Popularisierung

Sigrid Nolda

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-229

Die P. war in der bundesdeutschen Erwachsenenbildung als Relikt einer als überwunden betrachteten wissenschaftsgläubigen Zeit und einer hierarchischen Vorstellung von Lehre lange diskreditiert. In ihren Anfängen galt dagegen die popularisierende Vermittlung von nützlichem und geprüftem Wissen als vornehme Aufgabe der Volksbildung. Die durch die Begeisterung für die Naturwissenschaften beim bürgerlichen Publikum (Daum, 1998) gestützte Universitätsausdehnungsbewegung und die entsprechenden Aktivitäten der Arbeiterbildungsbewegung (Arbeiterbildung) führten im 19. Jh. zu einem Höhepunkt der P. in der Erwachsenenbildung.

In der Weimarer Zeit kam es im Rahmen der intensiven, gestaltenden Erwachsenenbildung zu einer v. a. rhetorischen Abwendung von extensiven Popularisierungsbemühungen, wie sie insb. von der Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung verfolgt wurden. Die Gleichschaltung der Erwachsenenbildung im Nationalsozialismus (Geschichte der Erwachsenenbildung in Deutschland – von 1933 bis 1945) drängte wissens- und wissenschaftsvermittelnde Bestrebungen zurück. Nach dem Krieg sah die ostdeutsche Erwachsenenbildung in der P. von Wissenschaft eine wichtige Aufgabe, die institutionell in der Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse (später: Urania) ihren Ausdruck fand. Demgegenüber knüpfte die westdeutsche Erwachsenenbildung an den popularisierungskritischen Bildungsdiskurs der Weimarer „Neuen Richtung“ an. Einzelne Stimmen, die P. als wesentliche Aufgabe beschrieben oder die Übernahme des amerikanischen Konzepts der Public Science forderten, haben an der allgemeinen Ablehnung einer pauschal als Verflachung empfundenen P. nichts ändern können. Die Kritik an der P. richtete sich – wenn sie nicht generell Wissenschaftsvermittlung als Aufgabe von Erwachsenenbildung ablehnte – gegen die Haltung eines naiven Wissenschafts- und Fortschrittsoptimismus, gegen die Vorstellung eines festen Wissenskanons, gegen ein stoff- und dozentenorientiertes Vortragswesen und nicht zuletzt gegen trivialisierende, dekontextualisierende und lediglich an Sensationen orientierte Aufbereitungen von wissenschaftlichem ­Wissen.

Das Popularisierungsverdikt hat in Verbindung mit der Durchsetzung lebenswelt- (Lebenswelt) und erfahrungsorientierter Ansätze (Erfahrungen – Erfahrungsorientierung) dazu geführt, dass die traditionelle Sicht auf die P. als einen wissenschaftsexternen Vorgang beibehalten und die Frage der Vermittlung wissenschaftlichen Wissens in der Erwachsenenbildung unzureichend behandelt wurde. Das ist insofern problematisch, als natur- und sozialwissenschaftliches Wissen einen immer größeren Einfluss auf immer mehr Lebensbereiche ausübt. Dadurch ist die Erwachsenenbildung gehalten, sich mit Wissenschaft, mit Verwissenschaftlichung als einem gesellschaftlichen Phänomen, mit der Verwendung wissenschaftlichen Wissens in Praxis und Alltag sowie mit der bildungspolitischen Forderung nach der Förderung von public understanding of science and humanities auseinanderzusetzen (Wissenstransfer – Wissenschaftskommunikation). Dies bedarf der Annahme, dass Wissenschaft allgegenwärtig und fragwürdig zugleich ist, dass Informationen weniger vorenthalten als vielmehr in einer Überfülle geboten werden und dass es schließlich nicht um eine reine Rezeption, sondern auch um die kritische Beurteilung der Präsentationen von Wissenschaft und Wissenschaftskritik in der Öffentlichkeit geht. Eine solche reflexive P. wird v. a. in der Umweltbildung und in der Gesundheitsbildung realisiert. Als Aufgabe der politischen Erwachsenenbildung (→ politische Bildung) kann es gelten, die Bedeutung wissenschaftlichen Wissens für die Politik – als Beratungsinstanz, Entscheidungshilfe oder Legitimation – herauszustellen sowie sich der Frage nach den Ursachen wissenschaftsfeindlicher Einstellungen in Teilen der Bevölkerung zu widmen und hierzu Lösungen zu entwickeln.

Die Übermittlung wissenschaftlichen Wissens an Erwachsene findet primär an den Universitäten bzw. in der wissenschaftlichen Weiterbildung (Faulstich & Trumann, 2016), aber auch in informellen Lernumgebungen (Conein, Schrader & Stadler, 2004), in den Massenmedien und über das Internet statt. Neben der Unterhaltungsfunktion geht es hier insb. um die Bearbeitung von Akzeptanz- und Legitimationsdefiziten moderner Wissenschaft, aber auch um die synergetischen Beziehungen zwischen Wissen(schaft) und ihrer P. In der Erwachsenenbildung wird es deshalb zunehmend darauf ankommen, die unterschiedlichen Formen, Bereiche und Funktionen informell vermittelten Wissens (formale – non-formale – informelle Bildung) – darunter auch des sog. Bildungswissens (Nolda, 2004) – als Voraussetzung, Stimulus und Nachbereitung organisierter Wissensvermittlung einzubeziehen.

Literatur

Conein, S., Schrader, J. & Stadler, M. (2004). Erwachsenenbildung und die Popularisierung von Wissenschaft. Probleme und Perspektiven bei der Vermittlung von Mathematik, Naturwissenschaft und Technik. Bielefeld: W. Bertelsmann.

Faulstich, P. & Trumann, J. (2016). Wissenschaftsvermittlung, Popularisierung und kollektive Wissens­produktion, Magazin erwachsenenbildung.at, 27, 02-2–02-9.

Nolda, S. (2004). Zerstreute Bildung. Vermittlungen von Bildungswissen in modernen Medien (Reihe Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung). Bielefeld: W. Bertelsmann.

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