Intergenerationelle Bildung

Andreas Meese & Bernhard Schmidt-Hertha

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-146

Der Begriff Generation bezeichnet in seiner historisch-politischen Lesart eine Gruppe von Personen (Kohorte) ähnlichen Alters, die aus einer vergleichbaren Lebensphase heraus denselben sozial-historischen Kontext erlebt. Dies führt dazu, dass Generationen eigene „Grundintentionen“ (Karl Mannheim) und Kulturtechniken entwickeln, die sich in Form von kollektiven Erlebnissen (z. B. Fall der Berliner Mauer), kollektiven Kompetenzen (z. B. hauswirtschaftliche Kenntnisse, digitale Arbeitstechniken) und kollektiven Themen (z. B. Nachkriegsverhältnisse, Klimawandel, Pandemien) im Gedächtnis dieser Generationen verankern. Bildung ist somit auch generations- und zeitspezifischen Ausprägungen unterworfen, da die Gesellschaftskultur (Gesellschaft) und die Lernkultur ebenso wie die Generationenkultur einem kontinuierlichen Wandel unterliegen.

Neuere Jugendstudien (z. B. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019) verweisen allerdings auf eine nachlassende Homogenität der Anschauungs- und Verhaltensweisen von Kohorten. Auch ähnliches Alter ist aufgrund der Auflösung des traditionellen Lebenslauf­regimes (Lebenslauf) nur noch ein sekundäres Merkmal zur Beschreibung von Generationen. Die i. B. ist somit auf einen Gegenstand gerichtet, dessen Konturen sich tendenziell auflösen, der gleichzeitig jedoch genau hierdurch seine Bedeutung manifestiert. Die Unterscheidung von Generationen und Altersgruppen hat aber in der praktischen Bildungsarbeit kaum Relevanz, für theoretische Argumentationen und Schlussfolgerungen ist sie hingegen bedeutsam. Dies erklärt auch, warum insb. der internationale Diskurs zum intergenerational learning durch eine vielfältige Begriffsverwendung gekennzeichnet ist (Schmidt-Hertha, 2014).

Ein Bezug zur Praxis lässt sich dennoch exemplarisch an zwei Dimensionen einer intergenerationellen Bildungsarbeit manifestieren:

  1. In beruflicher und betrieblicher Hinsicht befasst sich die praktische i. B. hauptsächlich mit der Weitergabe von informell oder formell erworbenem Wissen an nachkommende (betriebliche) Generationen. Es geht somit um die Vermittlung von umsetzungsbezogenem Wissen und Kompetenzen.
  2. In gesellschaftlicher und familiärer Hinsicht dominieren Projekte der Revitalisierung von Generationskontakten, die in den horizontal wie vertikal verschlankten und lokal verstreuten Familienstrukturen verlorengegangen sind. Im Fokus steht die Kontaktaufnahme und der Dialog zwischen Kindern und Seniorinnen und Senioren (Neidhardt, 2008), wobei die dazwischenliegende Generation nur selten einbezogen wird. Es steht somit der Austausch von Erfahrungen und generationseigenem Deutungswissen im Vordergrund.

In beiden Bereichen wird das Generationenverständnis selbst zum Inhalt der Vermittlung (Antz et al., 2009), was im Vergleich zu anderen Formen und Arten des Lernens eine Besonderheit darstellt. Dieser Vermittlung ist meist als eine auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt bzw. die gesellschaftliche Teilhabe bezogene Bildungsarbeit zu charakterisieren, insofern man die i. B. im betrieblichen Kontext zur einseitigen Weitergabe von Know-how außer Acht lässt. Eine Systematisierung solcher Anliegen kann nach dem Ursprung des vermittelbaren Wissens und Könnens erfolgen: (1) In Projekten des Voneinander-Lernens liegt das Expertenwissen in mindestens einer der Generationen und wird der anderen Generation nähergebracht. (2) Projekte des Übereinander-Lernens fokussieren auf Prozesse der Öffnung für die Perspektiven und Kulturtechniken der anderen Generation. (3) Bei Projekten des Miteinander-Lernens erarbeiten verschiedene Generationen mit den ihnen jeweils vertrauten Mitteln gemeinsam ein Thema.

Die i. B. stellt an Lehrende besondere Herausforderungen. Diese müssen nicht nur mit möglichen Konflikten umgehen, sondern auch eine gleichgewichtige Beteiligung verschiedener Altersgruppen am gemeinsamen Austausch durch die Wahl geeigneter Methoden herstellen können (Franz & Schmidt-Hertha, 2018).

Literatur

Albert, M., Hurrelmann, K. & Quenzel, G. (2019). Jugend 2019. Eine Generation meldet sich zu Wort (18. Shell Jugendstudie). Weinheim: Beltz.

Antz, E.-M., Franz, J., Frieters, N., Scheunpflug, A. & Tolksdorf, M. (2009). Generationen lernen gemeinsam. Theorie und Praxis intergenerationeller Bildung (Reihe EB Buch, Bd. 28). Bielefeld: W. Bertelsmann.

Franz, J. & Schmidt-Hertha, B. (2018). Intergenerationelles Lernen. In R. Schramek, C. Kricheldorff, B. Schmidt-Hertha & J. Steinfort-Diedenhofen (Hrsg.), Alter(n), Lernen, Bildung. Theorien, Konzepte und Diskurse (S. 164–176). Stuttgart: Kohlhammer.

Neidhardt, H. (2008). Wenn jüngere und ältere Erwachsene gemeinsam lernen... Altersintegrative Erwachsenenbildung. Bonn: DIE.

Schmidt-Hertha, B. (2014). Different concepts of generation and their impact on intergenerational learn­ing. In B. Schmidt-Hertha, S. Jelenc Krasovec & M. Formosa (Eds.), Learning across generations. Contemporary issues in older adult education (pp. 145–154). Rotterdam (NL): Sense.

Interdisziplinarität
Interkulturelle Erwachsenenbildung