Jörg Dinkelaker
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-219
Mit dem Begriff P. d. M. werden die Merkmale und Strukturen pädagogischer Kommunikation (→ Interaktion – Kommunikation) unter der Bedingung medialer Kommunikation unter Abwesenden fokussiert. Dabei geht es nicht – wie in der Mediendidaktik – darum, wie Pädagoginnen und Pädagogen → Medien in Lehr-Lern-Prozessen angemessen einsetzen können. Es geht auch nicht – wie in der Medienpädagogik – um die Frage, wie Pädagoginnen und Pädagogen Erwachsene zu einer sinnvollen bzw. besseren Mediennutzung befähigen können. Untersucht wird vielmehr, inwiefern und wie sich in Settings der medialen Kommunikation pädagogische Formen ausbilden.
Ausgangspunkt dieser Analysen ist die Annahme, dass mediale Kommunikation dort eine pädagogische Strukturierung erfährt, wo die → Aneignung und Vermittlung von → Wissen als ein zu bearbeitendes Problem zum Thema wird. Sie steht in Verbindung mit der These einer Entgrenzung des Pädagogischen und erlaubt es, die Strukturen medialer Pädagogik sowohl innerhalb als auch außerhalb von Bildungseinrichtungen empirisch zu rekonstruieren. Diese können in Abgrenzung zu Merkmalen der pädagogischen Kommunikation unter Anwesenden (z. B. in Kursen) bestimmt werden. Während das Geschehen in Präsenzveranstaltungen dadurch gekennzeichnet ist, dass Lehrende und → Lernende zur selben Zeit am selben Ort zusammenkommen und sich dabei wechselseitig wahrnehmen, sind Settings der medialen pädagogischen Kommunikation gerade dadurch gekennzeichnet, dass sich Lehrende und Lernende an unterschiedlichen Orten befinden und ggf. auch zu unterschiedlichen Zeiten am Kommunikationsgeschehen beteiligen.
Dies hat weitreichende Konsequenzen für das Verhältnis von Lehr- und Lernaktivitäten. Als ein struktureller Vorteil aus Vermittlungssicht erweist sich gegenüber der pädagogischen Kommunikation unter Anwesenden eine erheblich erhöhte Reichweite der Vermittlungsangebote, da sie vervielfältigt, gespeichert und verbreitet werden können. Für die Aneignungsakteure bedeutet dies allerdings nicht nur eine breite Verfügbarkeit von Vermittlungsangeboten, sondern kann auch mit neuen Zumutungen der Aufmerksamkeits- und Aneignungsbindung verbunden sein.
Mit der Abwesenheit der Lernenden geht die Unsichtbarkeit ihrer Aneignungsaktivitäten einher. Die Auflösung der unmittelbaren wechselseitigen Wahrnehmbarkeit von Vermittlungs- und Aneignungsoperationen führt zu einer partiellen „Freigabe der Aneignung“. So kann die Rezeption medialer Vermittlungsangebote durch die Lernenden inhaltlich selektiv, zeitlich entkoppelt und sozial unbeobachtet stattfinden. Für die Prozessierung medialer pädagogischer Kommunikation stellt diese Unsichtbarkeit ein strukturelles Problem dar, da sich das Pädagogische des Geschehens gerade erst im erkennbaren Aneignungsbezug manifestiert. Dies erklärt die zahlreichen Strategien, in denen Aneignungsaktivitäten medial zur Darstellung gebracht werden. Es werden bspw. Leserbriefe abgedruckt, Höreranrufe ausgestrahlt und Kommentarforen eingerichtet. Ggf. wird Aneignung auch stellvertretend vorgeführt, z. B. wenn der Moderator Fragen stellt, deren Antwort er längst kennt, die aber für das Publikum noch unbekannt sein könnten.
Angesichts der rasanten Entwicklungen im Medienbereich ergeben sich neue Fragen der Analyse einer P. d. M. So wäre bspw. zu untersuchen, wie angesichts der ökonomischen Dynamiken einer verschärften Konkurrenz um Aufmerksamkeit und der zunehmenden Steuerung medialer Vermittlung durch Algorithmen noch angemessen von einer strukturellen Freigabe der Aneignung durch mediale Pädagogik gesprochen werden kann, bzw. wie sich die weiterhin mögliche Selektivität mediengestützter Aneignung zu den neuen Einbindungsansprüchen softwaregesteuerter Vermittlung verhält.
Literatur
Dinkelaker, J. (2013). Einbindung Abwesender. Ordnungen territorial entgrenzter Teilnahme am Lebenslangen Lernen. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 16(4), 713–730.
Kade, J. & Seitter, W. (Hrsg.). (2007). Umgang mit Wissen. Recherchen zur Empirie des Pädagogischen (2 Bde.). Opladen: Barbara Budrich.
Nolda, S. (2004). Zerstreute Bildung. Mediale Vermittlung von Bildungswissen (Reihe Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung). Bielefeld: W. Bertelsmann.