Ingeborg Schüßler
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-189
Allgemein formuliert, bezeichnet das L. die Art und Weise, wie ein Individuum sich seine (Um-)Welt lernend aneignet. Das L. begründet sich aus dem Gesamtzusammenhang der jeweiligen Lernbiografie (→ Biografie), den persönlichen und sozialen Voraussetzungen sowie den Lernbedingungen. Dabei verfügen Erwachsene anders als Kinder über einen größeren Erfahrungszusammenhang (→ Erfahrungen – Erfahrungsorientierung), woraus sich im Laufe ihres Lebens z. T. persistente Emotions-, Verhaltens- und → Deutungsmuster entwickelt haben, die das L. beeinflussen. Dabei prägen die soziokulturellen Kontexte (z. B. Milieuzugehörigkeit, familiäre Situation, schulischer Hintergrund, berufliche Anforderungen) mehr noch als das Alter die entwickelten Lerninteressen (→ Lernmotivation –
Lerninteresse) und Aneignungsleistungen (→ Aneignung – Vermittlung), woraus sich schließlich unterschiedliche → Lernstile (z. B. induktiv/deduktiv, erfahrungsbezogen/begrifflich-theoretisch, pragmatisch/systematisch) und Lerntypen (z. B. Theoretiker, Anwendungsorientierte, Musterschüler, Unsichere, Gleichgültige) differenzieren (Grotlüschen & Pätzold 2020; Schrader, 2018).
So haben die → Milieuforschung und die → Adressatenforschung bspw. gezeigt, dass sich durch Lebensumstände, die weniger von Prekariat und Unsicherheit geprägt sind, eher ein Gefühl relativer Stabilität entwickelt, aus dem heraus einfacher eine Distanz gegenüber den Notwendigkeiten und Zwängen des Alltags eingenommen werden kann. Ein über solch privilegierte Schemata entwickeltes L. begünstigt die erfolgreiche → Teilnahme an Erwachsenen- und Weiterbildung (Bremer, 2007). Für die Erwachsenen- und Weiterbildung ist es daher wichtig, das L., welches sich über Lernmotive, Lernstile, Widerständigkeiten, → Kompetenzen und Dispositionen im Lernprozess zeigt, u. a. als praktischen Ausdruck sozial verschlüsselter Ungleichheitsmuster zu dechiffrieren und dies stärker bei der Angebotsentwicklung (→ Angebot) und didaktischen Planung (→ Didaktik – Methodik) zu berücksichtigen (→ Teilnehmerorientierung).
Bedeutsam wird dies v. a. für das selbstorganisierte Lernen (→ Selbstorganisation – Selbststeuerung – Selbstlernen), das spezifische → Selbstlernkompetenzen erfordert, die insb. für Bildungsbenachteiligte habituelle Lernherausforderungen bedeuten. So können anregende (Lern-)Umwelten durch die Steigerung der Selbstwirksamkeit, des Kompetenzerlebens und der sozialen Eingebundenheit einen begünstigenden Einfluss auf das L. haben und damit u. a. die Entwicklung von Selbstregulierungs- und Ressourcenstrategien (u. a. metakognitive, motivationale und emotionale Strategien) fördern, die für ein Selbstlernen wichtig sind.
Geprägt wird das L. auch durch frühe emotionale Erfahrungen und das emotionale Erleben im Lernprozess (Arnold & Holzapfel, 2008). So können ein und dieselbe Lernsituation bei unterschiedlichen Lernenden z. B. Scham, Angst, Freude oder Neugier auslösen, je nachdem, welche → Emotionen früh im Leben habitualisiert wurden (→ Habitus), sich als affektive Tendenzen festgeschrieben haben und sich durch bestimmte Reize im aktuellen Lernprozess rekonstellieren. Damit wird das L. auch von den Beziehungskonstellationen in einem Lernprozess beeinflusst, die das emotionale Erleben entsprechend positiv oder negativ färben können. Emotionen signalisieren, ob, was und wie gelernt werden soll. Sie steuern die Richtung des Lernverhaltens (z. B. Annäherung oder Vermeidung, Aufrechterhaltung oder Abbruch) und beeinflussen den Denk- und Lernprozess (z. B. die Qualität der Informationsverarbeitung). Auch die Form der Attribution der Lernleistung, ob internal oder external, zeitlich stabil oder instabil, bestimmt das L.
Da sowohl die soziokulturellen wie auch biografischen und emotionalen Aspekte meist unbewusst den Lernprozess beeinflussen, ist es für die Erwachsenenbildung wichtig, durch selbstreflexive Phasen den → Lernenden zu ermöglichen, sich bewusst mit ihrem eigenen L. auseinanderzusetzen (z. B. durch Führen eines Lerntagebuchs) und für positive Emotionen im Lernprozess zu sorgen. Die vorhandenen Lernressourcen, bisherigen Lernerfahrungen sowie subjektiven → Lernstrategien und Arbeitstechniken beeinflussen das L. und damit auch die Teilhabe und Teilnahmebereitschaft an (non-)formalen und informellen Lerngelegenheiten und mithin das lebenslange Lernen (→ lifelong learning).
Literatur
Arnold, R. & Holzapfel, G. (Hrsg.). (2008). Emotionen und Lernen. Die vergessenen Gefühle in der (Erwachsenen-)Pädagogik. Baltmannsweiler: Schneider.
Bremer, H. (2007). Soziale Milieus, Habitus und Lernen. Zur sozialen Selektivität des Bildungswesens am Beispiel der Weiterbildung. Weinheim: Juventa.
Grotlüschen, A. & Pätzold, H. (2020). Lerntheorien in der Erwachsenen- und Weiterbildung (Lehrbuchreihe Erwachsenen- und Weiterbildung. Befunde – Diskurse – Transfer, Bd. 4, utb 5622). Bielefeld: wbv Publikation.
Schrader, J. (2018). Lehren und Lernen in der Erwachsenen- und Weiterbildung (Lehrbuchreihe Erwachsenen- und Weiterbildung. Befunde – Diskurse – Transfer, Bd. 1, utb 4967). Bielefeld: wbv Publikation.