Lernstrategien – Arbeitstechniken

Arnim Kaiser & Kerstin Hohenstein

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-188

Der Einsatz von L. und A. hängt davon ab, wie man Lernen definiert. Im Folgenden wird hierunter die Verarbeitung neuer Informationen verstanden, also deren Erwerb und Speicherung, Abruf oder Anwendung. Als „Informationen“ werden hier bedeutungstragende Elemente (z. B. Wörter, Bildausschnitte, Achsenbezeichnungen) bezeichnet, die in ihrem Bezug aufeinander größere Sinneinheiten bilden (z. B. Texte, Bilder, Diagramme). Informationen stehen immer in einem Spannungsverhältnis von unbekannt (z. B. neuer Text, neues Diagramm) und bekannt (z. B. bekannte Wörter, bekannte Achsenbezeichnungen). Im Prozess der Informationsverarbeitung greifen Lernende auf ihnen Bekanntes zurück, um sich Neues zu erschließen. Genauer: Sie rufen durch Einsatz entsprechender Strategien bzw. Techniken Informationen ab, über die sie verfügen, weil sie sie zuvor gespeichert haben.

Der Ort der Speicherung von Strategien bzw. Techniken ist – nach den Theorien, die das Gedächtnis als Multi-Komponenten-Modell (Baddeley, 2007) abbilden –, das menschliche Langzeitgedächtnis (Long-Term Memory, LTM). Dort sind Informationen über konkrete Ereignisse im episodischen und über allgemeine Kenntnisse, Einsichten und Begriffe im semantischen Teil gelagert. Im LTM befinden sich auch Informationen spezieller Art, die für das Lernen äußerst wichtig sind – solche über Strategien des Lernens. Unter L. werden alle (meta-)kognitiven Zugriffe verstanden, die den Erwerb von Informationen sowie ihre Verarbeitung und ihren Abruf unterstützen.

Der Abruf von Informationen aus dem LTM oder deren Speicherung im LTM wird von der zentralen Steuerinstanz (Central Executive, CE) im Arbeitsgedächtnis (Working Memory, WM) durchgeführt. Man kann sie sich als Schaltstelle vorstellen, an der konkret die Verteilungen und Zuordnungen von bekannten und noch unbekannten Informationen in der Bearbeitung einer neuen Aufgabe vorgenommen werden. Wenn Lernende vor einer solchen „problemhaltigen Aufgabe“ (Kaiser, 2018) stehen, die nicht routinemäßig gelöst werden kann, müssen sie zu deren Verarbeitung eine Reihe von Entscheidungen treffen. Sie müssen bspw. bestimmen, woraufhin sie die Aufgabe überhaupt bearbeiten wollen (Arbeitsziel). Daraus ergibt sich, welche der im LTM gespeicherten Informationen sie abrufen sollen, denn es müssen solche sein, die zur Erschließung der vorliegenden Aufgabe geeignet sind. Dafür müssen die Lernenden wissen, wo sie im LTM zu finden sind. Hierzu sowie zu weiteren Aktivitäten bedarf es eines profunden und breit gefächerten Wissens um entsprechende Strategien.

Mit Blick auf die Verarbeitung von Inhalten (im Unterschied zu Prozeduren) im WM sind dort primär L. zum Behalten und Ordnen ins Auge zu fassen. Beim Behalten sind v. a. zwei Strategien aktiv: das idealerweise laute Wiederholen (rehearsal) der in den phonologischen Teilspeicher (phonological loop) des WM eingegangenen Töne oder Sprachlaute und die Verarbeitung der visuell-räumlichen Informationen (imagery) im entsprechenden visuellen Speicher (visuospatial sketchpad). In beiden Fällen muss es nicht nur um einfaches Repetieren gehen, sondern beide Speicher ermöglichen durchaus anspruchsvollere L., z. B. zum Zuordnen, Bündeln und Transformieren. Diese bewusst einzusetzen ist umso wichtiger, als damit die Leistung des episodischen Puffers (episodic buffer) als dritten Teilspeichers im WM unterstützt wird. Er verbindet – geleitet von der CE – Infor­mationen unterschiedlicher Modalität zu „Geschichten“ und leitet diese an das LTM zur Speicherung weiter. Zudem setzt dieser Puffer auch Informationseinheiten (chunks) zusammen, die einerseits die Gedächtnisspanne im WM erhöhen und andererseits die Speicher- und Abrufmöglichkeit im LTM optimieren.

