikative als auch eine ethische Perspektive für den pädagogischen Blick auf M. erschlossen hat. Hieraus ergab sich eine Differenzierung der Medienkompetenz in die Handlungsfelder Medienkunde, -nutzung, -gestaltung und -kritik. Sie ist bis heute Grundlage theoretischer wie empirischer Untersuchungen zu M., aber auch für didaktische Überlegungen. So liefern Baackes Dimensionen einen Ausgangspunkt zur Planung der Ziele und Inhalte medienpädagogischer Veranstaltungen, indem z. B. bestimmte Aspekte in den Vordergrund gerückt werden. Das allgemeine Ziel der Medienkompetenz als Bestandteil von Mündigkeit und Partizipationsfähigkeit findet sich in der Erwachsenenpädagogik auf Nachfrage- wie auf Angebotsseite realisiert (Hippel & Freide, 2018).

Neben dem Begriff „Medienkompetenz“ wird in der deutschsprachigen Literatur sowohl synonym als auch abgrenzend der Begriff „Medienbildung“ diskutiert (Moser, 2019). In der internationalen Diskussion hat sich v. a. der Begriff media literacy etabliert. Auch er hebt auf den kompetenten Umgang mit M. ab, ist jedoch stärker instrumentell orientiert. Damit betont er in der Terminologie Baackes die Dimensionen der Medienkunde und -nutzung und nimmt die der Mediengestaltung und -kritik teilweise auf (Rohs et al., 2019).

Als Mittler besteht die Aufgabe von M. darin, einen Zugang zu einem Gegenstand oder zu anderen Lernenden oder Lehrenden bereitzustellen, der bestimmten Ansprüchen genügt, die sich aus der pädagogischen Situation ergeben. So sollen Kommunikationsmedien zwischen Lernenden und Lehrenden bspw. bestimmten Erwartungen an Datenschutz genügen, i. d. R. lebensweltlich verfügbar und nicht exkludierend sein. M., die der Erschließung von Lerngegenständen dienen, werden von Lehrenden gewählt und genutzt, um bspw. den Zugang zum Gegenstand für die Lernenden zu strukturieren oder bestimmte seiner Merkmale zu fokussieren. Der Einsatz von M. wird damit auch für Lehrende zu einer anspruchsvollen Aufgabe, deren Bewältigung „medienpädagogische Kompetenz“ (Blömeke, 2005) erfordert. Zur Beschreibung und Operationalisierung dieses Bereichs liegen unterschiedliche Modelle vor, die teilweise wiederum einen Bezug zu Baackes Modell herstellen (Rohs et al., 2019), in jedem Fall aber über die bloße instrumentelle Bedienung von M. im Sinne technischer Geräte hinausgehen. In erwachsenenpädagogischen Kompetenzmodellen spielt der Umgang mit M. eine immer größere Rolle.

Eine noch relativ wenig erschlossene Ebene stellt die Funktion von M. in der Organisation von Lehr-Lern-Prozessen dar. Einerseits ist die Mediennutzung ein unverzichtbarer Bestandteil des Weiterbildungsmarketings (Marketing), andererseits erlauben Medienkooperationen auch sehr spezifische Formen der Angebotserstellung (Angebot) (z. B. durch Nutzung freier oder kostenpflichtiger M. in einem Lernangebot). Auch die Bedeutung der M. bei der Angebotsplanung, insb. bei der Abstimmung auf spezifische Bedarfe und Zielgruppen (Zielgruppenorientierung), wird weiter ansteigen.

Schon durch den engen Zusammenhang mit technischen Entwicklungen ist der Bereich der M. in Lehr-Lern-Situationen sehr dynamisch. Veränderungen bei der Bandbreite von Datenübertragungen, der Rechenleistung und Speicherkapazität von Endgeräten haben erhebliche Auswirkungen, ebenso wie die Entwicklung neuer Algorithmen (insb. im Bereich künstlicher Intelligenz). Auch mittelbare technische und soziale Entwicklungen spielen eine große Rolle. Schließlich gibt es eine Wechselwirkung zwischen M. und Wirtschaft, die sich auch stark auf den Bereich der Weiterbildung auswirkt. So werden (digitale) Weiterbildungsinhalte verstärkt von Organisationen vorgehalten, produziert und geschäftlich genutzt, die eigentlich andere Zwecke verfolgen, z. B. die Bereitstellung von Videoplattformen und Business-Netzwerken. Hierzu trägt bei, dass Inhalte, die in Lehr-Lern-Situationen nutzbar sind, in großem Umfang verfügbar und im digitalen Kontext sehr leicht reproduzierbar sind. Dabei ist gegenwärtig eine hohe Bereitschaft zur Produktion frei verwendbarer Materialien (Open Educational Resources) und der Bereitstellung von digitalen Lernangeboten (Massive Open Online Courses, MOOCs) zu beobachten. Es findet also teilweise eine Entkopplung zwischen Bereitstellung von M. und der Gestaltung von Lernsituationen statt. Aus der Perspektive selbstgesteuerten Lernens (Selbstorganisation – Selbststeuerung – Selbstlernen) ist diese Tendenz nicht an sich negativ zu bewerten. Sie verlangt aber von den Lernenden die Fähigkeit, geeignete Inhalte auszuwählen und negative Einflüsse (z. B. die Vermischung von Lerninhalten mit werblichen Botschaften) zu durchschauen, also wiederum ein hohes Maß an Medienkompetenz auch jenseits von media literacy.

