Weiterbildungsmarkt

Rudolf Tippelt

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-291

Unter W. ist die Gesamtheit aller Weiterbildungsangebote (Angebot) zu verstehen. Er entfaltet sich in einer stark regional differenzierten und expandierenden Weiterbildungslandschaft. Dabei basiert er sowohl auf einem Anstieg der Weiterbildungsquoten (lt. Ergebnisse des Adult Education Survey) als auch auf einer hohen Anzahl der in der Weiterbildung Beschäftigten (Personal) (lt. Ergebnisse des wbmonitor). Gleichzeitig ist bereits seit den 1980er Jahren eine Vielfalt der Weiterbildungsanbieter und eine deutliche Ausdifferenzierung der Weiterbildungsstrukturen zu beobachten (Schrader, 2011; Tippelt, Eckert & Barz, 1996): öffentlich geförderte Weiterbildung (z. B. Volkshochschulen, kirchliche Bildungswerke, Gewerkschaften); Betriebe, Arbeitgeber, Kammern; Selbsthilfe, zivilgesellschaftliches Engagement; Hochschulen, wissenschaftliche Weiterbildung; private Anbieter. Der W. setzt sich aus allen Angeboten dieser sehr verschiedenen Einrichtungen zusammen.

Die rechtlich verankerten Grundlagen der Weiterbildung sind auch unter den markt­orientierten Bedingungen einzulösen: Pluralität der Träger und Angebote (Pluralismus), Subsidiarität, öffentliche Förderung (staatliche Weiterbildungsförderung) und öffentliche Verantwortung, Selbstbestimmbarkeit von Angebot und Nachfrage, Freiwilligkeit, Allgemeinzugänglichkeit der Angebote, bedarfsgerechtes und flächendeckendes Angebot (für alle Zielgruppen, insb. auch für prekäre Milieus), Ausschöpfung digitaler Bildungsmöglichkeiten für alle Lernenden (digitales Lernen), horizontale Kooperation der Weiterbildungsträger und vertikale Kooperation der Bildungsinstitutionen im Lebenslauf.

Differenzierungstheoretisch gesehen, können die mit dem W. verbundene Spezialisierung und Arbeitsteilung sowohl zu mehr Kooperation und einem adaptive upgrading führen, also zu einer Stärkung des Angebots-, Qualitäts- (Qualität) und Leistungspotenzials, als auch zu mehr Konkurrenz. Die positiven Resultate auf dem W. können sich nur einstellen, wenn sich die ausdifferenzierten Institutionen der Weiterbildung in ein neues System integrieren. So ist das Ziel einer öffentlich geförderten „mittleren Systematisierung“ (Bojanowski et al., 1991) darauf gerichtet, destruktive macht- und geldorientierte Konkurrenzkämpfe zwischen Weiterbildungsanbietern zu mildern, was durch Regulierungsvorschläge (z. B. Kooperationsverpflichtungen, Finanzierungssicherheit) möglich erscheint. Destruktiv hingegen kann der W. wirken, wenn bspw. die Abgrenzung und die Abwertungstaktiken gegenüber anderen Anbietern das Handeln von Institutionen bestimmen. Um solche Gefahren zu vermeiden, wird eine lose Verkoppelung von Systemteilen empfohlen (Bojanowski et al., 1991; Tippelt, Eckert & Barz, 1996). Diese setzt aber die Stärkung einer gemeinsamen Weiterbildungskultur voraus und erfordert zudem aktive Abstimmungsprozesse (Haferkamp, 1990).

Die Annahme einer positiven Entfaltung des Weiterbildungsmarkts ist sehr optimistisch, wenn man bedenkt, dass die Differenzierungsprozesse in der Weiterbildung noch keinesfalls abgeschlossen sind. Vielmehr werden dort immer wieder neue Akteure sichtbar, die sich neuen spezialisierten Zielgruppen, Inhalten und Themen widmen. Auch ist nicht sicher, dass sich eine gemeinsame Kultur der Institutionen bildet und dass die ökonomisch-utilitaristischen Bestrebungen (Wirtschaftlichkeit) einiger Organisationen – gerade der privaten Anbieter – nicht dominant werden. So kommt es in Teilen des Weiterbildungsmarkts zu „Zerfaserungsprozessen“, und die vertikalen und horizontalen Kooperationen zwischen pädagogischen oder pädagogisch wirkenden Institutionen bestehen nicht überall.

Ein integrierter und stabiler W. ist folglich an mehrere Bedingungen gebunden: Aufbringung von Finanzmitteln durch einen Finanzierungsmix (Finanzierung der Weiterbildung), Erhöhung der öffentlichen Förderung für die Weiterbildung und Transparenz der Kosten, weitere juristische Absicherung der Weiterbildungsplanung (z. B. regionale Entwicklungsplanung, Landesausschüsse und Weiterbildungsbeiräte, Weiterbildungsgesetze, Sicherung der Mindestqualität, Abbau ungleicher Teilnahmechancen, Zertifizierung, Supportstrukturen durch Beratung und trägerübergreifende Fortbildung des Personals). Wichtig ist es, die Theoreme und Befunde der Institutionen- und Organisationsforschung mit dem W., den Ordnungsgrundsätzen, der losen Koppelung und Integration sowie der Teilnahmeforschung zu verbinden. Die Gelegenheitsstrukturen des Weiterbildungsmarkts wirken unmittelbar auf die Teilnahme an Erwachsenen- und Weiterbildung ein. Insofern fordert der W. auch aufgeklärte Initiativen und engagierte Handlungen in den Bereichen des professionellen Weiterbildungsmarketings (Marketing) heraus, um sozialer Exklusion entgegenzuwirken.

Literatur

Bojanowski, A., Döring, O., Faulstich, P. & Teichler, U. (1991). Strukturentwicklung in Hessen: Tendenzen zu einer „mittleren“ Systematisierung der Weiterbildung. Mitteilungen der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 24(2), 291–303.

Haferkamp, H. (1990). Differenzierung und Kultur. Soziologischer Optimismus auf dem Prüfstand. In H. Haferkamp (Hrsg.), Sozialstruktur und Kultur (S. 140–176). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Schrader, J. (2011). Struktur und Wandel der Weiterbildung (Reihe Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung, Bd. 17). Bielefeld: W. Bertelsmann.

Tippelt, R., Eckert, T. & Barz, H. (1996). Markt und integrative Weiterbildung. Zur Differenzierung von Weiterbildungsanbietern und Weiterbildungsinteressen. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Weiterbildungsforschung
Weiterbildungsmotivation