Der Aufbau und die Arbeit des LTM hingegen erfordern – neben dem häufigen Wiederholen – komplexere Strategien. Es geht insb. darum, möglichst viel so abzuspeichern („abzulegen“), dass es sicher und schnell wiedergefunden werden kann. Somit werden hier L. zum Zusammenfassen, Sortieren, Strukturieren, Bedeutung-Beimessen, Wiedererkennbar-Machen und Querverbindungen-Bauen bzw. zur Vernetzung der einzelnen Ablagebereiche angesprochen.

Bspw. lässt sich das sog. chunking (Heringer, 2012) als Lernstrategie nutzen, die auf die Bildung von Oberbegriffen abzielt, wodurch Einzelinformationen nach gemeinsamen Merkmalen zusammengefasst werden. Ein solches Bündel wird dann, falls nötig, mit einem neuen oder einem dem LTM bereits bekannten Namen oder passenden Symbol versehen. Im letzteren Fall werden vorhandene Informationen angereichert, differenziert oder mit anderen chunks neu verbunden.

Visualisierung stellt eine weitere effiziente Lernstrategie dar. Verfahren hierzu sind bspw. die Konstruktion von Strukturbildern, Mindmaps und Infografiken. Das jeweilige Bild reduziert die Informationen auf ihre Zusammenhänge und allgemeine Struktur, auf Über- und Unterordnungen und ist von daher besser im Gedächtnis abzuspeichern als die volle Informationsfülle.

Neben L., die auf Hierarchisierung ausgerichtet sind, gibt es solche, die Informationen konzentrisch anordnen. Dazu gehört bspw. jene der Bildung von Prototypen (Schwarz-Friesel, 2008) mit dem „reinen“ Begriffskern im Zentrum und den immer weitergehenden Mischformen auf den darum angeordneten konzentrischen Kreisbahnen. Es zeigte sich, dass sich etliche Phänomene aus dem sozialen Bereich (z. B. „Spiel“) oder aus dem Objektbereich (z. B. „Vogel“) nicht mit einer eindeutigen Begriffsbeschreibung versehen lassen. Will man dennoch eine Definition erstellen, werden bestimmte Arten der jeweiligen Phänomene nicht erfasst, weil die zur Definition gebrauchten Merkmale nicht auf sie zutreffen. Daher arbeitet das LTM mit Prototypen, d. h. mit geeigneten Vertretern des betreffenden Begriffs oder Begriffsfelds, von denen aus die Abweichungen gut erfassbar, lokalisierbar und auch abrufbar sind. Bei dieser Lernstrategie muss demnach der Kern des Phänomens behalten werden; von dort aus können relativ leicht und flexibel die Mischformen in den äußeren konzentrischen Kreisbahnen abgerufen werden.

Des Weiteren existieren L. als Bildung von Ankerbegriffen (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1980). Hierbei werden bei der Informationsaufnahme wichtige Schlüsselbegriffe gebildet, die mit passendem Detailwissen angereichert werden, das wie mit einem Anker an den jeweiligen Begriff gekettet ist. Auch hier muss wieder der Anker behalten und abgerufen werden können; die von ihm festgehaltenen weiteren Begriffe lassen sich, wie bei der Prototypenlernstrategie, leicht und oft auch ad hoc in Erinnerung bringen – erst recht, wenn zusätzlich mit visualisierenden Strategien gearbeitet wird.

Darüber hinaus hat sich in Studien eine Strategiegruppe als besonders effizient für das Lernen erwiesen: die metakognitiven Strategien. „Metakognition“ heißt „über das Denken denken“ (Kaiser, 2018). Hierbei handelt es sich um einen Vorgang, der die Arbeit des WM unterstützt. Bei der Bearbeitung problemhaltiger Aufgaben wird zunächst darüber nachgedacht, wie man diese am besten angeht. Das sind Überlegungen, die den Denkzugriff auf die Aufgabe betreffen. Allerdings vollziehen die meisten Menschen diesen metakognitiven Prozess nur implizit, kaum bewusst. Daher können sie ihn auch nicht oder nur schlecht steuern und auch nicht gezielt umsetzen. Trainiert man Personen aber auf den expliziten Einsatz von Metakognition und darauf, metakognitive L. bei jeder Problemlösung anzuwenden, werden signifikant bessere Lernergebnisse und Resultate erzielt (Pressley, Borkowski & Schneider, 1987).

Man unterscheidet drei grundlegende metakognitive L.: Planen, Steuern und Kontrollieren. „Planen“ heißt, explizit festzulegen, worin das Ziel der Aufgabenbearbeitung bestehen soll, daraufhin den Zugriff auf die Aufgabe zu durchdenken und dann zu entscheiden, womit man beginnt. Mit „Steuerung“ ist die bewusste Umsetzung und Überwachung der Planungsüberlegungen in konkrete Arbeitsschritte gemeint. Und unter „Kontrolle“ sind alle Aktivitäten zusammengefasst, mit denen man die Ergebnisse auf Vollständigkeit, Stimmigkeit und Richtigkeit überprüft.

