Führungskräftebildung

Rolf Arnold & Ekkehard Nuissl

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-112

Das Thema Führung wurde in der deutschen Pädagogik lange Zeit übersehen. Dies ist ein Sachverhalt, welcher sicherlich mit dem durch den Faschismus diskreditierten Begriff des „Führers“ zu tun hat, aber auch in den tendenziell antiautoritären Gehalten einer Pädagogik begründet ist, die sich der Emanzipation verschrieben hat. Erst in den späten 1970er Jahren wurden in der Pädagogik allmählich auch internationale Beiträge zum Educational Leadership für den Bildungsbereich rezipiert, und es entstand eine eigenständige Schulentwicklungsforschung. Diese ist im deutschsprachigen Bereich in erster Linie mit den Ansätzen von Hans-Günther Rolff verknüpft (Buchen & Rolff, 2016). In der Erwachsenenpädagogik dauerte es noch mehr als zwei Jahrzehnte, bis man begann, sich differenzierter dem Thema Führung zu nähern und das Führungshandeln in Organisationen der Weiterbildung (Leitung – Management) genauer zu untersuchen (Herbrech­ter, 2018). Dies geschah kohärent im Zuge der „Entdeckung“ von Bildungsorganisationen als dem institutionellen Hintergrund all dessen, was an organisierter Bildung veranstaltet wird. U. a. die Arbeiten von Ekkehard Nuissl oder die Organisationsstudien von Ortfried Schäffter stehen in den 1980er und 1990er Jahren für diese Entwicklung. Heute gibt es eine eigene Sektion Organisationspädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) (Göhlich et al., 2014), in welcher auch führungstheoretische Fragestellungen erörtert werden.

Nimmt man die Führungsdebatte seit den 1960er Jahren in den Blick, so lassen sich grob drei Phasen unterscheiden:

  • Phase 1 (1960–1980) – Heroisches Management: In dieser Phase findet man Verhaltens- und Tugendregeln für Führungskräfte. Nicht nur implizit ging man dabei von der Vorstellung aus, dass das Gelingen der Kooperation in Organisationen vornehmlich und in allererster Linie von den Führungskräften und deren sachgemäßer, aber auch entschlossener Gestaltung und Steuerung von Rahmenbedingungen und Abläufen abhängig sei – ein nicht vollständig falscher, aber doch unvollständiger Gedanke. Auch in der gesellschaftlichen Praxis dominierte in dieser Phase das Bild des „patriarchalischen“ Leiters. Man dachte zudem in Zuständigkeiten und Organigrammen und erprobte Motivations- und Sanktionstechniken sowie Kennzahlsysteme.
  • Phase 2 (1980–2000) – Organisationslernen: In dieser Phase wurden in stärkerem Maße Konzepte des Organizational Learning (z. B. des Massachusetts Institute of Technology (MIT) Organizational Learning Centers) rezipiert, und man begann besser zu verstehen, dass das Gelingen von Führung in Organisationen letztlich davon abhängt, ob und inwieweit Führungskräfte dazu in der Lage sind, die strukturellen und kulturellen Aspekte einer Organisation zu gestalten und im Prozess zu moderieren (Organisationsentwicklung). Diese Phase radikalisierte die frühen Einsichten industriesoziologischer Arbeiten, dass es die weichen Faktoren (human relations) des Gesehenwerdens und der erlebten Wertschätzung seien, welche letztlich determinieren, ob und inwieweit Führungshandeln organisational wirksam werden kann oder nicht. In diese Phase fällt auch die zunehmende Bedeutung der Themen Unternehmens­kultur und Qualitätssicherung (Qualität).
  • Phase 3 (2000–2020) – Postheroisches Management: In dieser dritten Phase des Führungsdenkens wurde wieder stärker auf die Persönlichkeit der Führungskräfte fokussiert, und man begann genauer zu erforschen, ob und inwieweit deren innere Bilder sowie biografisch verankerten Erfahrungen (Biografie) ihr aktuelles Führungshandeln bestimmen und auch eingrenzen. Führungskräfteentwicklung bzw. F. wird in dieser Phase stärker als ein inner job verstanden, bei dem es darum geht, die Selbstreflexion und auch Selbstrelativierung von Führungskräften zu stärken, damit sie mehr und mehr in die Lage versetzt werden, sich von der Vergangenheit zu lösen und „von der Zukunft her“ (Scharmer, 2009), d. h. von den Möglichkeiten auch disruptiver Neuerungen her (Innovation), zu führen.

