Ekkehard Nuissl
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-182
L. findet in allen Bereichen des organisierten Bildungswesens statt; sie wird verschiedentlich auch „Feststellung der Lernergebnisse“ oder „Feststellung des Lernfortschritts“ genannt (→ Lernen). Schließt sie einen Lernprozess ab, handelt es sich um eine summative Evaluation, findet sie im Verlaufe eines Lernprozesses (mehrmals) statt, ist es eine formative Evaluation (→ Evaluation). Die Übergänge sind fließend, sodass Mischformen möglich sind. Das Abschlusszeugnis eines Schuljahrs bspw. basiert auf einer summativen Evaluation; diese hat aber im Verlauf des schulischen Werdegangs einen formativen Charakter. Wie in der Mathematik steht hier „summativ“ für ein Ergebnis und zieht einen Schlussstrich, während die formative Evaluation ihre Ergebnisse in einen Prozess oder eine Entwicklung einspeist, um Verbesserungen (des Lernens oder der Lernergebnisse) zu erreichen.
In pädagogischen Kontexten findet eine L. bei einzelnen Individuen hauptsächlich als summative Evaluation statt. Dabei sind es unterschiedlichste Verfahren, die den Charakter einer L. haben, wobei der Begriff L. in diesem Kontext selten gebraucht wird. Gegenstand, Verfahren und Kriterien folgen jeweils den Interessen und Zielen, die mit der L. verbunden sind. Bei Einstufungstests (z. B. bei → Fremdsprachen) ist das Objekt der L. bspw. die vorangegangene Lernleistung bzw. das bereits erzielte Lernergebnis, wobei unerheblich ist, auf welchem Weg (formal oder informell) gelernt worden ist. Diese L. dient der passenden Einordnung in weiterführende → Angebote; überprüft werden die Leistungsparameter bezogen auf die kommenden Anforderungen.
Bei Prüfungen und Examina geht es um Feststellungen der Lernergebnisse, bezogen auf ein durchlaufenes → Curriculum, in Realitätssimulation und mit Prognosewert für künftige Anwendungen. In diesen Fällen beschränkt sich die L. auf den Rahmen, den der jeweilige Lerngegenstand vorgibt. Die Verfahren der auf Individuen bezogenen summativen Lernevaluationen sind vielfältig. Sie reichen von standardisierten Multiple-Choice-Abfragen im kognitiven Bereich (→ Kognition) über Verständnis- und Verhaltenstests in Interaktionen bis hin zu subjektiven und reflexiven Aufgaben wie Lerntagebüchern und Probehandeln. Mit der Kompetenzorientierung (→ Kompetenz) des Lernens ist auch in die Verfahren der L. in allen Bildungsbereichen Bewegung gekommen. Evaluiert werden zunehmend nicht-kognitive Ergebnisse des Lernens, soziale und persönliche Kompetenzen wie Teamfähigkeit, → Kreativität und Problemlösung. Eine spezifische Form der summativen L. ist auch das mittlerweile überall übliche Feedback der → Lernenden zum Lernprozess und zu den Lehrenden, das anonym und standardisiert stattfinden kann (wie meist an Hochschulen), aber auch in Form von Gruppenarbeit oder kreativen Szenarien (wie meist in der Erwachsenenbildung).
Lernprozesse, v. a. auch in Gruppen, werden in formativen Lernevaluationen erfasst. Sie dienen nicht nur der Überprüfung des Prozessverlaufs, sondern auch partizipativer und sozialpsychologischer Aspekte von Gruppenprozessen (→ Gruppendynamik). Verfahren wie Blitzlicht, Stimmungsbarometer, Partnerinterview, Fragebogen u. a. werden evaluativ eingesetzt, aber auch, um Ansichten der Lernenden frei (anonym), konkret und persönlich in den Lernprozess einzubringen. Vielfach wird in der Erwachsenenbildung auch das summative Feedback am Ende des Lernprozesses formativ genutzt in dem Sinne, dass die Verwendbarkeit des Gelernten in der Zukunft thematisiert wird.
Diese über den eigentlichen Lernprozess teilweise hinausgehende L. haben James D. Kirkpatrick und Wendy K. Kirkpatrick in einem Vier-Stufen-Modell beschrieben, bei dem einer Reaktion auf den Lernprozess als erstem Schritt in einem zweiten Schritt die Aufnahme des Gelernten und in einem dritten Schritt die Anwendung des Gelernten folgt und sodann in einem vierten Schritt die Frage überprüft wird, ob die gesetzten → Lehr-Lern-Ziele erreicht wurden (Kirkpatrick & Kirkpatrick, 2016). Schon Herbert Gerl und Klaus Pehl hatten in den 1970er Jahren „Korridore“ der L. benannt, die Lernergebnisse als faktisch oder intendiert im Rahmen des Lernprozesses selbst oder in einem zeitlichen Abstand danach feststellten (Gerl & Pehl, 1983).
Literatur
Gerl, H. & Pehl, K. (1983). Evaluation in der Erwachsenenbildung. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.
Kirkpatrick, J. D. & Kirkpatrick, W. K. (2016). Kirkpatrick’s four levels of training evaluation. Alexandria, VA (US): ATD Press.
Nuissl, E. (2013). Evaluation in der Erwachsenenbildung (Reihe Studientexte für Erwachsenenbildung, Bd. 17). Bielefeld: wbv Publikation.
Reischmann, J. (2006). WeiterbildungsEvaluation. Lernerfolge messbar machen (2. Aufl.). Augsburg: Ziel.