International vergleichende Erwachsenenbildungsforschung

Regina Egetenmeyer & Ekkehard Nuissl

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-151

I. v. E. ist ein Teil der international vergleichenden Bildungsforschung. Sie begann mit Schulvergleichen im frühen 19. Jh., die z. B. zur Übernahme von Elementen des preußischen Schulwesens in anderen Ländern führte (internationale Zusammenarbeit). Neben dem Ziel, von anderen Ländern zu lernen, ist mit dem der i. vergleichenden E. immer auch die eigene Standortbestimmung verbunden.

In der Erwachsenen- und Weiterbildung in Deutschland entwickelte sich die i. v. E. nach dem Ersten Weltkrieg. Im Jahr 1919 wurde in Großbritannien der World Association for Adult Education (WAAE) gegründet, in dem Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Erwachsenenbildung wenig später mitarbeiteten. Eine erste Weltkonferenz fand 1929 in Cambridge statt; ihr vorausgegangen war ein Arbeitstreffen 1928 in Oberhof, dem ersten international zusammengesetzten Forum der Erwachsenenbildung in Deutschland. Eine besondere Bedeutung kam den Modellen der dänischen Heimvolkshochschule und der englischen Universitätsausdehnungsbewegung (Popularisierung) zu. In dieser Zeit entwickelten sich auch erste Ansätze eines Vergleichs empirischer Daten zur Erwachsenenbildung in den einzelnen Staaten (Knoll, 1997).

Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm die United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) die Rolle der WAAE. Sie berief 1949 in Helsingör (Dänemark) eine Weltkonferenz der Erwachsenenbildung ein (CONFINTEA), der bisher weitere sechs Konferenzen (1960 Montreal, 1972 Tokio, 1985 Paris, 1997 Hamburg, 2009 ­Belém, 2022 Marrakesch) und zwei Mid-Term-Konferenzen (2003 Bangkok, 2017 Suwon) folgten. Die seit 2009 alle drei bis vier Jahre herausgegebenen „Global Reports on Adult Learning and Education“ (GRALE), erarbeitet vom UNESCO Institute for Lifelong Learning (UIL) in Hamburg, geben weltweit einen vergleichenden Einblick in die Situation von Erwachsenenbildung der UNESCO-Mitgliedsländer.

I. v. E. vergleicht die Erwachsenenbildung zwischen zwei oder mehreren Ländern, Regionen, Gemeinschaften, Organisationen und Orten. Diese Vergleiche basieren auf quantitativen und/oder qualitativen Daten (Forschungsmethoden). Sie werden entweder gezielt erhoben (wie bei den Large-Scale-Studien der letzten Dekaden, insb. das Programme for the International Assessment of Adult Competencies, PIAAC) oder stützen sich sekundäranalytisch auf vorhandene Daten (Forschungsinfrastruktur). Die quantitativ basierten Vergleiche zielen v. a. auf System und Effektivität ab, die qualitativen Vergleiche auf Modelle und Transfer von Best Practices. Methodisch stellt die i. v. E. hohe Anforderungen an die Auswahl von Fragen, Vergleichskategorien, -indikatoren und -fälle sowie Kompatibilität der verwendeten Daten. Die Definition von Vergleichskategorien, die kritische Reflexion von Vergleichsfällen, die Juxtaposition (Nebeneinanderstellen von identisch strukturierten Fällen) und die interpretative Komparation erfolgen in hermeneutischen Zirkeln mit dem Ziel des Verstehens von Gemeinsamkeiten und Unterschieden.

Die Vergleiche stehen i. d. R. im Kontext internationaler und supranationaler Entwicklungen und Ziele (z. B. Europäische Bildungspolitik, Sustainable Development Goals), sodass nicht nur die Unterschiede, sondern auch die Gemeinsamkeiten (Egetenmeyer, 2020) von Bedeutung sind. I. v. E. umfasst z. B. kulturfördernde Community-Ansätze in Ostasien, Erwachsenenbildung für Migrantinnen und Migranten in Nordamerika, ­Literacy-Ansätze in Indien, traditionell-indigene Vermittlung zwischen Erwachsenen in Australien, erwerbsfördernde Grundbildung in Nigeria, berufsintegrierende Anerkennungsverfahren in Portugal oder politische Erwachsenenbildung in verschiedenen europäischen Ländern.

Die Europäische Union fördert neben bildungspolitischer Integration den quantitativen internationalen Vergleich mit dem Adult Education Survey (AES) und dem Continuing Vocational Training Survey (CVTS). Daneben ist Erwachsenenbildung in verschiedenen kontinentalen Gruppen organisiert (European Association for the Education of Adults, EAEA; European Society for Research on the Education of Adults, ESREA; American Association for Adult and Continuing Education, AAACE; Asia-Europe-Meeting, ASEM; Asia South Pacific Association for Basic and Adult Education, ASPBAE), in denen auf unterschiedlichste Weise vergleichende Diskurse erfolgen. Die Förderung der i. vergleichenden E. hat sich die International Society for Comparative Adult Education (ISCAE) zum Auftrag gemacht.

Der Stellenwert von i. vergleichender E. ergibt sich auch aus der Internationalisierung und Globalisierung von Wissenschaft, Erwachsenenbildungspraxis und Gesellschaft. Studien verweisen auf den Einfluss internationaler Bildungspolitik auf annähernde Entwicklungen der Erwachsenenbildung weltweit (UIL, 2021). Auf globaler Ebene haben sich, auch in Verbindung mit den GRALE-Reports, folgende Themen etabliert: politische Bildung, Teilhabe und Inklusion, Gesundheit und Wohlbefinden (Gesundheitsbildung), Grundbildung (Alphabetisierung – Grundbildung) und Literalität (Literalität – Numeralität). Im europäischen Kontext kommen die Themen Professionalisierung und Employability hinzu.

Aus international vergleichender Perspektive sind die Entwicklungen und Studien immer vor dem Hintergrund jeweils situativer Kontexte und Einflüsse zu verstehen.

Literatur

Egetenmeyer, R. (2020). Comparative adult and continuing education: a guiding essay. In R. Egetenmeyer, V. Boffo & S. Kröner (Hrsg.), International and comparative studies in adult and continuing education
(Series Studies on Adult Learning and Education, vol. 12, pp. 17–30). Florence (IT): Firenze University Press.

Field, J., Künzel, K. & Schemmann, M. (2019). A rejoinder on the debate on international comparative adult education research. In A. Fejes & E. Nylander (Eds.), Mapping out the research field of adult education and learning (Series Lifelong Learning Book, vol. 24, pp. 223–225). Cham (CH): Springer.

Knoll, J. (1997). Stand der Vergleichenden Forschung in der Erwachsenenbildung. Von der systemischen Juxtaposition zum problem-/gegenstandsorientierten Vergleich? Bildung und Erziehung, (50)3, 257–272.

UNESCO Institute for Lifelong Learning. (2021). 4. Weltbericht zur Erwachsenenbildung. Niemand soll zurück­bleiben: Teilnahme und Teilhabe. Hamburg: UIL.

International Society for Comparative Adult Education
Internationale Forschung zur Erwachsenen- und Weiterbildung