Von Führungskräften sind v. a. drei Kompetenzfelder (Kompetenz) abzudecken, um ihre Funktionen erfüllen zu können: die Fachkompetenz, die Organisationskompetenz und die persönliche Kompetenz. Je nach Führungsebene verschieben sich die erforderlichen Anteile dieser drei Kompetenzfelder nach dem Prinzip: Je höher die Ebene ist, desto wichtiger werden die Organisationskompetenz und die persönlichen Kompetenzen, und in der Fachkompetenz wird Überblick, Generalisierung und Einordnung bedeutender.

Die Fachkompetenz ist je nach Aufgabe und Tätigkeitsfeld der Organisation verschieden. In Einrichtungen der Erwachsenenbildung umfasst sie Kompetenzen im Bereich von Lehren und Lernen, von Beratung und Anleitung (Beratung im Kontext lebenslangen Lernens), von Werbung und Ansprache, von Lehrplanung, Programmplanung und Curriculumentwicklung (Curriculum), von Didaktik und Methodik. Für die hauptberuflich Planenden in Einrichtungen der Erwachsenenbildung kommen hier alle Anforderungen hinzu, die in der Auswahl, Anleitung, Betreuung und Begleitung nebenberuflicher Lehrkräfte liegen.

Die Organisationskompetenz betrifft Felder wie Planung und Entwicklung der Organisationsstruktur, Management der Organisationskultur, Personalrekrutierung, Personalführung und Personalentwicklung, Öffentlichkeitsarbeit, Repräsentation, Kommunikation, Marketing, Kosten- und Leistungsrechnungen (Controlling), Unternehmensstrategie, Rechtsfragen, Marktanalysen, Netzwerke und Kooperationen. Es sind vier zentrale Kompetenzen, die für Führungspersonen erforderlich sind:

  • Personalführung: Dazu gehören Auswahl, Anleitung, Entwicklung und Förderung ebenso wie Kontrolle, Anweisungen und Delegationen. Für das Human Resource Management sind insb. Trainings- und Fortbildungsmaßnahmen (Fortbildung) von Bedeutung, auch die Passung von Personen und Arbeitsplätzen, die Gestaltung lernförderlicher Arbeitsumgebungen, Systeme von Belohnung und Sanktionen und Karriereplanungen. Aber auch Konfliktmanagement (Mediation – Konfliktberatung) und das begleitete Outsourcing von Mitarbeitenden zählen zur Personalführungskompetenz.
  • Organisationsstruktur: Aufbau und Entwicklung einer funktionalen Organisationsstruktur sind zentrale Kompetenzen von Führungskräften. Die Planung und Umsetzung von Ablauforganisationen, Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Entscheidungskompetenzen sind Kompetenzen, die insb. auf höheren Leitungsebenen im Mittelpunkt stehen.
  • Wirtschaftlichkeit: Die betriebswirtschaftliche Steuerung der Organisation ist auf Führungsebenen grundlegend. Dazu gehören Kompetenzen in Kosten- und Leistungsrechnung, investiven und innovatorischen Kalkulationen, Planungs- und Budgetrechnungen, Kennzahlen, Mittelakquisition und Mittelallokation. Auch wenn insb. in pädagogischen Kontexten für diese Aufgaben spezifisch qualifizierte Fachkräfte beschäftigt oder extern eingekauft werden, ist doch die Kompetenz zum zielgerichteten Umgang mit dieser organisationsrelevanten Ebene notwendig.
  • Wirkungsanalyse: Zur Steuerung einer Organisation, insb. auf der obersten, strategisch relevanten Ebene, sind Kompetenzen im Bereich der Wirkungsanalyse von Bedeutung. Dazu gehören bspw. kohärente Verfahren der Evaluation, der Bedarfs- und der Marktanalyse (Bildungsbedarfsanalyse – Bildungsbedarfserschließung) und der Umsetzung in Leitbild und Mission der Organisation. Die strategische Ausrichtung einer Organisation wird stark von den Führungspersönlichkeiten definiert und geprägt, die ihre entsprechenden Aktivitäten auf eine evidenzbasierte Grundlage stellen ­müssen.

