Adressatenforschung

Heiner Barz

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-002

Ziel der A. ist es, u. a. für die Angebots- (Angebot) und Programmplanung verwertbare Informationen über die Interessen und Einstellungen potenzieller Teilnehmender an Weiterbildung zu erhalten. Faktisch finden sich explizit und ausschließlich auf Adressatinnen und Adressaten statt auf Teilnehmende gerichtete Forschungsaktivitäten indessen nur vereinzelt. Folglich taucht die A. auch häufig in begrifflicher Koppelung als „Teilnehmer- und Adressatenforschung“ auf. Diese wiederum steht in engem Zusammenhang mit der Zielgruppenentwicklung: In den 1970er und 1980er Jahren kam es zu vielfältigen Bemühungen um emanzipatorische Zielgruppenarbeit, die sich besonders den Gruppen der sozial Benachteiligten, den Ausländerinnen und Ausländern, Deklassierten, Arbeitslosen, Behinderten, Analphabetinnen und Analphabeten, Frauen sowie Seniorinnen und Senioren zuwandte (Zielgruppenorientierung). Inzwischen hat sich die Teilnehmer- und Adressatenforschung aus der Orientierung auf tatsächliche oder vermeintliche Problemgruppen gelöst und insb. unter Bezug auf das Modell der sozialen Milieus für die Beschreibung der Weiterbildungsorientierungen und -barrieren aller Bevölkerungsgruppen geöffnet.

Nach den Anfängen als „Hörerforschung“ im späten 19. Jh. gibt es seit den 1950er Jahren intensivierte Bemühungen, Daten zum soziodemografischen und sozioökonomischen Status der Teilnehmenden und Adressatinnen und Adressaten, aber auch über Lernpräferenzen und Bildungsbarrieren zu generieren. Im Rahmen der „Göttinger Studie“ wird das soziologische Paradigma am konsequentesten aufgegriffen und die Bildungsaspirationen sowie die konkreten Teilnahmebereitschaften und Einstellungen zur Erwachsenenbildung vor dem Hintergrund sozial-struktureller Differenzierung interpretiert (Regulative der Weiterbildungsbeteiligung; Weiterbildungsmotivation). Für die noch nicht erreichten Adressatinnen und Adressaten der Volkshochschule (vhs) wird bspw. festgehalten: „Mit geringer Wahrscheinlichkeit (ist) aktiver Volkshochschulbesuch zu erwarten bei einer Arbeiterin: Ende fünfzig, verwitwet, Volksschule, katholisch, mit geringem Lohn, in einem Dorf in Rheinland-Pfalz lebend“ (Strzelewicz, Raapke & Schulenberg, 1966). Bereits damals wurde auf die Diskrepanz zwischen einem hohen Bekanntheitsgrad der vhs und einer oft distanzierten Einstellung hingewiesen. Auch das Phänomen der sog. Weiterbildungsschere, wonach zwar ein verbales Bekenntnis zur Notwendigkeit von Weiterbildung in allen Gesellschaftsschichten anzutreffen ist, die reale Weiterbildungsaktivität jedoch stark von der Schichtzugehörigkeit bestimmt wird, wurde schon in den 1970er Jahren thematisiert.

Mit der Fortentwicklung der Sozialstrukturanalyse zur Lebensstilforschung und der Entwicklung empirisch gesättigter Milieubeschreibungen steht ein neues Konzept für die A. zur Verfügung, das seit den 1990er Jahren als Milieuforschung in der Weiterbildung Eingang fand. Während sich die theoretischen Debatten am Theorem der Individualisierung orientieren, sich auf individuelle Aneignungsprozesse fokussieren, die „Biografizität“ jeglicher Bildungskarrieren postulieren ( Biografie) oder die Teilnehmenden als „Konstrukte“ betrachten, stehen aus der Forschungslinie „soziale Milieus und Weiterbildung“ (Barz & Tippelt, 2004, 2007) inzwischen detaillierte und materialreiche Analysen von Weiterbildungsverhalten, -interessen und -barrieren sowie den Herausforderungen an Marketing, Didaktik und Methodik und Ambiente aus der Sicht der verschiedenen Milieus zur Verfügung. Daneben finden sich in den 2000er Jahren weiterhin Bildungsstudien zu Frauen (Gender in der Erwachsenenbildung) und in jüngster Zeit vermehrt zu Seniorinnen und Senioren (Altersbildung – Alternsbildung – Altenbildung) und Eltern (Familienbildung). Auch wurden inzwischen Migrantinnen und Migranten (Migration) verstärkt von der Forschung entdeckt (Barz, 2015).

Methodologisch versucht der Ansatz der A., sowohl die Erschließung subjektiver Deutungsmuster – wie sie z. B. in der sog. Objektiven Hermeneutik (Ullrich Oevermann) propagiert wird – als auch die sozial-statistischen Verteilungsmuster quantitativer Sozialforschung produktiv zu integrieren (Forschungsmethoden).

Literatur

Barz, H. (2015). Einstellungen zu Weiterbildung. Eine Erhebung nach Migrantenmilieus. DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung, 22(2), 35–36.

Barz, H. & Tippelt, R. (Hrsg.). (2004, 2007). Weiterbildung und soziale Milieus in Deutschland (3 Bde.). Bielefeld: W. Bertelsmann.

Strzelewicz, W., Raapke, H. & Schulenberg, W. (1966). Bildung und gesellschaftliches Bewußtsein. Eine mehrstufige soziologische Untersuchung in Westdeutschland (Reihe Göttinger Abhandlungen zur Soziologie und ihrer Grenzgebiete, Bd. 10). Stuttgart: Enke.

Abschlussbezogene Weiterbildung
Akkreditierung