Bernhard S. T. Wolf & Steffen Wachter
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-113
Für die extramurale Universitätsausdehnung, die bis hin zu Fernstudiengängen (→ Fernstudium) und offenen Weiterbildungsangeboten der Universitäten (→ Weiterbildung an Hochschulen; → wissenschaftliche Weiterbildung) führte, ergab sich mit dem neuen Medium Rundfunk die Chance, breite Bevölkerungsschichten zu erreichen. So wurden schon 1924 Sendereihen mit akademischen Vorträgen vom Sender Frankfurt a. M. als Frankfurter Volks-Funkhochschule mit Vorlesungsreihen von Dozenten der Goethe-Universität Frankfurt a. M. ausgestrahlt. Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpfte der Hessische Rundfunk (hr) federführend für die spätere Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) mit der Internationalen Rundfunkuniversität an diese Tradition an und entwickelte schließlich mit der Frankfurter Universität ein F.
Dieser Medienverbund bestand als universitätsorientiertes Fort- und Weiterbildungsangebot von 1966 bis 1998. Wenige Jahre nach dem Start hatte er seine Grundstruktur mit Radiosendungen und Studienbriefen, Volkshochschul-Begleitzirkeln, Prüfungen und → Zertifikaten gefunden. Rechtlich gesehen wurde der Verbund jährlich mit einer Verwaltungsvereinbarung der Partner erneuert. Maßgeblich für die Gestaltung und Weiterentwicklung war die Planungskommission, in der die beteiligten Rundfunkanstalten, Kultusministerien der Bundesländer, Landesverbände der → Volkshochschulen (vhs), Landesrektorenkonferenzen oder Landesuniversitäten sowie das Deutsche Institut für Fernstudienforschung (DIFF) an der Universität Tübingen vertreten waren.
Das F. startete am 5. Mai 1966 im Zweiten Programm des hr als auf drei Jahre terminierte Sendereihe in Form einer Ringvorlesung. Dieses „Funk-Kolleg zum Verständnis der modernen Gesellschaft“ ist aus dem bildungspolitischen Kontext der 1960er Jahre als Projekt einer gezielten Lehrerfortbildung (→ Lehrerbildung, 3. Phase) (Mangel an Lehrkräften für Gemeinschaftskunde), einer Erschließung von Bildungsreserven und einer Überwindung von Bildungsbarrieren (Begabtenprüfung, → zweiter Bildungsweg) zu verstehen. 1967 wurde ein Kontaktbüro an der Goethe-Universität Frankfurt a. M. eingerichtet (später das länderfinanzierte F.-Zentralbüro), das Publizieren der Vorlesungstexte der Funkkollegs begonnen (nach über 20 Jahren der Reihe F. lag die Auflage bei 1,5 Mio. Exemplaren) und z. T. ein TV-Begleitangebot zusammengestellt. Ebenfalls 1967 erfolgte die Gründung der Planungskommission für das sog. Quadriga-F. (1969–1974) mit dem Saarländischen und dem Süddeutschen Rundfunk sowie dem Südwestfunk. Neue Verbundpartner waren das DIFF (schriftliche Begleitmaterialien) und die Pädagogische Arbeitsstelle (PAS) des → Deutschen Volkshochschul-Verbands (DVV) (später: → Deutsches Institut für Erwachsenenbildung, DIE).
Ein F. bestand aus 30 Sendungen mit einstündiger Laufzeit. Die Begleitmaterialien des DIFF erschienen im Beltz-Verlag. Wegen der hohen Teilnahmezahlen wurde für die elektronische Korrektur von je zwei Hausarbeiten und Prüfungen das Multiple-Choice-Verfahren eingesetzt. Eine Prüfungskommission befasste sich mit Fragen der Aufgabenstellung und Prüfungsdurchführung. Prüfungsorte wurden zentrale vhs.
1977 traten der Westdeutsche Rundfunk und 1989 der Norddeutsche Rundfunk dem Verbund bei. Als 1994 die Deutsche Welle und das Deutschland-Radio Mitveranstalter wurden, hatte sich der Südwestfunk bereits aus dem Medienverbund zurückgezogen, 1995 auch der Saarländische Rundfunk, jeweils vornehmlich aus finanziellen Gründen. Die Teilnahme von Deutschland-Radio brachte nicht die erhofften neuen → Teilnehmenden aus den ostdeutschen Bundesländern. Daher wurde 1996 das Ende des Medienverbunds beschlossen. Das letzte F. Deutschland im Umbruch (Deutschland-Radio) fand 1997/98 statt. Insgesamt liefen 31 Funkkollegs mit 722.442 Teilnehmenden. 156.665 Zertifikate wurden für erfolgreiche Prüfungen erteilt.
Seit 1998 sind der hr und der Hessische Volkshochschulverband (hvv) alleinige Veranstalter des Funkkollegs. Zugleich wurde das Konzept von der bis Ende 2013 in hr2 Kultur angesiedelten Redaktion grundlegend reformiert und deshalb bis zur Staffel 2007/08 der Name „Das Neue Funkkolleg“ verwendet.
Alle Sendungen werden – jetzt über hr-iNFO – mehrfach ausgestrahlt und auf einer jeweils eigenen Internetseite (www.hr-inforadio.de) als Podcast und zum Download bereitgestellt. Dort sind auch Zusatzmaterialien und Links zum Thema zu finden, ebenfalls die Angebote der vhs vor Ort sowie Fortbildungs- und Prüfungsmöglichkeiten. Zudem veranstalten die Partner in Zusammenarbeit mit der wissenschaftlichen Begleitung zentrale Auftakt- und Abschlussveranstaltungen, organisieren Konferenzen und → Fortbildungen für Lehrende und publizieren Begleitmaterialien. Eine umfassende Bibliografie mit über 300 Literaturhinweisen zu den Buchausgaben von Funkkollegs auf der Grundlage der Kollegsendungen (z. B. des Funkkollegs Erziehungswissenschaft von Wolfgang Klafki u. a. im Jahr 1970), der Studienbriefe sowie als begleitende Buchausgaben zu einzelnen Funkkollegs (sog. Reader) und Veröffentlichungen zum F. insgesamt oder zu einzelnen Funkkollegs finden sich bei Greven (1998).
Literatur
Greven, J. (1998). Das Funkkolleg 1966–1998. Ein Modell wissenschaftlicher Weiterbildung im Medienverbund. Erfahrungen – Auswertungen – Dokumentation. Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
Hagedorn, B. (2007). Die neue Lust am Hören – Funkkolleg von 1966 bis heute. München: Goethe-Institut.
Kade, J. & Seitter, W. (1996). Vom Leistungsnachweis zum Symbolwert. Die Bedeutungsvielfalt von Zertifikaten in der Erwachsenenbildung am Beispiel des Funkkollegs. Hessische Blätter für Volksbildung, 46(3), 256–260.