Anita Pachner
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-054
Im alltäglichen Sprachgebrauch werden C. und „Lehrplan“ häufig synonym verwendet. Das C. legt ähnlich dem Lehrplan die Inhalte und Ziele eines systematischen → Angebots oder → Programms mehrerer Lerngelegenheiten fest und beschreibt detailliert → Lehr-Lern-Ziele sowie den Ablauf von Lehr-Lern-Prozessen. Im Unterschied zum (schulischen) Lehrplan wird das C. aber nicht von vorgegebenen Inhalten her gedacht, sondern auf der Grundlage einer Analyse wichtiger Verwendungssituationen der → Lernenden entwickelt. Durch die begriffliche Gleichsetzung von C. und „Lehrplan“ werden folglich bedeutende Aspekte des Gesamtkonzepts der Curriculumentwicklung ausgeklammert (Niethammer et al., 2014).
Vertreterinnen und Vertreter der Curriculumtheorie kritisierten Anfang der 1970er Jahre an traditionellen Lehrplänen (z. B. der Schule) zum einen die Formulierung normativ überhöhter Bildungsziele in den Präambeln dieser Lehrpläne, die sich in den zu vermittelnden Inhalten kaum widerspiegelten, und zum anderen die starke Stofforientierung und damit die Festschreibung eines Fächerkanons. Ein C. dagegen wird ausgehend von den Lernanforderungen in einer → Lebenswelt entwickelt. Im Zuge der Curriculumreform wurde somit ein stärkerer Bezug zur Lebenswelt der Lernenden, Praxisrelevanz und Kompetenzorientierung (→ Kompetenz) des Lernens gefordert.
Nach Robinsohn (1972), dem Begründer der Curriculumtheorie, soll die Curriculumentwicklung folgende Schritte umfassen: (1) empirische Analyse (beruflicher und privater) Verwendungssituationen; (2) Ableitung erforderlicher → Qualifikationen; (3) Auswahl entsprechender Curriculuminstrumente und -elemente (→ Inhalte – Themen; → Methoden; → Medien in Lehr-Lern-Prozessen); (4) ständige → Evaluation der Lerneffekte, d. h. der besseren Bewältigung der betreffenden Lebenssituation durch die Lernenden; ggf. (5) entsprechende Revisionen des Curriculums. Dieses Modell zeichnet sich durch die Fokussierung auf den Entwicklungsprozess des Curriculums unter Einbezug der Betroffenen aus und wurde von Siebert (1974) auf die Erwachsenenbildung übertragen. Siebert ergänzt das Verfahren Robinsohns v. a. um drei Aspekte: die Analyse der Lernvoraussetzungen und -bedürfnisse, die Konsequenzen für das Lehrverhalten (→ Lehren) und die institutionellen Konsequenzen. Ferner spielt die interne und externe Evaluation im Zusammenhang mit der Qualitätssicherung (→ Qualität) eine wichtige Rolle, da sie einen iterativen Prozess der Curriculumentwicklung ermöglicht (Niethammer et al., 2014; Siebert, 1974).
Insgesamt wurden die hohen Erwartungen an die Curriculumreform kaum erfüllt. Zwar verschob sich im Zuge der Curriculumdiskussion der Fokus von einer Überbetonung der Lernstoffe hin zu den Lernzielen. Die Ableitung von Lernzielen wurde in der Bildungspraxis jedoch häufig verkürzt auf den Einsatz technologischer Verfahren der Lernzieldefinition und -stufung sowie auf das Erstellen von Lernzielkatalogen, die aus ihrem Begründungszusammenhang gerissen waren und eher eine Fremdbestimmung des Lernens zur Folge hatten. Diese Entwicklung lief dem von Robinsohn formulierten „Richtziel Mündigkeit“ gänzlich zuwider. Gegengesteuert werden sollte durch einen Verzicht auf ein „geschlossenes C.“ zugunsten einer „offenen Curriculumentwicklung“, die die Betroffenen aktiv in den Entwicklungsprozess einbezieht. Ein gelungenes Beispiel hierfür ist die Alphabetisierungsdidaktik von Paulo Freire (→ Alphabetisierung – Grundbildung; → generative Themen).
Der wichtigste Beitrag der Curriculumentwicklung für die Erwachsenenbildung ist in der Akzentverschiebung von der fachlichen Stofforientierung zur zielgruppenspezifischen Handlungsorientierung zu sehen (→ handlungsorientierte Didaktik). Bedeutsam ist dabei, die jeweiligen institutionellen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen und das Modell entsprechend zu adaptieren (Niethammer et al., 2014). Einige Prinzipien der Curriculumentwicklung sind nach wie vor aktuell, z. B. Orientierung an Verwendungssituationen und Lebensweltbezug (→ Lebenswelt), situiertes Lernen, Vermittlung von → Schlüsselqualifikationen, Verknüpfung von Qualifikation und → Bildung sowie Kompetenzorientierung. In der Bildungspraxis kommt sie dem Bedürfnis der → Teilnehmenden nach alltagspraktischen, situationsbezogenen und verwertbaren Qualifikationen entgegen.
Literatur
Niethammer, C., Koglin-Hess, I., Digel, S. & Schrader, J. (2014). Herausforderung Curriculumentwicklung: Ein konzeptioneller Ansatz zur Professionalisierung. Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 9(2), 27–40.
Robinsohn, S. B. (1972). Bildungsreform als Revision des Curriculum. Neuwied: Luchterhand.
Siebert, H. (1974). Curricula für die Erwachsenenbildung. Braunschweig: Westermann.