Zwischen der medienpädagogischen Praxis und den oft von einer technischen Machbarkeitsperspektive getriebenen Prognosen klafft eine große Lücke. Diese ist darauf zurückzuführen, dass das Lernen Erwachsener eine Vielfalt von Interessen bedient und die Vorstellungen der Leistungsfähigkeit (neuer) M. oft sehr idealisierend sind und die individuellen Lernbegründungen und -voraussetzungen der adressierten Personen nicht immer angemessen reflektieren. So erscheint der Vorteil eines beruflichen Lernens any­time – anywhere weniger attraktiv, wenn man ihn vor dem Hintergrund bestehender Herausforderungen für eine ausgeglichene Work-Life-Balance sieht.

Entsprechend zeigen aktuelle Daten zum Einsatz digitaler M. in der Erwachsenen- und Weiterbildung, dass Präsenzangebote noch immer dominieren, die Teilnehmenden die Verbindung von analogen und digitalen Angeboten aber durchaus als hilfreich bewerten (BMBF, 2020). Sie zeigen auch, dass Unternehmen als Mit-Auftraggeber beruflicher Bildung (Berufsbildung) einen differenzierten Blick auf Weiterbildung mit digitalen M. haben, was sich in einer unterschiedlichen Bereitschaft zur finanziellen Unterstützung der Teilnahme an diesen ausdrückt.

Zusätzlich müssen beim Einsatz didaktischer M. und bei der der Bezugnahme auf mediale Vorkenntnisse die heterogenen Erfahrungen der Lernenden mit M. Beachtung finden. Neben generationsspezifischen Differenzen, die sich durch das Aufwachsen mit digitalen M. ergeben (digital natives – digital immigrants), unterscheiden sich auch die Mediennutzungsmuster Erwachsener, z. B. entlang der Grenzen von Lebensstil bzw. ­Milieu. Inzwischen kommen bei digitalen M. auch innerhalb der Gruppe der digital ­natives unterschiedliche, teilweise über Kohorteneffekte erklärbare Nutzungsmuster hinzu, bspw. bei der Präferenz bestimmter sozialer Netzwerke. Überdies stellen auch digitale M. sehr unterschiedliche kognitive Anforderungen, sodass ihre Nutzung im Kontext von Weiterbildung exkludierend wirken kann. Dies gilt auch in Bezug auf die sehr unterschiedliche Verfügbarkeit barrierefrei aufgearbeiteter Inhalte.

Literatur

Baacke, D. (1997). Medienpädagogik. Tübingen: Niemeyer.

Blömeke, S. (2005). Medienpädagogische Kompetenz. Theoretische Grundlagen und erste empirische Befunde. In A. Frey, R. S. Jäger & U. Renold (Hrsg.), Kompetenzdiagnostik – Theorien und Methoden zur Erfassung und Bewertung von beruflichen Kompetenzen (Reihe Berufspädagogik, Bd. 5, S. 76–97). Landau: Empirische Pädagogik.

Bundesministerium für Bildung und Forschung. (2020). Digitalisierung in der Weiterbildung. Ergebnisse einer Zusatzstudie zum Adult Education Survey 2018. Bonn: BMBF.

Hippel, A. von & Freide, S. (2018). Erwachsenenbildung und Medien. In R. Tippelt & A. von Hippel (Hrsg.), Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung (Reihe Springer Reference Sozialwissenschaften, 6., über­arb. u. akt. Aufl., Bd. 2, S. 973–999). Wiesbaden: Springer VS.

Moser, H. (2019). Einführung in die Medienpädagogik. Aufwachsen im digitalen Zeitalter (6. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS.

Rohs, M., Schmidt-Hertha, B., Rott, K. J. & Bolten, R. (2019). Measurement of media pedagogical competences of adult educators. European Journal for Research on the Education and Learning of Adults, 10(3), 307–324.

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