Inklusion – Diversität

Silke Schreiber-Barsch

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-139

Der Begriff D. bedeutet Verschiedenartigkeit oder Vielfältigkeit, die sich entlang von individuellen, kollektiven und/oder strukturellen Differenzmerkmalen, wie Alter, Gender, Milieu-, Schicht- und Klassenzugehörigkeit, sozioökonomischer Status, Behinderung, Religion u. a., bestimmt. Für den Begriff D. sind Differenzmerkmale eine begrifflich-kon­sti­tu­ti­ve Bedingung. In der Diskussion um D. werden diese Merkmale (in Relation zur Bestimmung eines Normzustands) als sozial konstruiert, erworben und/oder angeboren verstanden. Demgegenüber bezieht sich I. auf den Umgang mit D. Der Begriff I. bedeutet Einbezogen-Sein und Einbezogen-Werden. Dieses kann selbst- oder fremdbestimmt erfolgen, als positiv oder negativ empfunden werden und spiegelt Zugehörigkeit und Zugänglichkeit von bzw. zu etwas wider. I. kann dichotom (drinnen – draußen) oder graduell (mehr – weniger) bestehen und lässt sich auf der Ebene der Subjekte, der Strukturen (z. B. des Bildungssystems), der Prozesse (inkludieren – exkludieren) sowie des Systems (mit dem Ziel z. B. einer inklusiven Gesellschaft) beobachten und analysieren.

Sowohl D. als auch I. sind begrifflich, theoretisch und konzeptionell multidisziplinär in den Sozialwissenschaften verankert. Eine gemeinsame theoretische Wurzel bildet der sozialwissenschaftliche Diskurs der 1960er Jahre zur sozialen I. bzw. Exklusion in modernen Gesellschaften (Kronauer, 2010). In der Erziehungswissenschaft sind Konzepte aus dieser Zeit zur Ausländerpädagogik, später zur Interkulturalität und allgemein zur Heterogenität für Diversitätsdiskurse grundlegend. Konzepte der I. entwickeln sich aus der sozialstaatlich geforderten Überwindung segregierter Bildungssysteme seit Mitte der 1970er Jahre, zunächst in den USA, seit den 1990er Jahren international v. a. durch Aktivitäten der Vereinten Nationen (UN). Das Konzept I. zielt auf ein gemeinsames Lernen; bildungspolitisch soll sich das gesellschaftsverändernde Regulativ des Konzepts I. von dem zuvor üblichen Begriff „Integration“ absetzen (letzterer wird programmatisch auf Migration fokussiert). Richtungsweisend für die Begriffe D. und I. ist der seit den 2000er Jahren zu beobachtende Paradigmenwechsel: Defizitorientierte Ansätze zur Problematisierung von D. und I. (Assimilation, Eingliederung, Mangelausgleich) werden abgelöst von einem ressourcenorientierten und die Vielfalt wertschätzenden Verständnis zur pädagogischen Bearbeitung von D. und I. (Mehrfachzugehörigkeiten, machtsensibles Diversity Management, Selbstbestimmung).

Erwachsenenpädagogische Konzepte von D. und I. setzen die Annahme der Bildsamkeit von Erwachsenen voraus; sie begründet den pädagogischen Auftrag. Sowohl im Sinne von D. als auch von I. wird auf der Mikroebene der Lernenden und Lehrenden eine methodisch-didaktische Orientierung an diversen Interessen, Eigenschaften und Bedarfen der Teilnehmenden (Teilnehmerorientierung) und eine diversitätssensible Qualifizierung des pädagogischen Personals (Weiterbildung der Weiterbildenden) gefordert, auf der Mesoebene eine Vielfalt an Programmen, Inhalten und Themen und inklusiv zugänglichen Institutionen der Weiterbildung und auf der Makroebene die systemtypisch pluralen Strukturen, Angebote und Regulierungen (Pluralismus) (Dollhausen & Muders, 2015). Im Sinne von I. werden auf der Makroebene die individuelle Bildungsbedürftigkeit und -berechtigung über Menschenrechte begründet (Recht auf Bildung und Teilhabe, UN-Behindertenrechtskonvention), auf der Mesoebene eine „ent-hinderte“ Zugänglichkeit (physisch, soziostrukturell, symbolisch) gefordert und auf der Mikroebene mit barrierearmen, teilnehmerorientierten Lehr-Lern-Settings gearbeitet.

Diversitätskategorien wie Migration oder Gender sind in empirischen Studien und Bildungsberichten im Vergleich zur Kategorie Behinderung und dem Thema I. inzwischen breit erforscht. Zu Letzterem liegen kaum Daten in Bezug auf Erwachsene vor; gleichwohl ist von einer weiterhin geringen Teilnahme an Erwachsenen- und Weiterbildung auszugehen (Heimlich & Behr, 2018). Es bedarf einer auf Partizipation angelegten Praxis und einer intersektional ausgerichteten Forschung entlang sich überlagernder Diversitätsmerkmale (z. B. Migrationserfahrung und Behinderung) unter machtkritischen und diskriminierungsbezogenen Perspektiven.

Literatur

Dollhausen, K. & Muders, S. (Hrsg.). (2015). Diversität und Lebenslanges Lernen. Aufgaben für die organisierte Weiterbildung (Reihe Erwachsenenbildung und lebensbegleitendes Lernen – Forschung & Praxis, Bd. 26). Bielefeld: wbv Publikation.

Heimlich, U. & Behr, I. (2018). Inklusion von Menschen mit Behinderung in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung. In R. Tippelt & A. von Hippel (Hrsg.), Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung (Reihe Springer Reference Sozialwissenschaften, 6., überarb. u. akt. Aufl., Bd. 2, S. 1207–1223). Wiesbaden: Springer VS.

Kronauer, M. (Hrsg.). (2010). Inklusion und Weiterbildung. Reflexionen zur gesellschaftlichen Teilhabe in der Gegenwart (Reihe Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung, Bd. 14). Bielefeld: W. Bertelsmann.

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