Weiterbildungspässe

Mona Pielorz & Dieter Gnahs

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-293

Unter dem Begriff W. oder auch „Bildungspässe“ werden Instrumente unterhalb der ordnungspolitischen Ebene verstanden, die der Identifikation, Erfassung und Bewertung bzw. Einstufung von individuellen Erfahrungen, informell und non-formal erworbenen Kompetenzen sowie der Dokumentation von formal erlangten Qualifikationen (Abschlüsse, Zertifikate, Diplome) und damit zugleich der Bewusstmachung und Reflexion des eigenen Handlungsvermögens dienen. Dabei ist festzuhalten, dass nicht alle W. sämtliche Funktionen gleichermaßen erfüllen.

Die W., mit denen Kompetenzen erfasst werden, sind größtenteils biografisch-systematisch aufgebaut (z. B. ProfilPASS, ProfilPASS für die Selbstständigkeit, Berufswahlpass). Im Vergleich zu psychologisch-diagnostischen Verfahren der Kompetenzmessung (z. B. Persönlichkeitstest Big Five, europäischer Sprachtest DIALANG) sind sie jedoch häufig mit Einschränkungen bei der Validität und Reliabilität der Nachweise behaftet. Mithilfe eines biografisch-systematischen Instruments werden die Kompetenzen einer Person in einer Momentaufnahme ermittelt. Die Qualität der Angaben kann gesteigert werden, indem die Erhebungsverfahren freiwillig durchgeführt und von ausgebildeten Beratenden begleitet werden.

Allerdings sind W. eng mit der Biografie der Nutzenden verbunden. Um Datenschutz zu gewährleisten und die Privatsphäre zu schützen, bedingt dies einen sensiblen Umgang mit den ermittelten Daten. Die Nutzung biografisch-systematischer W. birgt aber auch Vorteile: Zur Ermittlung der Ergebnisse wird bei diesen Verfahren vorausgesetzt, dass sich die nutzende Person reflexiv mit sich selbst auseinandersetzt, d. h. mit ihrer Lern- und Arbeitsbiografie und mit ihren familiären, privaten und lebensgeschichtlichen Erfahrungen. Dadurch können Lernprozesse angestoßen und Weiterbildungsinteressen geweckt sowie daran anschließend weitere Entwicklungsprozesse bewirkt werden. So wird durch den dynamischen Prozessablauf, der bei den meisten Weiterbildungspässen in positiv akzentuierender Weise auf die Kompetenzen des Einzelnen ausgerichtet ist, die intrinsische Motivation der Nutzenden gefördert, neue Ziele zu verfolgen. Nicht zuletzt ist als positiver Aspekt die Möglichkeit der Erfassung von nicht nur formal und non-formal, sondern auch von informell erworbenen Kompetenzen zu nennen (Kompetenzerfassung).

Die meisten W. wurden von Bildungsträgern und Weiterbildungseinrichtungen ent­wickelt. Sie gehen sowohl auf die Bedürfnisse, Ansprüche und Vorstellungen der jeweiligen Zielgruppe als auch auf eigene Fragestellungen und damit verbundene Zielstellungen ein. In Deutschland wurden bisher mehr als 50 W. zum Einsatz gebracht. Die W. sprechen teils unterschiedliche Zielgruppen (z. B. ehrenamtlich Tätige, Migrantinnen und Migranten, Arbeitslose) an und/oder verfolgen divergente Ziele (z. B. Berufsorientierung, Dokumentation von Qualifizierungen und Kompetenzen). Viele W., die in Projekten entwickelt wurden, bleiben nicht lange verfügbar, da für sie keine dauerhafte und erfolgreiche Marketingstrategie (Marketing) greift oder sich die Bedarfe der angesprochenen Zielgruppen verändert haben. Diese Gegebenheiten erschweren die Suche nach einem geeigneten, aktuellen und nutzbaren Instrument.

Zu den Beispielen, die sich sowohl im Entstehungszusammenhang als auch in der Dauerhaftigkeit positiv von der beschriebenen Grundtendenz abheben, gehört der ProfilPASS. Er ist im Rahmen eines Verbundprojekts der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) von drei Forschungsinstituten 2004 konzipiert worden und hat noch heute als beratungsbasiertes Instrument Bestand. Zudem ist die ursprüngliche Version im Laufe der Jahre immer weiter spezifiziert worden. So gibt es den ProfilPASS auch online und in verschiedenen Fassungen (z. B. für junge Menschen, in einfacher Sprache).

Meist werden W. in den Institutionen eingesetzt, von denen sie entwickelt wurden – das sind v. a. Bildungsträger und -einrichtungen, darüber hinaus auch Schulen, Universitäten sowie die Bundesagentur für Arbeit. Prinzipiell können W. von jedem genutzt werden, auch von Privatpersonen. In den letzten Jahren werden immer mehr W. auch in einer Online-Version angeboten und teilweise mit anderen Weiterbildungsangeboten verknüpft.

Literatur

Bosche, B., Pielorz, M. & Raven, B. (Hrsg.). (2021). Handbuch für die ProfilPASS-Beratung (Reihe Perspektive Praxis, Bd. 31). Bielefeld: wbv Publikation.

Deutsches Institut für Erwachsenenbildung, Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung & Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung. (2006). Weiterbildungspass mit Zertifizierung informellen Lernens (ProfilPASS). Endbericht der Erprobungs- und Evaluationsphase des BLK-Verbund-Projekts. Frankfurt a. M.: DIE.

Käpplinger, B. (2007). Abschlüsse und Zertifikate in der Weiterbildung (Schriftenreihe des Bundesinstituts für Berufsbildung, zugl. Diss., Humboldt-Univ. zu Berlin, 2006). Bielefeld: W. Bertelsmann.

Münchhausen, G. & Seidel, S. (2016). Anerkennung informell erworbener Kompetenzen. In M. Rohs (Hrsg.), Handbuch informelles Lernen (S. 587–607). Wiesbaden: Springer VS.

Nuissl, E. (2022). Zertifikate und Abschlüsse in der Weiterbildung. In P. Krug & E. Nuissl (Hrsg.), Praxishandbuch WeiterbildungsRecht. Fachwissen und Rechtsquellen für das Management von Bildungseinrichtungen (Loseblattwerk, Kap. 5.0). Neuwied: Luchterhand.

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