Wissenstransfer – Wissenschaftskommunikation

Peter Brandt

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-301

Wt. und Wk. sind zwei miteinander verwandte Phänomene, die in wissensbasierten Gesellschaften zu Aufgabenfeldern von (spezialisierten) Organisationen werden. Mit Wt. und Wk. werden Kommunikationsprozesse bezeichnet, mittels derer Wissensbestände (Wissen) zwischen gesellschaftlichen Teilbereichen vermittelt und angeeignet werden.

„Wissen“ wird verstanden als die Gesamtheit von Gedächtnisinhalten (Gedächtnis), die „einen Strukturrahmen zur Beurteilung und zur Eingliederung neuer Erfahrungen bietet“ (Davenport & Prusak, 1998, S. 32) und – sozial-kulturell betrachtet – Deutungsschemata erfasst, die Sinn geben und Verhalten steuern (Heidenreich, 2003). Mit „Wissenschaft“ wird das gesellschaftliche Funktionssystem (z. B. Stichweh, 1994) bezeichnet, das gesicherte Erkenntnisse produziert, prüft und verbreitet. Wt. und Wk. werden bislang selten als Aufgabe erwachsenenpädagogischer Praxis betrachtet (z. B. Stimm, 2020), obschon diese Perspektive naheliegt, da sich die Erwachsenen- und Weiterbildung gezielt mit Prozessen der Aneignung und Vermittlung von Wissen beschäftigt.

Wt. bezeichnet die Übertragung von (z. B. wissenschaftlichem) Wissen in einen anderen Kontext als den seines Entstehens. Eine disziplinübergreifend anerkannte Definition gibt es nicht; hierfür sind die Anwendungsfelder des Begriffs zu verschieden. Häufig wird der interorganisationale und interpersonale Transfer von Wissen zwischen Forschung und Praxis (Theorie und Praxis), zwischen Expertinnen bzw. Experten und Laien, zwischen Wissenschaft und Gesellschaft oder zwischen Grundlagenforschung und Anwendungsfeldern (z. B. der Industrie) betrachtet. Im wissenschaftlichen Diskurs über Wt. lässt sich die Tendenz einer Ablösung von Sender-Empfänger-Modellen durch bidirektionale und damit egalitäre Kommunikationsmodelle erkennen.

Die Forschung zum Wt. unterscheidet zwischen „erfolgtem“ und „erfolgreichem“ Transfer: Wt. ist erfolgt, wenn ein Sendeinhalt technisch übermittelt ist. Erfolgreicher Wt. beinhaltet zusätzlich eine Aneignungskomponente – bspw., dass übermitteltes Wissen auch transformiert und in eigene Handlungen integriert wird (z. B. Weber, 2004).

Der Wt. ist heute eine weit verbreitete Leistungsdimension von Wissenschaftseinrichtungen. Hochschulen werden daran gemessen, welche technologischen Innovationen ihre Forschung ermöglicht. Stabsstellen für Wt. arbeiten daher eng mit Gründernetzwerken zusammen. Wt. tritt so als eine dritte Aufgabe neben Forschung und Lehre. In den außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen dient Wt. dem Technologietransfer zur Wirtschaft, der Vermittlung handlungsrelevanten Wissens in verwandte Praxisfelder (z. B. Abteilung Wt. im Deutschen Institut für Erwachsenenbildung) oder – in einer weit gefassten Bestimmung – dem Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Bi­direktionaler Wt. bezieht Praxis in die Generierung von Forschungsfragen ein. Wt. hat dabei mindestens einen zweifachen Nutzen: Er bringt wissenschaftliches Wissen dahin, wo es für die Lösung gesellschaftlicher Probleme benötigt wird, und er legitimiert die Wissenschaftseinrichtung über den Nachweis der Brauchbarkeit des transferierten ­Wissens.

