Entwicklungspsychologie des Erwachsenenalters

Marcus Hasselhorn & Cora Titz

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-074

Die E. des Erwachsenenalters beschäftigt sich mit altersbezogenen Veränderungen im Erleben und Verhalten von Menschen nach der Adoleszenz bis zum Lebensende sowie mit den Bedingungen und Möglichkeiten der Beeinflussbarkeit dieser Veränderungen. Bevorzugt untersuchte Erlebensbereiche sind Kognition, Emotion sowie sensorische und sensomotorische Funktionen. Die Beschreibung und Erklärung von Veränderungen bezieht sich einerseits auf intraindividuelle Entwicklungsverläufe (also Verläufe innerhalb einer Person), andererseits auf interindividuelle Unterschiede in den intraindividuellen Entwicklungsverläufen (also Unterschiede in diesen Verläufen zwischen Personen).

Darauf, dass Entwicklung ein lebenslanger Prozess ist, der Gewinne ebenso wie Verluste einschließt, im soziokulturellen Kontext zu sehen und beeinflussbar ist, machte schon Nicolaus Tetens 1777 aufmerksam. Erst in den letzten ca. drei bis vier Jahrzehnten rückte jedoch das Erwachsenen- neben dem Kindesalter in den Fokus der E., u. a. aufgrund des demografischen Wandels und der höheren Lebenserwartung von Menschen sowie den veränderten gesellschaftlichen Anforderungen (sozialer Wandel).

Als „Motoren“ für die Entwicklung im Erwachsenenalter werden biologische Veränderungen und die Bewältigung normativer (regelhafter) und nicht-normativer (individueller) Lebensereignisse angesehen (z. B. Eintritt in Berufsleben oder Rentenalter, Elternschaft oder auch Scheidung, Bankrott).

Die Entwicklung der Kognition im mittleren und hohen Erwachsenenalter scheint gleichermaßen durch fünf Faktoren beeinflusst zu werden: den Lebensstil, das Bildungs­niveau, die Arbeitsumgebung, das Training einzelner Ressourcen und die Orchestrierung, also Bündelung von Ressourcen. Bei Erwachsenen mittleren Alters (etwa 40 bis 65 Jahre) ist im Vergleich zu anderen Altersgruppen die weitere Entwicklung kognitiver Fähigkeiten offenbar am stärksten durch die jeweiligen Umweltanforderungen bestimmt.

Insgesamt kommt es zwar mit steigendem Lebensalter zu einem Abbau kognitiver Ressourcen, wie einer verlangsamten Reaktions- und Wahrnehmungsgeschwindigkeit und einem Nachlassen des Gedächtnisses. Die altersbezogenen Veränderungen sind jedoch keineswegs uni-, sondern multidirektional. So gibt es in der Intelligenzentwicklung im Erwachsenenalter sogar Zugewinne, z. B. an kulturellen Wissensbeständen (Wissen). Eine auch im höheren Lebensalter gegebene Plastizität kognitiver Funktionen ermöglicht die Aufrechterhaltung und teilweise sogar Steigerung bspw. von Gedächtnisleistungen durch Übung und Training (Altersbildung – Alternsbildung – Altenbildung).

Mit zunehmendem Lebensalter nimmt der Zusammenhang zwischen sensomotorischen und kognitiven Leistungen zu. Schon für 40- bis 50-Jährige konnte eine Abnahme in der Gedächtnisleistung festgestellt werden, wenn gleichzeitig motorische Aufgaben durchgeführt wurden (z. B. durch einen Parcours gehen und dabei eine Gedächtnisaufgabe lösen), und es gibt Hinweise, dass körperliche Betätigung das Risiko eines kognitiven Abbaus reduzieren kann (Jansen & Richter, 2016).

Theorien zur Entwicklung von Emotionen und von Selbstregulation im Erwachsenenalter, für die auch empirische Evidenzen vorliegen, gehen davon aus, dass auf der Verhaltensseite die aktive Selektion ein zentraler Einflussfaktor auf Emotionen und Wohlbefinden im Alter ist. Dazu gehört die Konzentration auf emotional bedeutsame Ziele und Beziehungspartner, aber auch die Optimierung (noch) vorhandener Ressourcen sowie die Fähigkeit zur Kompensation bei Verlusten.

Für die Bildungspraxis kann die Entwicklung im Erwachsenenalter eine Anpassung von Lernumgebungen und Fortbildungen bedeuten, z. B. längere Lern- und Erholungs­phasen und häufigere Wiederholungen. Das Leistungsspektrum Älterer ist anders als das Jüngerer. Die Entwicklung der Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmender wird entscheidend von den Anforderungen des Arbeitsumfelds beeinflusst, und es kommt auf eine Passung von Leistungsvoraussetzungen und -anforderungen an.

Literatur

Brandstädter, J. & Lindenberger, U. (Hrsg.). (2007). Entwicklungspsychologie der Lebensspanne: Ein Lehrbuch. Stuttgart: Kohlhammer.

Jansen, P. & Richter, S. (2016). Kann Bewegung tatsächlich vor einer Demenz schützen? Sport-Orthopädie –
Sport-Traumatologie
, 32(1), 60–66.

Lang, F. R., Martin, M. & Pinquart, M. (2012). Entwicklungspsychologie – Erwachsenenalter (Reihe Bachelor­studium Psychologie, Bd. 12). Göttingen: Hogrefe.

Mietzel, G. (2012). Entwicklung im Erwachsenenalter (Lehrbuch). Göttingen: Hogrefe.

Emotion – emotionale Kompetenz
Erfahrungen – Erfahrungsorientierung