Christiane Schiersmann
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-214
Wird der Prozess einer → Organisationsentwicklung, bei der ausgewählte Bereiche bzw. Dimensionen einer Organisation oder die gesamte → Organisation unter aktiver Beteiligung der Beschäftigten intentional verändert wird, von externen oder internen Beratenden begleitet, so handelt es sich i. e. S. um O.
Die Wurzeln des Konzepts der O. lassen sich bis zu den gruppendynamischen Trainings in den 1940er Jahren zurückverfolgen, die auf den Forschungsarbeiten Kurt Lewins basieren. In Deutschland wurde der Organisationsentwicklung mit ihrem Grundgedanken der Partizipation von Beschäftigten bei organisationalen Veränderungsprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Funktion im angestrebten Demokratisierungsprozess zugeschrieben. Dies schlug sich in Programmen zur Humanisierung der Arbeitswelt nieder. In den 1990er Jahren wurde der Organisationsentwicklung bzw. der O. in der Fachdiskussion eine Krise bescheinigt. Als Grund wurde eine Diskrepanz zwischen einer pragmatischen Praxis und einer als unzureichend kritisierten theoretischen Fundierung konstatiert (Freimuth & Barth, 2011). In den Folgejahren haben sich systemische Ansätze stark verbreitet, wobei sich unterschiedliche konzeptionelle Varianten identifizieren lassen (Schiersmann, 2016).
Seit einiger Zeit hat sich die Veränderungsdynamik weiter beschleunigt, was mit der Chiffre „VUKA-Welt“ erfasst werden soll: Die gesellschaftliche Situation ist durch Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität gekennzeichnet. Von dieser Entwicklung sind nicht nur Produktionsbetriebe, sondern auch Dienstleistungs- und damit auch Weiterbildungsorganisationen betroffen. Daraus resultieren spezifische Problemkonstellationen, die O. im Bereich der → Erwachsenen- und Weiterbildung sinnvoll und dringlich erscheinen lassen: Die Digitalisierung verändert die Arbeitsorganisation in Weiterbildungseinrichtungen ebenso wie die Lernorganisation, bei der technologiebasierte bzw. Blended-Learning-Konzeptionen (→ digitales Lernen) an Bedeutung gewinnen. Die Notwendigkeit zum Umgang mit (kultureller) Heterogenität oder politische Herausforderungen verändern die Bildungsinhalte. Aufgaben wie die systematische Qualitätsentwicklung (→ Qualität) und das Bildungsmonitoring (→ Monitoring) müssen weiterentwickelt werden. Außerdem steht der nur sehr zögerliche Prozess der → Professionalisierung des Weiterbildungspersonals nach wie vor auf der Agenda. Die Dynamik der Umweltanforderungen erfordert eine verstärkte Kooperation und Vernetzung (→ Netzwerke – Kooperationen) und damit auch ein systematisches Netzwerkmanagement – auch über verschiedene Bildungsbereiche hinweg sowie mit anderen Organisationen, z. B. Agenturen für Arbeit oder Sozial- und Kultureinrichtungen.
Angesichts der Dynamik des Wandels lassen sich gegenwärtig und zukünftig Veränderungen weniger langfristig planen und gestalten. Aus diesem Grund sind sog. agile Konzepte (Scheller, 2017) für die Veränderung bzw. Beratung von Organisationen in Mode gekommen. Sie sind jedoch häufig auf methodische Ideen begrenzt, d. h. ihnen fehlt wiederum eine stringente theoretische Fundierung. Außerdem vernachlässigen sie tendenziell die grundlegende Erfahrung der O., dass sich organisationale Veränderungsprozesse, die auch Werte und Einstellungen sowie motivationale und emotionale Dimensionen (→ Emotion – emotionale Kompetenz) betreffen, nicht unbegrenzt beschleunigen lassen. Im Sinne der tradierten Ambivalenz der O. zwischen Stabilität und Wandel wird es zukünftig darauf ankommen, neben dynamischen und disruptiven Veränderungsprozessen auch Phasen oder Bereiche der Stabilität zu gewährleisten, um alle Beteiligten nicht zu überfordern.
Unter systemischer Perspektive (→ systemische Erwachsenenbildung) kann die Rolle der Beratenden nicht als zentrale Figur, sondern eher als die von „Mitspielenden“ charakterisiert werden. Sie sind nicht Expertinnen oder Experten für fachliche Lösungen, wie es in der Unternehmensberatung üblich ist, sondern begleiten mit ihrem Know-how eine lernende Organisation. Hierzu benötigen sie v. a. Prozesskompetenz. Diese umfasst die Fähigkeit, eine angemessene Beratungsbeziehung aufzubauen, die Beratung methodisch kreativ zu gestalten und den Prozess systematisch zu reflektieren sowie → Kompetenzen zum Umgang mit Komplexität und Konflikten (→ Mediation – Konfliktbearbeitung) (Schiermann & Thiel, 2018). Ob darüber hinaus Feldkompetenz, also fachliches → Wissen über und praktische Expertise in spezifischen Branchen oder Organisationstypen sinnvoll oder erforderlich ist, ist in der Fachdiskussion umstritten. Eine Professionalisierung der Beraterausbildung auf akademischem Niveau entwickelt sich in Deutschland erst allmählich durch die Einrichtung entsprechender Master-Studiengänge.
Literatur
Freimuth, J. & Barth, T. (2011). 30 Jahre Organisationsentwicklung. OrganisationsEntwicklung, 31(4), 4–13.
Scheller, T. (2017). Auf dem Weg zur agilen Organisation. Wie Sie Ihr Unternehmen dynamischer, flexibler und leistungsfähiger gestalten. München: Franz Vahlen.
Schiersmann, C. (2016). Systemische Zugänge. In W. Gieseke & D. Nittel (Hrsg.), Handbuch für die Beratung über die Lebensspanne (S. 72–82). Weinheim: Beltz Juventa.
Schiersmann, C. & Thiel, H. U. (2018). Organisationsentwicklung. Prinzipien und Strategien von Veränderungsprozessen (5., überarb. u. akt. Aufl.). Wiesbaden: Springer.