Deutscher Bildungsrat

Ekkehard Nuissl

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-062

Der Deutsche B. ist die Nachfolgeinstitution des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen (1953–1965). Er wurde durch ein Verwaltungsabkommen der Regierungen der Länder und der Bundesregierung vom 15. Juli 1965 gegründet. Er erhielt den Auftrag, Bedarfs- und Entwicklungspläne für das deutsche Bildungswesen zu entwerfen, die den Erfordernissen des kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens entsprechen und den zukünftigen Bedarf an ausgebildeten Menschen berücksichtigen, Vorschläge für die Struktur des Bildungswesens zu machen, den Finanzbedarf zu berechnen sowie Empfehlungen für eine langfristige Planung auf verschiedenen Stufen des Bildungswesens auszusprechen. In Abgrenzung zu dem seit 1957 tätigen Wissenschaftsrat beschränkte sich seine Tätigkeit auf den nicht-hochschulischen Bereich von der Früherziehung bis zur Erwachsenen- und Weiterbildung. Der Deutsche B. arbeitete in drei Amtsperioden von 1966 bis 1975.

Der Deutsche B. bestand aus der Bildungskommission, der elf von den Länderregierungen (damals nur Westdeutschland), vier von der Bundesregierung und drei von den kommunalen Spitzenverbänden entsandten Expertinnen und Experten angehörten, sowie der Regierungskommission, die aus Vertreterinnen und Vertretern der Länder und des Bundes mit jeweils elf Stimmen bestand. Die Empfehlungen des Deutschen Bildungsrats wurden von der Bildungskommission erarbeitet, die von einer eigenen Geschäftsstelle mit ca. 30 Angehörigen sowie durch zahlreiche externe Gutachten unterstützt wurde. Die Bildungskommission arbeitete unabhängig von der Regierungskommission.

Die Gründung und Arbeit des Deutschen Bildungsrats stand im historischen Kontext der Mitte der 1960er Jahre diagnostizierten Probleme des deutschen Bildungssystems („Bildungskatastrophe“), die sich insb. auf die unzureichende Ausschöpfung von Bildungsreserven und die unzulängliche Passung der Bildungsbereiche zu den Anforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft bezogen. Die Arbeit des Deutschen Bildungsrats war eng verbunden mit dem 1963 gegründeten Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (MPIB) in Berlin. Hellmut Becker, Initiator des MPIB und einer der drei Direktoren, war stellvertretender Vorsitzender der Bildungskommission. Friedrich Edding, ebenfalls Direktor des MPIB, gehörte der Kommission während der ersten Amtsperiode an.

Die Empfehlungen des Deutschen Bildungsrats (insb. der „Strukturplan für das Bildungswesen“, 1970) richteten sich v. a. auf die Gestaltung des Schulsystems (d. h. auf die Überwindung des dreigliedrigen Schulsystems), die Anerkennung der Berufsbildung für den Hochschulzugang, die Anerkennung der Weiterbildung als vierten Bereich des Bildungswesens, die Erhöhung von Abiturienten- und Studierendenzahlen sowie generell auf einen „Aufstieg durch Bildung“. Viele der Empfehlungen des Deutschen Bildungsrats fanden in den folgenden Jahren und Jahrzehnten Eingang in die Realität des Bildungssystems (Weiterbildungssystem) in der Bundesrepublik Deutschland, jeweils abhängig von der politischen Gemengelage in den Ländern und im Bund. Faktisch wurden in den letzten 40 Jahren eine Reihe von Empfehlungen des Strukturplans nach und nach in den einzelnen Ländern umgesetzt (z. B. der Ausbau der Früherziehung oder der Weiterbildung).

Mit der Bildung der sozialliberalen Koalition im Bund 1969 reduzierten die CDU/CSU-­regierten Bundesländer ihre Mitwirkung an Reformvorhaben (Bildungsreformen). Die Umsetzung des weitgehend auf den Empfehlungen des Deutschen Bildungsrats basierenden ersten „Bildungsgesamtplans“ der Bund-Länder-Kommission für Bildungs­planung scheiterte 1973 sowohl an inhaltlichen Differenzen zwischen CDU/CSU und SPD als auch an der zunehmenden Betonung der alleinigen Länderzuständigkeit im Bildungswesen. In ihrer letzten Veröffentlichung, dem „Bericht ʼ75“, fasste die Bildungskommission die Bildungsreformdebatte des zurückliegenden Jahrzehnts zusammen. Ein Einvernehmen über die parteipolitischen Barrieren war jedoch nicht mehr zu erzielen.

Es war der befürchtete Einfluss des Bundes, der 1975 zur Weigerung Baden-Württembergs führte, die Arbeit des Deutschen Bildungsrats fortzuführen. Insb. die Empfehlung „Zur Reform von Organisation und Verwaltung im Bildungswesen. Teil 1: Verstärkte Selbstständigkeit der Schule und Partizipation der Lehrer, Schüler und Eltern“ von 1973 wurde seitens der CDU-regierter Bundesländer als nicht kompatibel mit der Landespolitik betrachtet. Während der Deutsche B. seine Tätigkeit daraufhin einstellte, wurde das Bund-Länder-Abkommen über den ebenfalls aus zwei „Kammern“ bestehenden Wissenschaftsrat dahingehend geändert, dass seine Wissenschaftskommission keine selbstständigen Empfehlungen mehr veröffentlichen durfte. Eine regierungsunabhängige Bildungsberatung wurde seitdem nicht wieder aufgenommen, obwohl viele Probleme der Zusammenarbeit von Bund und Ländern weiterbestehen, v. a. auch wegen der unterschiedlichen politischen Verantwortlichkeiten in den Ländern. Ein angedachter „Nationaler Bildungsrat“ kam daher nicht zustande.

Literatur

Deutscher Bildungsrat. (Hrsg.). (1970). Strukturplan für das Bildungswesen. Stuttgart: Ernst Klett.

Deutscher Bildungsrat. (1975). Die Bildungskommission: Bericht ʼ75. Entwicklungen im Bildungswesen. Stuttgart: Ernst Klett.

Deutscher Bildungsrat. (1974 [1969]). Begabung und Lernen (Gutachten und Studien der Bildungskommission 4, hrsg. v. H. Roth, 9. Aufl.). Stuttgart: Ernst Klett.

Hüfner, K. & Naumann, J. (1977). Konjunkturen der Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland (Bd. 1: Der Aufschwung 1960–1967). Stuttgart: Ernst Klett.

Hüfner, K., Naumann, J., Köhler, H. & Pfeffer, G. (1986). Hochkonjunktur und Flaute. Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1967–1980. Stuttgart: Klett-Cotta.

Deutscher Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen
Deutscher Volkshochschul-Verband