Führungserfahrungen werden in der Führungstätigkeit gesammelt, Wissen und Handlungsdimensionen für eine kompetente Führungstätigkeit müssen im Rahmen der F. erlernt werden. In der Erwachsenen- und Weiterbildung gibt es vielzählige Angebote zum berufsbegleitenden Erlernen dieser Kompetenzen; auch in einigen erwachsenenpädagogischen Studiengängen sind mittlerweile entsprechende Module vorgesehen. Zur Professionalität von Führungskräften zählen hier insb. Fähigkeiten wie fachliches Know-how anwenden oder nutzen zu können, das (jeweilige) Gegenüber würdigen zu können, glaubwürdig argumentieren zu können, den visionären Kontext erläutern und verlebendigen zu können, alternative Vorschläge provozieren und prüfen zu können, Beteiligung gewährleisten und mit Grenzen umgehen zu können, Kriterien des Erfolgs festlegen und anwenden zu können sowie internes Ideenmanagement realisieren zu können (Arnold, 2014).

Auch für den dritten Kompetenzbereich, die persönlichen Kompetenzen, gibt es passende Angebote. Gerade bei Führungspersonen sind persönliche Kompetenzen unabdingbar. Sie befinden sich – wie Lehrende im Klassenraum – unter steter Beobachtung und Kontrolle der geführten Personen. Persönliche Kompetenzen sind in zweierlei Hinsicht erforderlich: Zum geht es um die Authentizität der Führungsperson; mit der Führung erfüllt man – systemtheoretisch betrachtet – zwar eine Rolle, aber sie ist authentisch zu erfüllen und muss zu den Aspekten der Person passen. Zum anderen geht es um ein Verhalten, das Vertrauen ermöglicht und Vertrauen schafft; hierbei sind z. B. Verlässlichkeit und Berechenbarkeit wichtig. Dieser Kompetenzbereich setzt insb. die Fähigkeiten der Reflexion und Selbstreflexion voraus (Persönlichkeitsbildung), die entsprechend geschult werden müssen.

Die Führungsdebatte wandte sich spätestens seit den 1990er Jahren stärker von der impliziten Überschätzung der Führungskraft sowie deren Möglichkeiten zur zielwirksamen Intervention ab und begann, Führung in ganzheitlichen Kontexten und systemischen Wechselwirkungen (System) neu zu denken – nämlich als eingebettet in Orga­nisationen und die sozialen Stoffe, die diese zusammenhält, und somit als Ausdruck subjektiven Gewordenseins, welches die Akteure mit je spezifischen inneren Strukturbesonderheiten ausstattet, ihre Welt zu sehen und auszuhalten (Deutungsmuster). Dennoch ist auch in dieser systembezogenen Sichtweise das Führungshandeln von großer ­Bedeutung.