Diese allgemeinen Strategien des Planens, Steuerns und Kontrollierens müssen zunächst in konkrete Handlungsschritte „übersetzt“ werden, damit sie für die Lernenden handhabbar werden. Das geschieht durch metakognitive Techniken (Kaiser & Kaiser, 2006). Eine fundamentale metakognitive Arbeitstechnik stellt die Selbstbefragungstechnik (SBT) dar. Sie besteht in der Auflistung von Fragen, die sich ausdrücklich auf Planungs-, Steuerungs- und Kontrollschritte beziehen (z. B. Welcher ist der erste Arbeitsschritt?). Lernende beantworten jede Frage laut (machen ihr Denken damit explizit) und führen die jeweiligen Arbeitsschritte durch (z. B. Wir lesen zuerst die Überschrift.). Somit benennen Lernende zum einen explizit eine Handlung, die sie durchführen wollen. Zum anderen haben sie allgemeine Kenntnisse über einzelne Elemente der Aufgabe aus dem metakognitiv-­deklarativen Vorrat an Aufgabenwissen abgerufen. Im ersten Fall sind die Arbeitsschritte aufgrund der Beobachtbarkeit des Tuns gut zu kontrollieren und ggf. zu modifizieren. Im zweiten Fall wird explizit geprüft, was man an allgemeinem Wissen zur Verfügung hat und zur Bearbeitung der konkret vorliegenden Aufgabe anwenden kann.

Neben der SBT gibt es noch weitere, ebenso effiziente (metakognitive) A. Sie sind im Kern wie die SBT aufgebaut, unterscheiden sich aber etwa danach, ob man sie – anstatt alleine – mit Lernpartnern anwendet (pair problem solving oder tutor-tutee-technique), oder ob man sie nicht vor, sondern erst nach der Aufgabenbearbeitung zur Begutachtung des Ergebnisses einsetzt (Lerntagebuch, Portfolio, teilweise auch Variation der Lösungsqualität). Obwohl metakognitive L. und die sie stützenden A. zur deutlichen Verbesserung von Lernen beitragen, sind sie in der Erwachsenen- und Weiterbildung kaum bekannt. Allerdings kann die Arbeit mit ihnen sowie ihr Einsatz in der Kursarbeit über Schulungen erlernt werden.

Alle L. werden folglich durch A. unterstützt; A. bereiten das Informationsmaterial für den Einsatz von L. vor. Typische solcher unterstützenden A. sind bspw. Unterstreichungen oder das Erstellen einfacher Memos in Form von Kurzparaphrasen. A. helfen dabei, Informationen zu gliedern, z. B. den Text in Absätze zu unterteilen, Definitionen hervorzuheben, Passagen als schwierig oder leicht zu kennzeichnen, Beispiele schnell auffindbar zu machen. Dies alles kann auf Marginalien vermerkt oder auch in Form aussagekräftiger Icons dargestellt werden, z. B. durch Buchstaben oder Smileys. An dieser Stelle wird noch einmal der hybride Charakter insb. der metakognitiven A. deutlich: Sie konkretisieren sowohl die metakognitiven als auch die (kognitiven) L. und beziehen in einem die unterstützenden A. in den Lernprozess ein.

Literatur

Baddeley, A. D. (2007). Working memory, thought, and action (Oxford Psychology Series, vol. 45). Oxford (GB): Oxford University.

Cognition and Technology Group at Vanderbilt. (1980). Anchored instructions and its relationship to ­situated cognition. Educational Researcher, 19, 2–10.

Heringer, H. J. (2012). Chunking. Synonymik des Deutschen korpusbasiert. Tübingen: Gunter Narr.

Kaiser, R. (2018). Das Konzept Metakognition. In A. Kaiser, R. Kaiser, A. Lambert & K. Hohenstein (Hrsg.), Metakognition: Die Neue Didaktik. Metakognitiv fundiertes Lehren und Lernen ist Grundbildung (S. 31–67). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Kaiser, R. & Kaiser, A. (2006). Denken trainieren – Lernen optimieren. Metakognition als Schlüsselkompetenz (2. Aufl.). Augsburg: Ziel.

PressIey, M., Borkowski, J. G. & Schneider, W. (1987). Cognitive strategies: good strategy users coordinate metacognition and knowledge. Annals of Child Development, 4, 89–129.

Schwarz-Friesel, M. (2008). Einführung in die kognitive Linguistik (3., vollst. überarb. u. erw. Aufl., utb 1636). Tübingen: Francke.

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