Ekkehard Nuissl
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-140
Der Begriff I. wird erst seit Beginn der 1990er Jahre im Bereich der → Erwachsenen- und Weiterbildung verwendet. Zu der Zeit betonte der Club of Rome erstmals „innovative“ statt „tradierter“ Lernprozesse, die durch Antizipation, Partizipation, → Autonomie und Integration charakterisiert sind. Der Begriff I. taucht häufig im bildungspolitischen Zusammenhang auf (→ Weiterbildungspolitik) und steht dann z. B. im Kontext von → Forschung, Entwicklung und der Suche nach Strategien zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen (→ Bildungsreformen; → sozialer Wandel). Belege für Innovationen sind die zahlreichen Innovationspreise im Bereich von Forschung, Entwicklung und (Weiter-)Bildung. Wissenschaftliche und politische Einrichtungen tragen ihre Innovationen explizit in ihrem Namen.
Eine I. wird gewöhnlich mit „Erneuerung“, damit aber missverständlich übersetzt; gemeint ist eher etwas „Neues“, weniger etwas „Erneuertes“. Der Begriff I. bezeichnet unterschiedliche Dinge. So gelten z. B. Maßnahmen der Gegensteuerung ebenso als innovativ wie solche der Trend-Ergänzung, der Grenzüberschreitung oder der Neuerfindung. Mit einer I. werden vielfach kreative Lösungen assoziiert (→ Kreativität). Im Allgemeinen wird der Begriff I. als wertende Kategorie gebraucht, jeweils mit Blick auf ein wünschenswertes Ziel und erst im Zuge seiner Realisierbarkeit – z. B. mehr Demokratie oder mehr Humanität. Fortschritt, insb. nur technischer Fortschritt, ist daher nicht identisch mit I., genauso wenig wie die Utopie es (noch) ist. Oft wird allerdings versäumt, den Wertmaßstab, auf den sich das Innovative bezieht, explizit zu benennen.
Innovationen in der Erwachsenen- und Weiterbildung (Barz, 2006; Schlutz, 2002) sind historisch bekannt und systematisch denkbar zu (Koller, 2021): (1) → Inhalten: die Arbeit an neuen, gesellschaftlich und politisch wichtigen Themen (z. B. Umwelt, Globalisierung); (2) Arbeitsformen: die Arbeit mit neuen Mitteln (z. B. neuen → Medien) oder neuen → Methoden; (3) Personen: die Arbeit mit neuen Zielgruppen (z. B. im Sinne von sozialer → Inklusion); (4) → Programmen: die Arbeit mit neuen Systemen und Bezügen (z. B. → Curricula, → Zertifikaten, Management- und Steuerungsinstrumenten wie → Monitoring, Benchmarking); (5) Reichweiten: die Arbeit mit kooperativen und vernetzten Modellen (→ Netzwerke – Kooperationen) (z. B. Lernende Regionen, Selbstorganisation des Lernens, Lernzentren, → Bildungslandschaften).
Oft sind Innovationen nur schwer beobachtbar, v. a. dann, wenn kein Außenstandpunkt bezogen wird oder werden kann. Häufig wird daher eine I. erst in der historischen Betrachtung erkennbar. Nur selten verfügen Innovationen über benennbare Initiationsakte, meist entwickeln sie sich in längerfristigen Analyse- und Umsetzungsverfahren und sind daher schwer einzugrenzen.
Die → Evaluation von Innovationen bezieht sich im Grundsatz nicht auf das „Neue“ im jeweiligen Kontext, z. B. in Bildungsprozessen (z. B. Lehrmethoden), in Bildungsorganisationen (z. B. → Bildungsmanagement) oder Bildungssystemen (z. B. Bildungsgutscheine), sondern auf die dauerhafte Implementierung. Innovationen, die nicht in die Realität umgesetzt werden oder werden können, verbleiben Ideen im Bereich des Möglichen.
Viele Innovationen der Weiterbildung wurden in anderen gesellschaftlichen Bereichen oder in anderen Sprachen oder in anderen Ländern entwickelt, bevor sie auf die Erwachsenenbildung übertragen wurden. Innovativ ist somit auch die Anwendung bereits bekannter Verfahren und Lösungen auf neue Situationen; dies gilt dann als ein innovativer Transfer. Bedeutsam ist dieser auch international, z. B. im Transfer von → Forschung oder Best Practices zwischen Staaten und Kulturkreisen (→ internationale Zusammenarbeit).
Heuristischen Wert hat der Begriff I. dann, wenn mit ihm Perspektive und Wandlungsfähigkeit bezeichnet werden (Weissenberger-Eibl, 2019). Das Gegenteil davon kann aber entstehen, wenn eine I. als Wert an sich gilt. Eine I. definiert etwas Bewegliches und Lebendiges; in diesem Sinne ist der Begriff auch pädagogisch hilfreich und politisch wertvoll. Er schlägt ins Gegenteil um, wenn mit seiner Hilfe bestehende funktionierende und bereits bewegliche Strukturen gestört oder gar zerschlagen werden.
Literatur
Barz, H. (2006). Innovation in der Weiterbildung. Was Programmverantwortliche heute wissen müssen (Reihe Grundlagen der Weiterbildung, 1. Aufl.). Hergensweiler: Ziel.
Koller, J. (2021). Dimensionen und Perspektiven von Innovationen in der Erwachsenenbildung – ein Systematic Literature Review. In M. Schemmann (Hrsg.), Optimierung in der Weiterbildung (Internationales Jahrbuch der Erwachsenenbildung, Bd. 44, S. 133–155). Bielefeld: wbv Publikation.
Schlutz, E. (Hrsg.). (2002). Innovationen in der Erwachsenenbildung – Bildung in Bewegung. Bielefeld: W. Bertelsmann.
Weissenberger-Eibl, M. A. (Hrsg.). (2019). Zukunftsvision Deutschland. Innovation für Fortschritt und Wohlstand. Berlin: Springer Gabler.