Kompetenzerfassung

Brigitte Bosche & Anne Strauch

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-162

Mit dem Konzept des Lebenslangen Lernens (lifelong learning) gewann die Kompetenzorientierung und damit auch die Erfassung von Kompetenzen europaweit an Bedeutung. Der Paradigmenwechsel von der Qualifikation zur Kompetenz hatte zur Folge, dass nicht nur formale Nachweise (Zertifikate – Abschlüsse) von Bildungsprozessen in der Lernbiografie (Biografie) eines Menschen relevant wurden, sondern zugleich auch sämtliche Lernerfolge und persönliche Stärken. Zudem wurden die Formen des Kompetenzerwerbs auf das gesamte Spektrum des formalen, non-formalen, aber auch des informellen Lernens ausgeweitet (formale – non-formale – informelle Bildung).

Kompetenzen werden unterschiedlich definiert. Weit verbreitet ist die Definition von Franz E. Weinert, die neben Wissen und Fähigkeiten auch die motivationale, volitionale und soziale Bereitschaft zur deren situationsgerechten Anwendung einschließt. „Kompetenz“ bedeutet somit kurz gesagt: Handlungsfähigkeit. Unter K. ist „das Erkennen, Einordnen, Bewerten und Dokumentieren von Kompetenzen mithilfe verschiedener qualitativer und/oder quantitativer Methoden“ (Strauch, Mania & Jütten, 2009, S. 25) zu verstehen.

Mit der K. wird die Voraussetzung für eine Anerkennung von Kompetenzen geschaffen, die entweder in Form einer Wertschätzung der Lernbiografie (Anerkennung, gesellschaftliche – personale) oder in Form eines formalen Bildungsabschlusses erfolgen kann (Anerkennung – Validierung). Bspw. können Kompetenzen aus einschlägigen Berufserfahrungen auf Ausbildungszeiten oder Hochschulstudiengänge (z. B. im Rahmen der BMBF-Initiative ANKOM – Übergänge von der beruflichen in die hochschulische Bildung) angerechnet oder im Europäischen Hochschulraum erbrachte Studienleistungen in Form von Leistungspunkten (Credit Points) anerkannt werden. Die K. wird zur Beratung, Einstufung, Lernprozess- und Erfolgskontrolle, Nachqualifizierung, individuellen Lernreflexion und -planung eingesetzt und findet auch in der strategischen Personalrekrutierung und Personalentwicklung in Unternehmen Anwendung.

Während bei einem quantitativen Ansatz der K. eine strukturierte und hochstandardisierte Vorgehensweise im Sinne einer Kompetenzmessung erfolgt und überwiegend mit Tests und Prüfungen gearbeitet wird, werden bei der qualitativen Erfassung offene und flexible Verfahren mit hohen Interaktionsanteilen eingesetzt. Hierzu zählen z. B. Beobachtungen am Arbeitsplatz, die Analyse von Arbeitsproben, die Durchführung von Interviews oder auch kombinierte Verfahren sowie der Einsatz von Kompetenzpässen oder Portfolio-Verfahren.

Im Zuge der Integration von Geflüchteten wurden seit 2015 überwiegend qualitative In­stru­men­te entwickelt, die auf die Erfassung von bereits erworbenen Kompetenzen und Arbeitserfahrungen, aber auch auf die Anerkennung von im Heimatland erworbenen Qualifikationen abzielen. International bekannt ist das mehrsprachige EU-Instrument zur Erstellung von Kompetenzprofilen für Drittstaatsangehörige sowie in Deutschland der ProfilPASS in Einfacher Sprache (Weiterbildungspässe).

Für Lehrende in der Erwachsenbildung ist das Online-Tool PortfolioPlus zur Erfassung ihrer pädagogischen Kompetenzen bedeutsam, welches im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprojekts GRETA (Grundlagen für die Entwicklung eines trägerübergreifenden Anerkennungsverfahrens für die Kompetenzen Lehrender in der Erwachsenen- und Weiterbildung) entwickelt wurde. Im Jahr 2020 wurde es in die Praxis implementiert und wird seither erprobt. Das PortfolioPlus ist ein teilstandardisierter Fragebogen, mit dem Lehrende über Wissens- und Reflexionsfragen ihre Praxiserfahrungen und pädagogischen Kompetenzen dokumentieren. Die Fragen leiten sich aus dem GRETA-Kompetenzmodell ab, das im Sinne eines Strukturmodells all das abbildet, was Lehrende wissen und können müssen, um professionell handeln zu können (Professionalität). Die individuellen Antworten aus dem PortfolioPlus werden anschließend von qualifizierten Gutachterinnen und Gutachtern anhand einer festgelegten Indikatorik bewertet und in einer Kompetenzbilanz dargestellt (Kompetenzbilanzierung). Mit diesem Angebot der K. erhalten Lehrende sowohl eine Anerkennung ihrer Kompetenzen als auch Anregungen für ihre weitere Kompetenzentwicklung.

Zur Unterstützung des betriebseigenen Kompetenzmanagements und zur Personalgewinnung entwickeln Unternehmen vielfach eigene Kompetenzmodelle, die einen Pool an Kompetenzen enthalten, die mit Tätigkeitsanforderungen verknüpft sind (Erpenbeck, Rosenstiel & Grote, 2013, S. 24). Zur Erfassung der Kompetenzen werden hier sowohl quantitative als auch qualitative Methoden genutzt.

Literatur

Annen, S. (2012). Anerkennung von Kompetenzen. Kriterienorientierte Analyse ausgewählter Verfahren in Europa (Reihe Berichte zur beruflichen Bildung, Schriftenreihe des Bundesinstituts für Berufsbildung Bonn, zugl. Diss., Univ. zu Köln, 2011). Bielefeld: W. Bertelsmann.

Erpenbeck, J., Rosenstiel, L. von & Grote, S. (Hrsg.). (2013). Kompetenzmodelle von Unternehmen: Mit praktischen Hinweisen für ein erfolgreiches Management von Kompetenzen. Stuttgart: Schäffer-­Poeschel.

Gnahs, D. (2010). Kompetenzen – Erwerb, Erfassung, Instrumente (Reihe Studientexte für Erwachsenenbildung, Bd. 10, 2., akt. Aufl.). Bielefeld: W. Bertelsmann.

Strauch, A., Mania, E. & Jütten, S. (2009). Kompetenzerfassung in der Weiterbildung. Messinstrumente situativ anwenden (Reihe Perspektive Praxis, Bd. 8). Bielefeld: W. Bertelsmann.

Kompetenzbilanzierung
Kompetenzmessung