Karen Joisten
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-012
A. ist ein Grundbegriff in der Sozialphilosophie und Sozialethik, der von Johann G. Fichte und Georg W. F. Hegel bis hin zu Charles Taylor, Axel Honneth, Judith Butler und Paul Ricœur in jüngster Zeit je spezifisch interpretiert wurde. Der Begriff A. kann allgemein als ein wechselseitiges Verhältnis einer Wertschätzung (in abgeschwächter Weise spricht man auch von „Akzeptanz“) definiert und in unterschiedlichen Hinsichten entfaltet werden: (1) in Bezug auf das wechselseitige Verhältnis zwischen Individuen oder Personengruppen innerhalb von moralischen, rechtlichen, kulturellen und politischen → Systemen und Systemzusammenhängen (politische A.); (2) in Bezug auf die reziproken → Interaktionen zwischen Individuen und der → Gesellschaft (gesellschaftliche A.); (3) in Bezug auf die wechselseitige Beziehung zwischen Personen (personale A.).
Unabhängig davon, in welchen Beziehungsverhältnissen A. zu einem Thema wird, steht sie für eine bejahende, wertschätzende und von Achtung getragene Haltung bzw. Bezugnahme innerhalb des spezifischen Wechselwirkungsverhältnisses, die von beiden Seiten aus eingenommen wird.
In der Erwachsenenbildung hat die gesellschaftliche und die personale A. eine besondere Bedeutung, da in Bildungskontexten die Wirklichkeit nicht in einer theoretisch-abstrakten Weise auf eine Seite (entweder die der Institution oder die des Menschen) reduziert wird, sondern → Bildung aus den Wechselwirkungsverhältnissen heraus verstanden wird. Die personale A. geht aus dem dialektischen Bildungsprozess von gelingender Identifizierung und den Grenzen von Anpassung hervor, die wiederum komplexer mit der gesellschaftlichen A. zwischen Individuen und sozialen Systemen verbunden ist. Die personale zwischenmenschliche Wertschätzung von Personen untereinander kann in wechselseitige gesellschaftliche Akzeptanzweisen zwischen Individuen, Gruppen und Gemeinschaftsformen erweitert werden. So ist A. in persönlicher und gesellschaftlicher Hinsicht die Voraussetzung für die Teilhabe an einem gesellschaftlichen Zusammenleben, das in Bildungsprozessen entwickelt werden kann.
Für den Bildungskontext und damit auch für die → Erwachsenen- und Weiterbildung sind die Ausführungen von Paul Ricœur zur A. von großer Relevanz, auch wenn deren Rezeption in der Erwachsenenbildung noch aussteht. In Ricœurs (2006) Theorie der A. werden drei untrennbar miteinander verbundene Denkwege des Erkennens, des Wiedererkennens und des Anerkanntseins entfaltet. Auf dem ersten Weg kann A. als ein Erkennen gefasst werden. Es ist ein positiver Akt des Identifizierens und Unterscheidens, um ein Etwas im Allgemeinen zu erfassen, das aufgrund von Veränderlichkeit unkenntlich werden kann. In der Ausdifferenzierung von A. als ein Wiedererkennen tritt sie als ein Sich-selbst-Erkennen zum Vorschein, das der Hilfe anderer Menschen bedarf und unabgeschlossen und bruchstückhaft bleibt. In der Entfaltung der Formen der menschlichen Fähigkeiten, die in der Wendung „ich kann“ zum Vorschein treten, eröffnet sich der fähige Mensch den eigenen Bedeutungsraum des Sich-Erkennens in seinen mannigfaltigen Fähigkeiten (→ Selbsterfahrung – Bewusstseinsbildung). Das Wiedererkennen ist – wie bereits beim Erkennen – mit einem Verkennen verbunden, und zwar in der Form einer Selbsttäuschung: Der Irrtum besteht darin, „sich in sich selbst zu täuschen und sich für etwas zu halten, was man nicht ist“ (Ricœur, 2006, S. 318). An dieser Stelle kann sich der dritte Weg der A. im Sinne von Anerkanntsein anschließen, bei dem sich das Subjekt einer Gegenseitigkeitsbeziehung aussetzt. Sie findet sich in den konkreten → Erfahrungen des Menschen, die zwischen dem Kampf um A. und Friedenszuständen vollzogen werden. Auch auf diesem Weg verläuft die Dimension der → Identität parallel zu der der Alterität, wodurch das Verkennen in der Dynamik der A. nicht ausgeschlossen ist, sondern ihr konstitutiv immanent ist.
Mit Ricœur kann eine zentrale Aufgabe der Erwachsenenbildung im Zusammenhang mit einer Bildungstheorie der A. darin gesehen werden, die Alterität auf dem Boden der Identität von Menschen und ihren Interaktionen in je spezifischen Kontexten zu reflektieren. In den Wechselwirkungsverhältnissen des Menschen mit Mitmenschen und mit Gesellschaftsformen wird der angemessene Abstand zum Thema und Untersuchungsgegenstand, der neben Nähe auch Differenz zulässt. Nach Ricœur ist A. in der Erwachsenenbildung mit (Selbst-)Aneignung zusammenzudenken, wobei die Grenzen der Selbsterkenntnis und der Selbstentfaltung im Wechselverhältnis mit Weisen der Alterität gesetzt und graduell verschoben werden können.
Literatur
Honneth, A. (2010). Das Ich im Wir. Studien zur Anerkennungstheorie. Berlin: Suhrkamp.
Ricœur, P. (2006). Wege der Anerkennung. Erkennen, Wiedererkennen, Anerkanntsein. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Siep, L., Ikaheimo, H. & Quante, M. (Hrsg.). (2021). Handbuch Anerkennung (Reihe Springer Reference Geisteswissenschaften). Wiesbaden: Springer VS.