Humankapital

Jens Ruhose & Stephan Thomsen

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-135

Als H. wird der Bestand an Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten verstanden, der in Form menschlichen Arbeitshandelns im Produktions- oder Dienstleistungsprozess eingesetzt werden kann. Als Begriffsanalogie steht das H. volkswirtschaftlich in einer sub­stituierenden oder komplementären Beziehung zum „Sachkapital“. Der Begriff H. stammt aus der sog. Humankapitaltheorie; in dieser werden Bildungsaktivitäten als Investitionen verstanden, bei denen gegenwärtige Bildungskosten (einschließlich Opportunitätskosten aus entgangener Arbeit) den zukünftigen Mehrerträgen durch Bildung ( Erträge von Erwachsenen- und Weiterbildung) gegenübergestellt werden. Kosten und Erträge beziehen sich nicht ausschließlich auf monetäre Aspekte, sondern umfassen auch nicht-monetäre Größen (z. B. Gesundheit oder zivilgesellschaftliche Partizipation); zur Vergleichbarkeit (insb. zum Sachkapital) werden diese teilweise in Geldeinheiten umgerechnet.

Investitionen in das H. umfassen neben der schulischen und außerschulischen Bildung insb. die berufliche Ausbildung, das Studium sowie die berufliche und betriebliche Weiterbildung. Grundannahme in der Humankapitaltheorie ist ein positiver Zusammenhang zwischen Bildung und Produktivität, sowohl individuell als auch gesamtwirtschaftlich. Neben den investiven Motiven einer Bildungsentscheidung gibt es insb. in der Erwachsenen- und Weiterbildung auch die konsumtiven Motive des Bildungserwerbs (insb. Lerninteresse). Investitionen in das H. im Erwachsenenalter werden zudem nach dem Grad der Nutzbarkeit unterschieden: Sind die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten generell auf dem Arbeitsmarkt nutzbar, handelt es sich um eine allgemeine Weiterbildung; sind sie nur bzw. insb. beim aktuellen Arbeitgeber verwertbar, handelt es sich um eine spezifische Weiterbildung. Da bei allgemeiner Verwendbarkeit zumeist keine betrieblichen Anreize zur Finanzierung bestehen (Finanzierung der Weiterbildung), subventioniert der Wohlfahrtsstaat diese Bildungsangebote zur Erreichung eines gesamtgesellschaftlich hohen Humankapitalbestands (öffentliche Verantwortung).

Im Gegensatz zum Sachkapital ist das H. an die Person gebunden. In Verbindung mit technischem Fortschritt ermöglicht es die Erklärung unterschiedlich verlaufender Wachstumsprozesse in einem Land sowie zwischen Ländern im internationalen Vergleich. Durch Berücksichtigung des Humankapitals wurden die Beschränkungen auf das Sachkapital und die Annahme homogener Arbeit in frühen Wachstumsmodellen zugunsten einer je nach Qualifikation funktional differenzierten Einkommensverteilung und einer adäquaten Messung des Arbeitskräfteeinsatzes aufgehoben (Bildungsökonomie). Empirisch wurden anfänglich insb. die individuellen bzw. aggregierten Bildungsjahre als Approximation an das H. genutzt. Jüngere Arbeiten verwenden umfangreiche Indikatoren zur Abbildung kognitiver und nicht-kognitiver Aspekte des Humankapitals bis hin zu elaborierten psychometrischen Konstrukten (z. B. PIAAC, PISA).

Zunächst diente die Humankapitaltheorie dazu, Fragestellungen zur Einkommensstruktur intragenerational zu untersuchen. Ergänzt wurden diese Analysen schließlich um die Erklärung der Entwicklung des individuellen Humankapitals im Lebenslauf durch die Konzeption von sog. Bildungsproduktionsmodellen und durch Betrachtungen einer intergenerationalen Verteilung. Die Modellierung des Bildungsprozesses als „Produktionsmodell“ mit Investitions- und Ertragsphasen erlaubt eine Analyse optimaler Bildungsentscheidungen bzw. variierender Bildungsintensitäten über den Lebensverlauf (lifelong learning). So nehmen bspw. die möglichen Bildungsrenditen mit zunehmendem Alter ab (sinkender Grenzertrag).

Die jüngere Forschung modelliert den Erwerb von H. als einen mehrstufigen Prozess mit sog. sensiblen und kritischen Phasen. Diese Phasen sind Alters- bzw. Entwicklungsstufen, in denen persistente Niveauveränderungen (noch) möglich sind (Übergänge im Bildungssystem). Zentral hierfür sind die Konzepte der Selbstproduktivität und der dynamischen Komplementarität von H.: Wissen und Kompetenzen befördern deren weitere Aneignung.

Literatur

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Hanushek, E. A., Schwerdt, G., Wiederhold, S. & Woessmann, L. (2015). Returns to skills around the world: evidence from PIAAC. European Economic Review, 73, 103–130.

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