Wo mit Wt. Aktivitäten von Wissenschaftseinrichtungen bezeichnet werden, bewegt man sich zugleich im Bereich der Wk. Unter Wk. versteht man „alle Formen von auf wissenschaftliches Wissen oder wissenschaftliche Arbeit fokussierter Kommunikation, sowohl innerhalb als auch außerhalb der institutionellen Wissenschaft, inklusive ihrer Produktion, Inhalte, Nutzung und Wirkungen“ (Schäfer, Kristiansen & Bonfadelli, 2015, S. 13). Sie umfasst damit Kommunikation in der Wissenschaft (scholarly communication), aus der Wissenschaft und über die Wissenschaft. Folglich kann Wk. verschiedene Funktionen übernehmen: Sie kann für Wissenschaft begeistern, das wissenschaftliche Wissen der breiten Bevölkerung nahebringen (Science Literacy, Popularisierung, Universitätsausdehnung), sowohl Wissenschaftseinrichtungen als auch ihre Leistungen sichtbar machen und Vertrauen herstellen (Öffentlichkeitsarbeit von Stabsstellen in Wissenschaftseinrichtungen) oder eine kritische Kontrollfunktion der Gesellschaft gegenüber der Wissenschaft einnehmen (Wissenschaftsjournalismus von Wissenschaftsredaktionen der Massenmedien). Ähnlich wie beim Wt. wird auch bei der Wk. angestrebt, das Gefälle zwischen institutionalisierter Wissenschaft und der breiten Bevölkerung zu minimieren und einschlägigen Initiativen (z. B. Citizen Science) zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen.

Im Bereich der Erwachsenen- und Weiterbildung wurden Fragen des Wissenstransfers und hinsichtlich der Bedingungen erfolgreicher Wk. in Debatten über das Verhältnis und die Verständigungsschwierigkeiten von Wissenschaft und Praxis bearbeitet. In der jüngeren Vergangenheit stellen sich verwandte Fragen im Kontext des Programms evidenzbasierter Bildungsreform (Bromme, Prenzel & Jäger, 2014). Diskutiert und untersucht werden u. a. die Praxisrelevanz wissenschaftlichen Wissens, die Bedingungen für Innovationen, geeignete Formen der Informationsaufbereitung (Informationsdidaktik) sowie der Verschränkung von professionellem (Erfahrungs-)Wissen von Praktikerinnen und Praktikern und theoriebasierten Deutungsangeboten der Wissenschaft. Handelt es sich bei den außerakademischen Kommunikationspartnern um Akteure der Weiterbildungspolitik, ergeben sich hierbei Überschneidungen zur wissenschaftlichen Politik­beratung.

Literatur

Bromme, R., Prenzel, M. & Jäger, M. (2014). Empirische Bildungsforschung und evidenzbasierte Bildungspolitik. Zeitschrift für Erziehungswissenschaften, 17(4), 3–54.

Schäfer, M. S., Kristiansen, S. & Bonfadelli, H. (2015). Wissenschaftskommunikation im Wandel: Relevanz, Entwicklung und Herausforderungen des Forschungsfeldes. In M. S. Schäfer, S. Kristiansen & H. Bonfadelli (Hrsg.), Wissenschaftskommunikation im Wandel (S. 10–42). Köln: Herbert von Halem.

Davenport, T. H. & Prusak, L. (1998). Wenn ihr Unternehmen wüsste, was es alles weiß: Das Praxishandbuch zum Wissensmanagement. Landsberg/Lech: Moderne Industrie.

Heidenreich, M. (2003). Die Debatte um die Wissensgesellschaft. In S. Böschen & I. Schulz-Schaeffer (Hrsg.), Wissenschaft in der Wissensgesellschaft (S. 25–51). Opladen: Westdeutscher Verlag.

Stichweh, R. (1994). Wissenschaft, Universität, Professionen. Soziologische Analysen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Stimm, M. (2020). Science Slam. Ein Format der Wissenschaftskommunikation aus erwachsenenpädagogischer Perspektive. Bielefeld: transcript.

Weber, T. (2004). Gemeinsames Wissen. Unter welchen Bedingungen wir sagen, dass Wissenstransfer gelungen ist. In S. Wichter & O. Stenschke (Hrsg.), Theorie, Steuerung und Medien (S. 17–32). Frankfurt a. M.: Peter Lang.

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