Bildungsbedarfsanalyse – Bildungsbedarfserschließung

Simona Sava

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-035

Ba. und Be. sind Begriffe zur Beschreibung des Verhältnisses von Weiterbildungsangebot (Angebot) und (potenziellen) Teilnehmenden. Mit der Ba. werden explizit vorhandene Bedarfe und Bedürfnisse erfasst und analysiert, mit der Be. nicht artikulierte und latente Bedürfnisse geweckt und bewusst gemacht. „Bedarf“ wird gewöhnlich als Lücke zwischen einer bestehenden und einer gewünschten Situation, Leistung oder Norm definiert, „Bedürfnisse“ als subjektive Lernwünsche und Lerninteressen (Lernmotivation – Lerninteresse). Wenn es um Analysen geht, wird gewöhnlich der Begriff „Bedarf“ gewählt, da er als evidenzbasiertes Konstrukt eine größere Belastbarkeit für konkretes Handeln nahelegt.

Die Ba. ist sowohl eine Aufgabe als auch ein Prozess. Sie basiert auf einer systematischen Bedarfsermittlung mithilfe von Erhebungsinstrumenten und ist notwendig, um Bildungsangebote für Erwachsene zu planen und zu gestalten. Gewünschte Reichweite und Bedarfsdimension der Ba. können variieren. So kann die Ba. auf Individuen oder Zielgruppen bezogen sein (Zielgruppenorientierung) oder den gesamten Weiterbildungsmarkt erfassen. Sie wird ebenfalls zur Bewertung des Bildungsbedarfs in Organisationen bzw. auf einzelnen Arbeitsplätzen angewandt. Demgemäß werden mit der Ba. Differenzen zwischen Fähigkeiten und Anforderungen (training needs analysis) oder zwischen Angebot und Nachfrage auf der Basis von quantitativen und qualitativen Daten identifiziert, gewichtet und analysiert. In der praktischen Umsetzung in Weiterbildungsinstitutionen erfolgt die Datenbeschaffung für eine Ba. aus unterschiedlichen Quellen, z. B. aus (v. a. regionalen) Statistiken, aus Berichten und Medien, aber auch aus Gesprächen, Teilnehmerfragebögen und Experteninterviews.

In gegenwärtig durchgeführten Bildungsbedarfsanalysen werden eher die Makroebene fokussiert und vergleichende Darstellungen vorgenommen – bedingt durch die Orientierung an statistischen Daten, an Transparenz und Effektivität und unterstützt durch Large-Scale-Daten supranationaler Organisationen (Large Scale Assessments) wie der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD), der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO), der International Labour Organization (ILO) und des Statistischen Amts der Europäischen Union (EUROSTAT). Sie bieten hilfreiche Referenzen für Bildungsanbieter, da sie die allgemeinen Trends von Bildungsbedarfen aufzeigen. Aber auch aus Fallstudien, aus der Analyse von Motivationsprofilen und aus Befragungen von Nicht-Teilnehmenden sind für Planende und Lehrende in der Bildungspraxis wertvolle Daten zu gewinnen.

Die Nutzung der Analysedaten ermöglicht neue Perspektiven zum Verständnis von erwachsenen Lernenden, ihres Lernverhaltens und ihrer Lernwege. Zunehmend werden auch Analysen von digitalen und informellen Lernformen bedeutsam (digitales Lernen). Die Ba. kann zugleich als ein Teilziel der Qualitätssicherung (Qualität) gesehen werden, denn sie steuert die Genauigkeit, mit der die Bildungsangebote auf die tatsächlichen Bedarfe abgestimmt sind.

Im Gegensatz zu einer Ba. werden mit einer Be. noch unbekannte und möglicherweise unbewusste Bedarfe bei potenziellen Teilnehmenden aufgespürt und sichtbar gemacht. Ein wesentliches Instrument ist hier die sog. Trial-and-Error-Methode, also das Vorhalten von innovativen Angeboten (Innovationen). Das Angebot wird zielgerichtet publiziert und die Resonanz beobachtet, auch wiederholt und über einen längeren Zeitraum.

Eine weit aufwendigere Methode der Be. ist die „aufsuchende Bildungsarbeit“, bei der aktiv die Lebenswelten von Menschen berücksichtigt werden. Sie ist meist verbunden mit der Definition eines Sozialraums (Sozialraumorientierung). Die Be. wird insb. in gesellschaftlichen Problemfeldern angewandt, kann aber auch in Betrieben und Organisationen eingesetzt werden. Sie bedarf eines sensiblen und interaktiven Vorgehens – v. a. dann, wenn individuelle oder soziale Blockaden eine Bildungsteilnahme behindern (z. B. in der Frauen- oder Männerbildung in Migrantenmilieus).

Aus erwachsenenpädagogischer Perspektive wirkt zunächst die Ba. angemessener als eine Be., da sie eine Angebotsentwicklung in unmittelbarer Orientierung an den Bedarfen der konkreten Zielgruppe ermöglicht. Eine ausschließliche Ausrichtung des Angebots an der Nachfrageseite führte jedoch zu einer „Entbildung“ (Wiltrud Gieseke). Darüber hinaus kann „Bedarf“ als etwas Beeinflussbares verstanden werden, sodass dessen Ermittlung und Weckung miteinander verflochten sind. Daher können beide Strategien in der praktischen Handhabung nicht strikt voneinander getrennt werden. Schlutz (2006, S. 45ff.) bezeichnet demgemäß den gesamten wechselseitigen Prozess von „Bedarfserkundung“ und „Bedürfnisweckung“ als „Bedarfserschließung“ und unterscheidet hierbei idealtypisch in eine bedürfnisorientierte und in eine angebotsorientierte Bedarfs­strategie.

Literatur

Fleige, M., Gieseke, W., Hippel, A. von, Käpplinger, B. & Robak, S. (2018). Programm- und Angebotsentwicklung in der Erwachsenen- und Weiterbildung (Lehrbuchreihe Erwachsenen- und Weiterbildung. Befunde – Diskurse – Transfer, Bd. 2, utb 4966). Bielefeld: wbv Publikation.

Mania, E. (2018). Weiterbildungsbeteiligung sogenannter „bildungsferner Gruppen“ – in sozialraumorientierter Forschungsperspektive (Reihe Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung, Bd. 39, zugl. Diss., Univ. Koblenz-Landau, 2017). Bielefeld: wbv Publikation.

Sava, S. (2012). Needs analysis and programme planning in adult education. Opladen: Barbara Budrich.

Schlutz, E. (2006). Bildungsdienstleistungen und Angebotsentwicklung (Studienreihe Bildungs- und Wissenschaftsmanagement, Bd. 4). Münster: Waxmann.

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