Kompetenzmessung

Brigitte Bosche & Anne Strauch

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-163

Bereits zur Jahrhundertwende hatte sich die Europäische Union das Ziel gesetzt, den europäischen Wirtschaftsraum vor dem Hintergrund des Konzepts Lebenslangen Lernens (lifelong learning) zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ zu entwickeln. Durch eine wechselseitige Anerkennung (Anerkennung – Validierung) von erworbenem Wissen und erlernten Fähigkeiten sollten die unterschiedlichen Bildungssysteme und -standards der Länder harmonisiert werden. Hierzu wurde die Bewertung des Lernens neu ausgerichtet. So wurden europaweit Verfahren und Instrumente gefördert, die sich vom aufgabenzentrierten Qualifikationsverständnis (Qualifikation) abwenden und einer subjektorientierten Handlungsbefähigung (Kompetenzorientierung) zuwenden. Auf diese Weise sollten auch informell und non-formal erworbene Lernerfolge (formale – non-formale – informelle Bildung) erfasst, gemessen und anerkannt werden können.

Im Zusammenhang mit der Messung von Kompetenzen finden sich in der Literatur viele Begriffe, die nicht immer klar voneinander abgegrenzt bzw. auch synonym genutzt werden, wie „Zertifizierung“, „Validierung“ oder Kompetenzerfassung. Differenzierungen lassen sich in Bezug auf die Anwendungsfelder und die Messverfahren vornehmen. Zumeist wird unter der K. ein rein quantitatives und psychometrisches Testverfahren zur Erfassung von individuellen Kompetenzständen verstanden. Erpenbeck et al. (2017, S. XXXIIf.) weisen jedoch darauf hin, dass eine objektive K. nur begrenzt möglich ist, da mit reinen Testverfahren eine tatsächlich gezeigte Leistung und die Komplexität einer Person nicht ausreichend erfasst werden könne. Sie plädieren deshalb für einen weiten Begriff der K., der quantitative und qualitative Verfahren einschließt.

Zu den quantitativen Verfahren zählen methodisch gesicherte Testverfahren zur Erfassung von Ergebnissen (beruflicher) Bildungs- und Qualifizierungsprozesse, die den Ansprüchen an Validität, Reliabilität und Objektivität weitgehend gerecht werden, z. B. Intelligenztests, Fremdsprachentests, Simulationen oder domänenspezifische Leistungs-, Funktions- und Eignungstests. Sie werden vielfach in der Berufsbildung angewandt. Bei der Auswahl der Verfahren zur K. spielen Fragen nach der Zielsetzung, dem zugrundeliegenden Kompetenzmodell und der Praktikabilität eine Rolle. International bekannte Beispiele quantitativer Verfahren sind die von der Organisation for Economic Co-op­er­a­tion and Development (OECD) durchgeführten Studien zur K. von Schülerinnen und Schülern (Programme for International Student Assessment, PISA) und von Erwachsenen (Programme for the International Assessment of Adult Competencies, ­PIACC). Ein Kritikpunkt an solchen Verfahren ist, dass Personen nur von außen betrachtet werden und ihre subjektiven Einschätzungen nicht berücksichtigt werden.

Zu den qualitativen Verfahren der K. zählen strukturierte Beobachtungen, Portfolio-Verfahren oder Kompetenzpässe (Weiterbildungspässe) (Strauch, Mania & Jütten, 2009). Beispiele sind der in Deutschland entwickelte und auch international bekannte ­ProfilPASS sowie das im Rahmen des Projekts GRETA entwickelte PortfolioPlus zur Anerkennung von Kompetenzen Lehrender in der Erwachsenenbildung. Bei diesen Verfahren spielt die Selbstreflexion und die Selbsteinschätzung eine größere Rolle, da sie neben einer Bestimmung des Ist-Stands auch die Kompetenzentwicklung der betreffenden Person in den Blick nimmt.

Im Zusammenhang mit der K. kommen häufig Mischformen aus qualitativen und quantitativen Methoden zum Einsatz. Neben kognitiven Tests werden auch Arbeitsproben, Prüfungen oder Beobachtungen am Arbeitsplatz (Hospitation) verwendet. Ein Beispiel in Deutschland ist das von den deutschen Kammern (Handwerk, Industrie und Handel, Landwirtschaft) angebotene Verfahren ValiKom Transfer zur Validierung von berufsrelevanten Kompetenzen, die außerhalb des formalen Bildungssystems erworben wurden, oder das in Frankreich, in der Schweiz und in Luxemburg bekannte Verfahren Validation des Acquis de l’Expérience (VAE) zur Zertifizierung von beruflichen Kompetenzen, die außerhalb der üblichen Bildungs- oder Ausbildungsgänge durch Erfahrung erworben wurden (für einen detaillierten Überblick: Annen, 2011).

In Ergänzung zur K. auf individueller Ebene zielt eine K. auf systemischer Ebene darauf ab, empirisch gesicherte, steuerungsrelevante Aussagen zur Leistungsfähigkeit eines Bildungssystems (Weiterbildungssystem) zu gewinnen. In diesem Kontext wurde zwischen 2007 und 2014 zur Optimierung von Bildungsprozessen und zur Qualitätsentwicklung (Qualität) im Bildungswesen ein DFG-Schwerpunktprogramm aufgesetzt. Darin wurden 30 Projekte gefördert, die sich über Fachdisziplinen hinweg mit verschiedenen Aspekten der Modellierung und Messung von Kompetenzen in den Domänen Mathematik, Naturwissenschaft, Sprache und Lesen, Lehrerkompetenzen und fächerübergreifende Kompetenzen befassten (Leutner et al., 2017).

Literatur

Annen, S. (2012). Anerkennung von Kompetenzen. Kriterienorientierte Analyse ausgewählter Verfahren in Europa (Reihe Berichte zur beruflichen Bildung, Schriftenreihe des Bundesinstituts für Berufsbildung Bonn, zugl. Diss., Univ. zu Köln, 2011). Bielefeld: W. Bertelsmann.

Erpenbeck, J., Rosenstiel, L. von, Grote, S. & Sauter, W. (2017). Handbuch Kompetenzmessung: Erkennen, verstehen und bewerten von Kompetenzen in der betrieblichen, pädagogischen und psychologischen Praxis. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

Gnahs, D. (2010). Kompetenzen – Erwerb, Erfassung, Instrumente (Reihe Studientexte für Erwachsenenbildung, Bd. 10, 2., akt. Aufl.). Bielefeld: W. Bertelsmann.

Leutner, D., Fleischer, J., Grünkorn, J. & Klieme, E. (2017). Competence assessment in education. Research, models and instruments. Cham (CH): Springer International.

Strauch, A., Mania, E. & Jütten, S. (2009). Kompetenzerfassung in der Weiterbildung. Messinstrumente situativ anwenden (Reihe Perspektive Praxis, Bd. 8). Bielefeld: W. Bertelsmann.

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