F. tritt dabei als ein multidimensionaler Prozess in den Blick, bei dem es um die Aneignung professioneller Kenntnisse und Fähigkeiten (Steuerungs- und Interventionswissen), aber auch um den Umgang mit anderen (soziale und Integrationskompetenzen) sowie um Selbst- und Gestaltungskompetenzen geht. Programme einer zeitgemäßen Vorbereitung auf die Führungsrolle bzw. auf den Umgang mit Führung sollte deshalb die Förderung einer kognitiven Professionalität (zur Gestaltung lernender Organisationen) ebenso zum Gegenstand haben wie die Förderung einer emotionalen Selbstreflexivität (durch Erleben und Transformation des Selbst). Mit Ersterer lernen Führungskräfte, ihre Stellungnahme zur Welt sichtbar zu leben, Letztere befähigt sie dazu, ihre Stellungnahme zu sich integrierend leben zu können (Arnold, 2014, S. 154).

Zur emotionalen Selbstreflexivität von Führungskräften (Emotion – emotionale Kompetenz) zählen insb. Fähigkeiten wie eigene emotionale Zumutungen gegenüber Mitarbeitenden, Kunden usw. vermeiden zu können, die Sorgen anderer wahrnehmen und ggf. Rücksicht nehmen zu können, Anerkennung ausdrücken zu können, im Einklang mit den tiefen Fragen des Lebens leben und führen zu können, verzeihen und loslassen zu können, Dinge nicht persönlich nehmen zu können (außer den eigenen Eindrücken und Reaktionen), nachgeben und nachsetzen zu können sowie Energie ausdrücken und verbreiten zu können.

Eine F., der es gelingt, diese Kompetenzen in Führungskräften zu fördern, folgt notwendigerweise einer reflexiven Erwachsenendidaktik. Da das wirksame und verantwortliche Verhalten in – auch konfliktreichen oder völlig ungewohnten – Situationen in starkem Maße von der Persönlichkeit sowie den kreativen gestalterischen Kompetenzen (Kreativität) der Führungsverantwortlichen abhängig ist, kann F. auch nicht als „Crashkurs“ oder als Vermittlung neuester Techniken organisiert werden. Erforderlich sind vielmehr längerfristige Formen des Coachings, aber auch berufsbegleitende Angebote einer systematischen wissenschaftlichen Weiterbildung. Erforderlich ist dabei auch eine Selbstreflexion der eigenen inneren Führungsbilder, da F. stets auch eine kontinuierliche Transformation biografisch gewachsener, eingeübter und subjektiv „bewährter“ (aber auch festlegender und einengender) Deutungs- und Emotionsmuster ist (transformative Erwachsenenbildung). Diese gilt es, in dichtem Erleben aufzudecken, zu öffnen und zu erweitern – sollen Führungskräfte zukünftig in der Lage sein, die Organisationen der modernen Gesellschaft im Hinblick auf deren Möglichkeiten und nicht länger in Abhängigkeit ihrer eigenen inneren Möglichkeiten in die Zukunft zu führen.

Literatur

Arnold, R. (2021). Agile Führung aus Geschichten lernen. Heidelberg: Carl-Auer.

Arnold, R. (2014). Leadership by personality. Von der emotionalen zur spirituellen Führung. Ein Dialog. Wiesbaden: Springer.

Buchen, H. & Rolff, H.-G. (Hrsg.). (2016). Professionswissen Schulleitung (4., überarb. u. erw. Aufl.). Weinheim: Beltz.

Göhlich, M., Weber, S. M., Schöer, A. et al. (2014). Forschungsmemorandum Organisationspädagogik. ­Berlin: DGfE.

Herbrechter, D. (2018). Organisation und Führung in institutionellen Kontexten der Weiterbildung (Reihe Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung, Bd. 40). Bielefeld: wbv Publikation.

Nuissl, E. (2021). Operatives Bildungsmanagement (Postgraduelle Fernstudiengänge Human Resources, Erwachsenenbildung, Studienbrief EB0820). Kaiserslautern: TU Kaiserslautern.

Scharmer, C. O. (2009). Theorie U. Von der Zukunft her führen. Presencing als soziale Technik. Heidelberg: Carl-Auer.

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